Hagen. Ein Video zeigt es: Markus Mockenhaupt und Pascale Pauke werden beim Rad-Training im Siegerland von einem SUV attackiert.

Die (Jagd-)Szene erinnert an einen schlechten Wildwestfilm: Ein Mercedes-SUV überholt ein Fahrrad, bleibt auf der rechten Spur stehen, der Fahrer steigt aus, versucht den Radler gewaltsam zu stoppen. Dieser kann soeben noch zwischen Leitplanke und Pkw entkommen.

Kurze Zeit später ist zu sehen, wie der SUV den Radfahrer abdrängt, so dass dieser auf die Gegenfahrbahn und dann gefährlich nahe an die Böschung gerät. „Ich hatte echt Angst um meinen Freund, lebensgefährlich“, sagt Markus Mockenhaupt hörbar erschüttert noch eine Woche danach am Telefon.

Kamera unter dem Tacho befestigt

Der Triathlet vom TVE Netphen hat die Verfolgungsjagd auf einer Landstraße im Siegerland am 1. November mit einer unter dem Tacho befestigten Kamera aufgenommen, das Video wird in sozialen Netzwerken wie wild geklickt.

Apropos wild: Nachdem der Pkw-Fahrer seinen Wagen verlassen hat, das zeigt auch die Aufnahme, stürmt er trotz aller Beruhigungsversuche seiner Beifahrerin auf Mockenhaupt und seinen Teamkollegen Pascale Pauke zu. Es setzt ein lautstarker Wortwechsel ein. Man hört Mockenhaupts Stimme: „Du gefährdest Menschenleben!“

Räder in geringem Abstand überholt

Die Vorgeschichte: Einige Minuten zuvor, so Mockenhaupt, hatte der Pkw die beiden Radfahrer im Abstand von geschätzt 80 Zentimetern überholt. Sein Trainingspartner habe daraufhin dem Autofahrer den Mittelfinger gezeigt.

Die Siegerländer Triathleten Markus Mockenhaupt und Pascale Pauke.
Die Siegerländer Triathleten Markus Mockenhaupt und Pascale Pauke. © Markus Mockenhaupt

Mockenhaupt spricht von einer „dramatischen Situation“, in die sein Trainingskollege Pascale Pauke und er am 1. November geraten sind. Die beiden haben Anzeige gegen den Autofahrer erstattet.

Führerschein des Pkw-Fahrers eingezogen

Die Staatsanwaltschaft Siegen hat Ermittlungen wegen des Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr eingeleitet. Der Führerschein des Bad Berleburgers wurde inzwischen von der Polizei eingezogen.

Dass er auf dem Rad schon einmal von Pkw – unbeabsichtigt – geschnitten wird, daran hat sich der Bruder von Langstreckenläuferin Sabrina Mockenhaupt fast schon gewöhnt, wie er sagt. Der jüngste Vorfall habe aber eine neue Qualität: „Die Verrohung der Gesellschaft hat leider längst auch die Straßen erreicht. Die Leute sind zunehmend unausgeglichen.“

Neuer Bußgeldkatalog

Ludger Vortmann vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) in NRW will nicht alle Pkw-Fahrer über einen Kamm scheren. „Es gibt wahrlich nicht nur Rüpel.“ Aber: „Man darf ein Fahrzeug niemals als Waffe benutzen. Und erst recht nicht gegenüber ungeschützten Verkehrsteilnehmern.“

Der neue Bußgeldkatalog soll diesem Umstand Rechnung tragen. Als Seitenabstand beim Überholen von Radfahrern und Fußgängern sieht er innerorts mindestens 1,5 Meter und außerorts mindestens 2 Meter vor. „Der neue Katalog ist nur ein Mini-Schritt“, so Vortmann. Der ADFC fordert einen stärkeren Ausbau der Rad-Infrastruktur.

Verkehr gewachsen, Platz auf der Straße bleibt derselbe

Auch der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) kann Konflikte zwischen Pkw- und Radfahrern nicht leugnen. „In den letzten Jahren ist die Zahl der Autos weiter gestiegen“, sagt Anne-Sophie Barreau vom ADAC Westfalen, „außerdem hat Corona den Trend zum Radfahren noch einmal deutlich verstärkt.“

Das bedeute, dass sich immer mehr Autos die Straßen mit Radfahrern, Fußgängern, Transportern und Elektro-Tretrollern teilten. „Die Corona-Zeit einmal ausgenommen, ist der Verkehr in den vergangenen Jahren stark gewachsen, während der Platz auf der Straße gleichzeitig derselbe bleibt.“ Dort, wo es eng sei und die Nutzungsbereiche sich überschnitten, werde die Situation schnell brenzlig.

Das wichtigste im Straßenverkehr: Gelassenheit

In die gleiche Kerbe schlägt Verkehrspsychologe Jürgen Walter, Mitglied im Bundesvorstand des Verkehrsclubs Deutschland (VCD): „Der Platz ist eindeutig enger geworden.“ Hinzu komme, dass sich manche Menschen in der Pandemie durch Regeln und Einschränkungen gegängelt fühlten: „Sie denken sich: ,Die wollen mir was. Also hole ich mir mein Recht zurück’.“

Und sei es auf der Straße, wenn man sich von einem Radfahrer provoziert fühle: „Wenn es dann um die soziale Kompetenz nicht gut bestellt ist, können die Sicherungen durchbrennen.“ Dabei funktioniere Straßenverkehr, so Walter weiter, nur mit Gelassenheit.

Mehr Begegnungen mit Pkw

Walters Berufskollege Karl-Friedrich Voss, Vorsitzender des Bundesverbandes Niedergelassener Verkehrspsychologen (BNV), sieht als einen Grund für ein womöglich schwieriger gewordenes Verhältnis zwischen Pkw- und Radfahrern „eine veränderte Verkehrsmittelnutzung: Auch durch E-Bikes gibt es mehr Räder auf den Straßen und damit mehr Begegnungen mit Pkw. Das ist für manche belastend.“

Was der Pkw-Fahrer zu dem Vorfall im Siegerland sagt, ist unklar. Unserer Zeitung sucht den Kontakt zu ihm, um ihn Gelegenheit zu geben, seine Sicht der Dinge zu schildern. Das ist bislang aber noch nicht gelungen.