Hagen/Münster. Schmetterlinge bilden das Fundament des weltweit ersten Museums für moderne Kunst in Hagen. Der verlorene Schatz wurde jetzt wiederentdeckt.

Kunstfreunde kennen den Namen des Hagener Visionärs Karl Ernst Osthaus gemeinhin als Entdecker Gauguins und frühen Sammler von van Gogh, Matisse, Kokoschka, Schiele oder Marc. Doch nicht die Avantgarde der Jahrhundertwende steht am Beginn des weltweit ersten Museums für zeitgenössische Kunst, das Osthaus 1902 in Hagen gründet. Das Fundament des Hauses bildet eine moderne Wunderkammer mit einer Schmetterlings-Sammlung. Die gilt seit dem Tod von Karl Ernst Osthaus 1921 als verschollen. Rainer Stamm hat sie jetzt wiederentdeckt.

Der Hagener Kunsthistoriker Prof. Dr. Rainer Stamm ist Direktor des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte in Oldenburg und forscht seit langem über den berühmtesten Sohn seiner Heimatstadt Hagen. Im Februar erscheint die große Doppelbiografie „Karl Ernst und Gertrud Osthaus. Die Gründer des Folkwang-Museums und ihre Welt“, die er gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Gloria Köpnick verfasst hat, seiner Frau.

Viele neue Erkenntnisse in Hagen

Von den wiederentdeckten Schmetterlingen ist in dem Band, der mit vielen neuen Erkenntnissen aufwartet, noch keine Rede. „Das Manuskript war längst im Satz, als ich das Rätsel der Schmetterlinge aufklären konnte“, so Stamm. Tatsächlich ist die Sammlung auf verschlungenen Wegen ins heutige LWL-Naturkunde-Museum in Münster gekommen und dort vergessen worden, die zugehörigen Akten sind verloren gegangen – bis Rainer Stamm auf die richtige Spur kam.

Der vielseitig interessierte Osthaus plant sein Museum Folkwang zunächst als Haus für Kunst und Wissenschaft gleichermaßen. „Am Beginn der Sammelleidenschaft, die schließlich zur Museumsgründung drängte, standen nicht Werke der bildenden Kunst oder gar der Moderne, sondern die Wunder der Natur“, so Stamm.

Unten Schmetterlinge, oben Gemälde

Der flämische Architekt und Designer Henry van de Velde hat seine liebe Mühe damit, Osthaus‘ unterschiedliche Sammlungen im Museumsbau zu integrieren, die Weltkunst, die modernen Gemälde, die Kristalle und die Schmetterlinge. Stamm hat rekonstruiert, dass van de Velde die Bestände als Belege der Evolutionsgeschichte arrangiert, die von der Natur als Künstlerin zu den Künstlern der Avantgarde reicht und konnte die entsprechenden Schriftzeugnisse ausgraben: im „Souterrain des Gebäudes waren die Schmetterlings- und Käfersammlungen untergebracht, im Erdgeschoss alles, was Osthaus von seinen Reisen heimgebracht hatte“, so erinnerte sich Van de Velde. Den krönenden Höhepunkt bilden die Werke der modernen Kunst in den Oberlichtsälen.

Je schneller und aufsehenerregender die Kunstsammlung wächst und zum „Himmelszeichen für die junge Kunst“ (Emil Nolde) wird, desto mehr geraten die Wunder der Natur aus dem Blickfeld. Schmetterlinge und Käfer verbannt man schon 1909 ins Depot, um im Souterrain Platz für die spanische Fliesenkeramik und orientalische Gefäßkeramik zu schaffen, die unter anderem Walter Gropius im Auftrag von Osthaus in Andalusien erwirbt. Ganz aus dem Auge verliert Osthaus seine Schmetterlinge jedoch nie. Rainer Stamm hat ein Zeugnis des Malers Christof Drexel wiederentdeckt. Osthaus sei 1911/12 „noch sehr stark mit seinen Schmetterlingen beschäftigt gewesen, und es war auch ein Lieblingskind von ihm. Seine Kristalle konnten ruhig verstauben, aber die Schmetterlinge mussten ja unausgesetzt gepflegt werden. Und ich weiß, dass er damals sehr versucht hat, das irgendwie mit der bildenden Kunst zu verbinden.“

Die Spur verliert sich

Nach dem frühen Tod von Osthaus 1921 verliert sich die Spur der Natursammlungen. Sie gehen nicht 1922 mit nach Essen, wo das Museum Folkwang bis heute Weltruhm genießt. Wie ist Rainer Stamm auf die Spuren gestoßen? „Es gibt sehr viel Schriftliches zum Nachlass, denn es gab sieben Erben und alles musste von allen bewilligt werden. Auf einmal tauchte in einem Briefwechsel Münster auf.“ In einem Brief an die Witwe Gertrud Osthaus berichtet der Nachlassverwalter Oscar Funcke im November 1922 von Verhandlungen mit dem Zoologischen Institut der Universität Münster, die ein Kaufangebot unterbreiten wolle.

Im Depot abgestellt und vergessen

Stamm: „Ich habe in Münster nachgefragt: Haben Sie die Sammlung Osthaus? Die Spur hatte sich verloren. Das Konvolut ist über das Zoologische Institut gemeinsam mit dessen Beständen in das Naturkundemuseum gelangt.“ Dort werden die Schmetterlinge im Depot abgestellt und vergessen. Bis Rainer Stamm nachhakt. „Manchmal muss man mit den richtigen Fragen beharrlich sein. Kunstgeschichte als investigative Forschung zu betreiben, das ist mein Anspruch.“

Wiederentdeckung ist eine Sensation

Für die wissenschaftliche Arbeit sind die Schmetterlinge kaum mehr von Bedeutung, da die Tiere nicht mit Fundort- und Datumsangaben versehen sind. Dennoch ist ihre Wiederentdeckung eine Sensation. „Wieder ans Licht geholt, entfalten die Schmetterlinge ihre ganze Pracht und machen deutlich, was Osthaus an ihnen bewunderte, bevor er die reinen, schillernden Farben auch in der bildenden Kunst fand“, analysiert Stamm. Osthaus schwärmt 1902, als er einen Teil der Schmetterlingssammlung zur Ausstellung „Farbenschau“ nach Krefeld ausleiht: „Das Reich der Schmetterlinge gleicht einem Chrysanthemenhaus, in dem jede Möglichkeit der schönen Farbstellung entwickelt ist. Das Ergebnis nenne Zufall wer will; Künstler spüren Geist von ihrem Geiste.“