Hagen. Benzin-Preise so hoch wie nie: Wir zeigen, wie unterschiedlich die Preise in der Region sind. Und wie die Stimmung an einer Tankstelle ist.

Auf dem Weg von der Kasse zurück zum Auto steckt Murat Atice sein Portemonnaie wieder weg. „Ich verstehe diese Welt nicht mehr“, sagt der junge Mann mit Kappe und Lederjacke. Wie ihm geht es wohl vielen Kunden an der Aral-Tankstelle in Hagen.

Noch vor Kurzem hätte man sich bei einem Spritpreis von mehr als zwei Euro ungläubig an die Stirn getippt. Jetzt ist er aufgrund des Ukraine-Kriegs Wirklichkeit geworden: Bei 2,008 Euro liegt der Liter Benzin im Durchschnitt, der Dieselpreis bei 2,032 Euro. Rekordwerte in der Bundesrepublik.

Bei Murat vermischt sich der Frust über den hohen Benzinpreis mit einem allgemeinen Krisengefühl: Schon vor dem Ukraine-Krieg seien die Preise „extrem“ gewesen. Der Maschinenbediener sagt: „Die Leute verdienen ja weiterhin das gleiche, zum Teil noch weniger.“

Kurz zuvor: Stromausfall im Verkaufsraum. Nichts funktioniert mehr. „Früher wären uns die Kunden dafür aufs Dach gestiegen“, sagt Stationsleiterin Susanne Bischoff. In der langsam wachsenden Kassenschlange regt sich jedoch an diesem Nachmittag niemand auf. Blicke ruhen auf dem Boden oder huschen über Handydisplays. Als der Strom wieder fließt, wandern sie hoch zum Fernseher in die rechte Ladenecke. Kriegsbilder von zerbombten Häusern in der Ukraine flimmern über den Bildschirm. Das Licht geht an, die Kasse geht auf. Susanne Bischoff kann weiter kassieren. Getankt haben einige nur für 15 oder 20 Euro: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Dabei ist die Hoffnung, dass die rekordhohen Benzin- und Dieselpreise zeitnah wieder fallen werden, bei den meisten verschwindend gering.

Flüssiges Gold aus der Zapfsäule

Vor dem Geschäft unterhalten sich zwei Männer im mittleren Alter: „Keiner weiß wohin das führt“, sagt der eine. Sätze wie diese hört man von vielen, die hier miteinander reden, während sie ihre Autos mit dem flüssigen Gold aus der Zapfsäule füllen. Oft geht es um Putin. Es fallen Wörter wie „Streubomben“ und viele Kraftausdrücke. Dann fassungsloses Kopfschütteln.

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Als „sehr frustrierend“, beschreibt auch Hans-Gerhard Schmidt die Situation. „Auf dem letzten Tropfen“, sei er erst bei der Tankstelle eingebogen. Als könne er das Unvermeidliche vermeiden. Mürrisch verriegelt er sein Auto und macht sich auf den Weg zur Kasse. Neben den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs betont er, läge die Problematik auch bei zu hohen Steuerabgaben auf Benzin und Diesel. Die Ökosteuer müsse man in seinen Augen überdenken: „Das wäre ja mal zu überlegen, bevor die Preise weitersteigen, ob man da nicht mal andere Maßnahmen ergreift.“

Abends tanken ist günstiger

Als sie die Zapfpistole wieder in die Säule klinkt, schaut auch Iris Händeler bedrückt auf den schwindelerregenden Literpreis: 2,08 Euro. Für das Auto ihrer Mutter, einer älteren Dame auf dem Beifahrersitz, mache sie eine Ausnahme. Normalerweise würde sie nachmittags gar nicht erst tanken – wenn dann nach 19 Uhr, wenn es etwas günstiger sei. Für Iris Händeler, die beruflich mit essgestörten Kindern arbeitet, ist das Autofahren mittlerweile eine finanzielle Belastung. Täglich müsse sie nach Haspe, ein für sie 25 Minuten entfernter Stadtteil – und Sprit sei nicht das Einzige was teurer werde: „So viel verdiene ich jetzt auch nicht und Ende des Jahres kommen dann die großen Nachzahlungen mit Strom, Heizung“, befürchtet sie. „Ich versuche mich zwar abzulenken, aber so richtige Glücksgefühle habe ich zur Zeit nicht.“

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Klar, diskutierten die Leute auch über Steuern, sagt Susanne Bischoff, die Frau von der Tankstelle. Das hätten sie bei jeder Preissteigerung getan. Was ihr aber aktuell auffällt: „Die Kunden sind weniger aggressiv, auch uns gegenüber. Es ist mehr ein Miteinander als ein Gegeneinander. Man sitzt in einem Boot.“ Die Corona-Zeit über seien die Menschen gereizt und genervt gewesen, hätten häufig Diskussionen vom Zaun gebrochen. Jetzt seien sie ruhiger, die Stimmung allgemein gedrückter: „Auch, weil die Kunden vielleicht mehr Verständnis haben für die Gesamtsituation: Die ganze Welt schaut ja auf Putin.“ Manchmal komme sie sich fast vor, „wie eine Seelsorgerin“, sagt Susanne Bischoff: „Vor allem die älteren Menschen sind von Angst geplagt.“

Eigene Existenzängste bei Tankstellen

Dazu kämen eigene Existenzängste angesichts der steigenden Preise von Brötchen, Getränken und sonstigen Produkten: „Ein Nuss-Nougat-Croissant ist im Einkauf um zwölf Cent teurer geworden“, so Susanne Bischoff. „Da hängen Jobs dran, das zieht einen Rattenschwanz nach sich.“ Doch trotz Angst und Frust entsteht vor der Tankstelle etwas Neues: Eine Waschanlage. Kostenpunkt: sechsstellig. Obwohl man nicht wisse, wo alles hinführe, investiere man trotzdem in die Zukunft.

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  • Die Stimmung ist angespannt. Wir haben mit anderen Preisen kalkuliert. Weil die Verträge mit unseren Auftraggebern bis Ende des Jahres laufen, heißt es erstmal durchhalten. Wir haben 55 Fahrzeuge und müssen versuchen, einige davon abzumelden. Wenn es keine deutliche Bewegung gibt, ist man als Kaufmann gezwungen, die Arbeit abzugeben, wenn sie einem nur noch schadet. Axel Busack, Inhaber von „Express Transporte Busack“ in Hagen
  • Eine Fahrstunde ist auf einen gewissen Spritpreis ausgelegt. Derzeit zahlen wir pro Fahrstunde zwei Euro drauf. Unsere Kalkulation ist somit dahin. Wir haben Verträge mit den Fahrschülern, die für ein halbes Jahr gültig sind und die wir nicht von heute auf morgen anpassen können. Die Fahrlehrerverbände sind in der Sache nun aktiv, weil es unvorhergesehene Kosten sind. Bald wird uns nichts anderes übrig bleiben, als die Kosten umzulegen. Gero Schmidt, Fahrlehrer, Siegen
  • Benzinpreise sind für uns ein Riesenthema. Es gibt einen Topf aus dem Corona-Ausgaben finanziert werden, aber wegen der hohen Benzinpreise haben wir bislang niemanden, der uns das refinanziert. Dabei machen die sich wirklich bemerkbar. Wir haben 14 Autos und wir können ja nicht sagen: ‘Wir kommen nicht’, wir müssen ja zu unseren Patientinnen und Patienten! Über E-Autos haben wir auch schon nachgedacht, aber das ist noch nicht ausgereift mit den Ladestationen. Ilona Münker, Geschäftsführerin von „Mobile Pflege Münker“ in Kreuztal
  • Es trifft uns schon sehr hart. Diese drastische Erhöhung der Benzinpreise ist nicht leicht aufzufangen, weil uns die Taxitarife vorgeschrieben sind. Wir können nicht wie die Industrie sagen, dass wir jetzt mal die Preise erhöhen. Das müsste per Genehmigungsverfahren über den Kreis laufen. Ausnahme: Bei weiteren Fahrten wie Flughafentransfers geht das. Da werden wir ab dem 15. März die Preise erhöhen. Daniel Drees, Mitgeschäftsführer von Taxi „Dora“ in Arnsberg