Hagen. Ein Jugendlicher muss sich von Freitag an vor Gericht wegen Anschlagsplänen auf eine Hagener Synagoge verantworten. Wie konkret waren seine Pläne?

Dieser Fall hatte im Herbst deutschlandweit für Schlagzeilen gesorgt: Ein offensichtlich sehr konkret geplanter Anschlag auf die Synagoge in Hagen führte zu einem riesigen Polizeieinsatz. Tags darauf dann großes Erstaunen, dass ein damals erst 16 Jahre alter syrischer Jugendlicher verantwortlich für die Anschlagsplanung sein soll. Ab Freitag muss er sich vor dem Landgericht in Hagen verantworten. Fragen und Antworten zu dem Fall.

Was wird dem inzwischen 17-Jährigen vorgeworfen?

Die „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“, wie es im Juristen-Deutsch heißt. Der 17-Jährige soll einen Sprengstoff-Anschlag auf die Synagoge in der Hagener Innenstadt geplant haben, und zwar zum hohen jüdischen Feiertag Jom Kippur am 16. September. Wohl in der Erwartung, dass dann viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde vor Ort in der Synagoge sind und so die Zahl der Opfer hoch wäre. Die Anklage hat die Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf erhoben. Dort ist die Zentralstelle für die Verfolgung terroristischer Straftaten in Nordrhein-Westfalen angesiedelt.

Wie konkret waren die Anschlagspläne?

Die Ermittler haben zwar weder bei dem 17-Jährigen selbst noch in der Wohnung der Familie nahe dem Hagener Hauptbahnhof Sprengstoff gefunden. Die Generalstaatsanwaltschaft ist sich aber sicher, dass der Jugendliche in der Lage gewesen wäre, nach der Beschaffung der erforderlichen Materialien einen funktionstüchtigen Sprengsatz herzustellen. Angeleitet wurde er offensichtlich durch eine islamistische Chatgruppe bei dem umstrittenen Messengerdienst Telegram. Ein ausländischer Geheimdienst hatte den Hinweis daraufhin nach Deutschland weitergeleitet. Das Bundeskriminalamt und der Bundesnachrichtendienst ermittelten.

Was haben die Ermittler gegen ihn in der Hand?

Mehr als die bloße Vermutung, dass es sich um einen Anschlagsplan handeln könnte. Im Zentrum stehen die 168 sichergestellten Telegram-Chatnachrichten des 17-Jährigen mit einem gewissen „Abu Harb“ („Vater des Krieges“). Wer genau dahinter steckt, ist unklar. Doch dieser „Abu Harb“ erteilte dem jungen Mann aus Hagen genaue Anleitungen, welche Materialien er benötigen würde, um den Sprengsatz zu bauen: Eine bestimmte Chemikalie, Schwefel, Alufolie, einen elektronischen Zünder. Alles Komponenten, die der 17-Jährige einzeln hätte kaufen können. Der islamistische Anleiter lieferte zudem noch Erklärungen mit, was der 17-Jährige bei kritischen Nachfragen sagen sollte. Und: Der 17-Jährige lieferte Bilder und Infos zu der Hagener Synagoge, auf deren Basis „Abu Harb“ konkrete Anweisungen gibt, wo die Bombe genau deponiert werden sollte. Er schreibt: „Das ist der beste Ort Bruder, viele werden sterben und Autos werden brennen, so Gott will.“

Wie hat sich der Jugendliche radikalisiert?

Offensichtlich in rasender Geschwindigkeit im Sommer vergangenen Jahres. Am 17. August 2021 soll er einem arabischsprachigen Chat beigetreten sein, der islamistischen Terror glorifiziert. Dort soll er dann auch schnell den Kontakt zu dem Sprengstoff-Anleiter „Abu Harb“ gefunden haben. Knapp einen Monat später wurde der Jugendliche bereits festgenommen. Schon etwas früher hatte er offensichtlich damit begonnen, sich immer mehr Videos mit islamistischen Gräueltaten anzuschauen. Auf seinem Mobiltelefon konnten die Ermittler 554 Videodateien finden, die grausame Folter und Hinrichtungsdarstellungen zeigen. Von Juni bis September 2021 soll er pro Tag durchschnittlich mehr als 90 solcher Videos angeschaut haben. Gegenüber einem Freund soll er von seinem Kontakt zu Abu Harb geschwärmt haben: „Bei Allah. Er hat es mir beigebracht, eine Bombe zu bauen, die ein ganzes Haus zerstören kann. Mit einem Fernzünder. Ich bin bereit.“ Offensichtlich war er aber auch bereit, sich selbst mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft zu jagen. Er hatte „Abu Harb“ nach einer Anleitung zum Bau gefragt.

Was weiß man sonst über den 17-Jährigen?

Wenig. Er lebte zuletzt mit seiner Mutter, seinem Vater und zwei Brüdern in einem Mehrfamilienhaus im Hagener Bahnhofsviertel. Im Mai 2015 ist er mit seinen Angehörigen im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland gekommen, nachdem sein Vater bereits im Jahr zuvor aus Syrien geflüchtet war. Der 17-Jährige hatte eine Hauptschule in einem Hagener Stadtteil besucht. Auf dem Weg dorthin war er am 16. September auch von der Polizei festgenommen worden. Der Schüler hat eine seit August 2021 eine Niederlassungserlaubnis, die noch bis Mai nächsten Jahres gültig ist. Bisher war er nur einmal der Polizei aufgefallen, weil er im Januar 2020 mit einem Freund einen Linienbus durch Tritte beschädigt haben soll.

Was sagt der Anwalt des 17-Jährigen?

Ihsan Tanyolu aus Hagen ist der Verteidiger des 17-Jährigen, der seit seiner Verhaftung in der Jugend-Justizvollzugsanstalt in Iserlohn sitzt. Der Rechtsanwalt hat sich bislang nur spärlich geäußert, bis auf die Aussage: „Mein Mandant hatte nie einen Anschlag vor.“ Am Mittwoch kündigte er auf Nachfrage an, dass zu den Vorwürfen in der Verhandlung Stellung genommen wird.

Warum findet der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt?

Das hat nichts mit dem mutmaßlich terroristischen Hintergrund der Taten zu tun, sondern ist der Regelfall, wenn Angeklagte noch keine 18 Jahre alt und damit noch nicht erwachsen sind: Dann finden die Prozesse immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. So werden am Freitag vom Prozessbeginn und dem weiteren Verlauf der Verhandlung wohl nur spärliche Informationen nach außen dringen, auch Bilder wird es keine geben. Zehn Verhandlungstermine sind bis Ende April geplant, und zwar vor der 1. Großen Jugendstrafkammer des Landgerichts, zu der neben dem Vorsitzenden Richter Jörg Weber-Schmitz noch zwei weitere Berufsrichter und zwei Schöffen gehören. Insgesamt sind 24 Zeugen, größtenteils Ermittler, Lehrer und Mitschüler geladen.

Welche Strafen drohen dem 17-Jährigen?

Beim Jugendstrafrecht, das hier Anwendung finden muss, steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund, nicht die Bestrafung. Den jugendlichen Angeklagten soll die Chance eröffnet werden, ihr Leben wieder in straffreie Bahnen zu lenken. Was aber nicht heißt, das dem 17-Jährigen, der nun schon fünf Monate in Untersuchungshaft sitzt, nicht empfindliche Sanktionen drohen: Ihn könnte im Fall einer Verurteilung eine Jugendstrafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren erwarten. Aber auch lediglich erzieherische Maßnahmen oder ein Freizeitarrest sind möglich.

Wird gegen die Familienmitglieder weiter ermittelt?

Im September waren zunächst auch der Vater und die zwei Brüder des 17-Jährigen verhaftet und von der Polizei intensiv befragt worden. Ein Tatverdacht gegen sie hatte sich aber offensichtlich nicht erhärtet.