Wilnsdorf. Am 6. Februar wird die A 45-Talbrücke Rinsdorf (Wilnsdorf) gesprengt. Warum dies eine Herausforderung ist, weiß Sprengmeister Michael Schneider.
Experten prüfen derzeit, ob die gesperrte A 45-Talbrücke Rahmede bei Lüdenscheid gesprengt werden kann. Es wäre nicht die erste Abbruchsperrung auf der Sauerlandlinie:
Im Oktober 2020 wurde der alte Überbau der Talbrücke Eisern bei Siegen zu Fall gebracht. Am 6. Februar um 11 Uhr soll die alte Autobahnbrücke Rinsdorf bei Wilnsdorf gesprengt werden. Michael Schneider (61) trägt als Sprengmeister die Verantwortung. Der gebürtige Thüringer und Wahl-Vogtländer ist Projektleiter Sprengtechnik bei der Richard Liesegang GmbH aus dem Rheinland. „Es gibt keine Handvoll Sprengunternehmen in Deutschland, die spezielle Abbruchsprengungen machen“, so Michael Schneider.
Mit 41 Berufsjahren sind Sie einer der erfahrensten Sprengmeister in Deutschland. Wie wichtig ist Erfahrung in Ihrem Job?
Michael Schneider: Erfahrung ist unabdingbar. Ich sage immer, ohne einen wissenschaftlichen Nachweis zu haben: Mein Beruf besteht aus 75 Prozent Erfahrung, 25 Prozent ist Grundlagenwissen, das man regelmäßig in Lehrgängen auf den neuesten Stand bringt.
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Sie haben Tausende Brücken, Hochhäuser, Schornsteine und sogar Sprungschanzen gesprengt. Ist da eine Talbrücke wie demnächst im Siegerland noch eine Herausforderung für Sie?
Und ob. Das 70 Meter hohe Bauwerk wird dann die höchste Brücke sein, die jemals in Deutschland gesprengt wurde. 70 Meter – das ist eine Höhe, als schauten Sie aus dem 11. Stockwerk eines Hochhauses. Und man darf nicht vergessen, dass neben der alten Brücke bereits die neue steht. Stellen Sie sich vor, die alte würde bei der Sprengung Schäden an der neuen verursachen. Dann hätten Sie das nächste Nadelöhr an der A 45 nach der Talbrücke Rahmede.
Das heißt, Sie sind angespannt, je näher der 6. Februar rückt?
Ich bin noch genauso aufgeregt wie bei meiner ersten Sprengung. Wenn das nicht mehr wäre, müsste ich aufhören. Anspannung macht sensibel, die kleinste Unregelmäßigkeit könnte dazu führen, dass die Sprengung nicht hundertprozentig funktioniert. Um das klarzustellen: Wir reden nicht von Angst – die darf man in meinem Beruf nicht haben.
Sind Ihre Aufträge nach 41 Berufsjahren zu Routinearbeiten geworden?
Auf keinen Fall. Jede Sprengung ist wegen der unterschiedlichen Bauwerke und Umgebungen anders. Wenn ein 30-Meter-Schornstein mitten in einem Wohngebiet steht, kann das genauso knifflig sein wie ein 300-Meter-Schornstein – mein höchstes gesprengtes Bauwerk –, der sich auf freier Fläche befindet. Im Übrigen: Es ist nicht der Schneider, der das höchste Bauwerk gesprengt hat, sondern immer ein Team von Experten. Wir überlassen nichts dem Zufall, so dass das gerne diskutierte Worst-Case-Szenario definitiv nicht eintreten kann.
Hat es dennoch mal Pannen gegeben?
Wenn ich behaupten würde, es sei nie etwas vorgefallen, hätte ich entweder 41 Jahre den Rasen gesprengt oder wäre ein Lügner. Gerade in der Anfangszeit ist schon einmal eine Fensterscheibe zu Bruch gegangen. Wir haben damals alle gelernt. Im Laufe der Jahre wurden kleinere Pannen dank Erfahrung, breiterem Wissen und besserer Zündtechnik immer weniger. Gott sei Dank musste ich nie einen größeren Schaden miterleben.
Wie sind Sie eigentlich Sprengmeister geworden?
Genau genommen müsste es Sprengberechtigter heißen, aber der Begriff Sprengmeister hat sich in der Öffentlichkeit durchgesetzt. Es gibt keinen derartigen Ausbildungsberuf. Ich habe gut zehn Jahre in Thüringen als Bergmann gearbeitet. Unter Tage gehört der Sprengstoff zum Handwerk wie das Mehl zu einem Bäcker. Nach der Wende wollte ich raus und Deutschland kennenlernen. Und habe in der Abbruchsprengung ein neues Aufgabengebiet gefunden.
Wie gehen Sie bei der Talbrücke Rinsdorf vor?
Ich habe mich ein halbes Jahr mit der Brücke beschäftigt, war die letzten eineinhalb Monate vor Ort. Bis zum 6. Februar werden wir in 1850 Bohrungen an statisch relevanten Punkten der Brücke 120 Kilogramm Sprengstoff verteilt haben. Wenn ich die beiden Knöpfe am elektronischen Zündcomputer auslöse, wird die Brücke, die auf acht Pfeiler-Paaren steht, in Sekundenschnelle wie ein Zollstock zusammenklappen und senkrecht nach unten fallen.
Sie haben eingangs von Erfahrung gesprochen. Sie brauchen aber auch gute Nerven, oder?
Das ist so. Man muss die Gabe eines dicken Fells haben, sich auch mal mit einer Situation anfreunden können, die man in dem Moment nicht ändern kann. Eine kurzfristige Verschiebung eines Sprengtermins aus Witterungsgründen zum Beispiel. Ich muss eine gewisse Ruhe ausstrahlen. Es geht gar nicht, wenn alle Welt denken würde: der steht neben sich.
Ihnen viel Glück für die Sprengung der Talbrücke Rinsdorf! Gibt es eigentlich eine Redewendung unter Spreng-Experten?
Das werde ich häufig gefragt. Hals- und Beinbruch würde nicht ganz passen. Wir wünschen eher „gut Schuss!“, auch wenn sich das sehr militärisch anhört und wir nicht schießen, sondern sprengen.