Meschede. Der Mescheder Peter Liese (CDU) will, dass Kohle- und Atomkraftwerke länger laufen, um unabhängig von Russland zu werden. Steuern sollen sinken.

Peter Liese (56) aus Meschede sitzt seit 1994 für die CDU im Europaparlament. Der Umweltexperte macht sich für Maßnahmen gegen den Klimawandel stark. Jetzt ändert der Krieg vieles.

Müssen wir im nächsten Winter frieren?

Peter Liese, seit 1996 im EU-Parlament, will die Ökosteuer bei Bikraftstoffen sofort abschaffen.
Peter Liese, seit 1996 im EU-Parlament, will die Ökosteuer bei Bikraftstoffen sofort abschaffen. © dpa | Henning Kaiser

Peter Liese: Nein, das glaube ich nicht. Aber wir müssen jetzt sofort die richtigen Entscheidungen treffen, damit wir russisches Öl, Kohle und Gas schnellstmöglich ersetzen können.

Wie kann das klappen?

Mit mehreren Maßnahmen: Kurzfristig müssen wir die Energie aus anderen Quellen beziehen. Die Kohlekraftwerke müssen länger laufen, die Atomkraftwerke müssen länger am Netz bleiben, die kürzlich stillgelegten Akw müssen wieder in Betrieb gehen. Das Sparen von Energie muss noch stärker in den Blickpunkt rücken. Mittelfristig müssen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien und Energieeffizienz beschleunigen. Und natürlich steht auch jeder Bürger selbst in der Verantwortung.

Warum?

Jeder Einzelne sollte sich fragen, was er oder sie auch selbst leisten kann oder will – wie zum Beispiel mit dem Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmittel fahren und ob er nicht sogar die Heizung zwei oder drei Grad runterdrehen kann.

Sie als Sauerländer wissen schon, dass Rad und ÖPNV problematisch sein können ...

Klar. Ich will das ja auch nicht zur Pflicht machen, sondern die Menschen sensibilisieren. Wir müssen uns Folgendes klar machen: Jeden Tag überweisen die Länder der EU momentan bis zu einer Milliarde Euro an Russland für Gas, Öl und Kohle. Das ist der Treibstoff für den Krieg. Ich sitze zuhause jetzt auch mit einer Decke und heize weniger. Jede noch so kleine Maßnahme zählt.

Sie können sich höhere Rechnungen leisten. Viele andere nicht.

Das stimmt. Natürlich müssen wir die Maßnahmen sozial abfedern.

Wie?

Wir müssen die Steuern senken. So muss zum Beispiel die Ökosteuer bei Biokraftstoffen sofort abgeschafft werden. Die EEG-Umlage beim Strom muss nicht erst Mitte des Jahres, sondern sofort gestoppt werden. Die Stromsteuer sollte komplett entfallen. Und überall, wo der Staat an den gestiegenen Preisen mitverdient wie etwa beim Benzin, muss die Mehrwertsteuer auf eine bestimmte Summe fixiert werden. Der Rest geht in Preissenkungen. Zusätzlich muss Menschen mit niedrigem Einkommen gezielt geholfen werden.

Auch die Wirtschaft ist auf Putins Energie angewiesen.

Ja, auch die Unternehmen müssen sich überlegen, wie sie unabhängiger werden können. Das ist eine Riesenherausforderung. Aber wenn der Krieg gestoppt wird, dann hilft das auch der Wirtschaft. Die unüberlegte Antwort „Das geht alles nicht“ kann ich jedenfalls nicht mehr hören. Wir haben Krieg, da müssen wir alle gemeinsam radikal umdenken. Auch kleine Dinge helfen: Homeoffice verlängern, Dienstreisen reduzieren, ja sogar die Heizung im Büro runterdrehen.

Die Klimaziele können wir also vergessen?

Im Gegenteil. Ein Mix aus Kernenergie und Kohle ist weniger klimaschädlich als der Einsatz von Gas. Außerdem: Der Klimawandel verschwindet ja nicht. Wir sind es unseren Kindern und Enkeln schuldig, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Hersteller von umweltfreundlicher Technologie wie Wärmepumpen und Solaranlagen brauchen Planungssicherheit. Da dürfen wir nicht wackeln, sonst werden die notwendigen Investitionen nicht getätigt. Wir müssen den Anteil der Erneuerbaren in Europa bis zum Jahr 2030 auf 45 Prozent steigern.

Öl aus Katar oder Saudi-Arabien und Fracking-Gas aus den USA sind nicht umweltfreundlich.

Ja, die sind dreckig. Aber nichts ist dreckiger als dieser Krieg.

Europa hat noch schnell die Lager gefüllt. Mit Gas aus Russland. Ist das nicht zynisch?

Die beste Lösung ist das sicher nicht, aber angesichts der Situation notwendig. Wir müssen handlungsfähig bleiben. Grundsätzlich bin ich aber der Ansicht, dass wir den Import von Gas aus Russland beenden sollten, wenn dieser Krieg weiter eskaliert. Deshalb habe ich auch einen Brief von mehr als 100 EU-Abgeordneten unterschrieben, der einen sofortigen Lieferstopp fordert. Zuvor wäre es noch möglich, das Geld für Russland auf ein Sperrkonto einzuzahlen, das erst freigegeben wird, wenn sich das Militär zurückzieht. Vom Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU bin ich deshalb sehr enttäuscht. Die Beschlüsse gehen nicht weit genug. Es ist gut, dass der Gipfel entschieden hat, dass die EU bis 2027 von russischen Energie-Importen unabhängig sein will, aber kurzfristig hilft das natürlich nicht.

Wie soll denn dieser Krieg noch eskalieren?

Ja, das ist schwer vorstellbar. Aber es ist zu befürchten, dass Russland Kiew und weitere Städte massiv bombardiert. Experten rechnen dann mit zehn bis 15 Millionen Flüchtlingen oder mehr.

Wer sagt denn, dass Putin sich überhaupt beeinflussen lässt?

Das ist tatsächlich fraglich. Aber er hat nur Gas, Öl und Kohle, um seine Wirtschaft am Laufen zu halten. Die ersten russischen Industrievertreter haben seinen Kurs schon öffentlich kritisiert. Vielleicht werden auch die leeren Regale in den Läden mittelfristig für einen gesellschaftlichen Umschwung sorgen.