Hagen. „Alice im Wunderland“ startet als Weihnachtsmärchen am Theater Hagen. Lohnt der Besuch? Nach der Premiere gibt es eine eindeutige Empfehlung.
Für Alice, die selbst ernannte „Nummer eins der Schneckenkohorte“, mag dieser unendlich lang wirkende Zeitraum erträglich gewesen sein. Dass der Takt der normalen Welt in der Corona-Pandemie zerstört worden ist. Dass nun erst mit einem Jahr Verspätung „Alice im Wunderland“ im Theater Hagen als Weihnachtsmärchen auf die Bühne kommen kann, mag ein Mensch wie diese Alice mit Träumereien, mit Reimen und Fantasien mühelos überbrücken. Für die Rote Königin, ihr Widerpart in dieser Inszenierung, müsste dieses Jahr im realen Leben aber wohl so etwas wie Folter sein. „Rennen, laufen, düsen, hetzen, schnell um jede Ecke wetzen“, besingt sie ihr Lebens-Motto. Holen wir jetzt alles auf, alles nach?
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Zumindest zeigt sich bei der Inszenierung am Theater Hagen, die am Samstag Premiere feierte, dass sich das Warten lohnen kann. Das lustige, farbenfrohe und alle Sinne ansprechende Weihnachtsmärchen ist ein eindeutig zu empfehlender Familien-Spaß am Theater Hagen, der nun noch 32 Mal bis zum 22. Dezember gezeigt wird.
Keine Kopie des Klassikers von Lewis Caroll
Hier wird nicht das Original-Buch aus dem Jahr 1865 von Lewis Caroll auf die Bühne gebracht. So wie schon der legendäre Disney-Film aus den 50er-Jahren keine 1:1-Adapation sein konnte und wollte. Anja Schöne, die Leiterin des Jugendtheaters Lutz in Hagen, hat ihre Idee von Alice im Wunderland neu zusammengesetzt. Und die beispiellose Zeit der Corona-Pandemie aufgegriffen, ohne das Thema quasi mit dem Holzhammer in das Bühnenstück zu prügeln. Corona hat unsere gewohnte Welt und ihre Zeitabläufe aus den Fugen geraten lassen, so wie in der verrückten Tee-Gesellschaft des Hutmachers, bei der immer gilt: „Fünf Uhr, Zeit für den Tee.“
Alice ist bei Anja Schöne eine Hagener Grundschülerin, die in ihrem ganz eigenen Tempo lebt. Sie ist eine Freundin der Worte, erfindet Reime und Gedichte. Aber diese Träumereien lassen sie in der wahren Welt als zu langsam erscheinen. Erst als sie dem weißen Hasen, der immer in der Angst lebt, zu spät zu kommen, über eine Böschung ins Wunderland folgt, wird sie dort zur großen Hoffnungsträgerin: Sie soll mit einem Sieg bei einer Partei Clickdiclock gegen die Rote Königin verhindern, dass diese die Hummer, die im Wunderland für die so wichtige Musik sorgen, im Kochtopf landen.
Das furiose Spiel der Roten Königin überzeugt
Cassandra Schütt (27), die ihr Debüt am Theater Hagen gibt, spielt diese Alice mit großer Authentizität. Ihr nimmt man die Kinderrolle ab, das Träumerische, das Liebenswerte, dieser herzliche Umgang mit all den skurrilen Figuren, wie Humpty Dumpty, das auf der Mauer tänzelnde und nörgelnde Ei, oder das weiße Kaninchen, der verrückte Hutmacher oder die Grinsekatze. Noch mehr Bühnenpräsenz zeigt aber ihr Widerpart, die rote Königin, die von Carolin Karnuth furios gespielt wird. Die 37-Jährige, die erstmals in Hagen auf der Bühne steht, lebt diese explodierende Ungeduld der roten Königin förmlich in jedem Wort, jedem Lied und in der gesamten Körpersprache.
Die Zeit, unser Umgang mit ihr und die Botschaft, unser Verhältnis zum Zeitverständnis, zur Hektik zu überdenken, stecken in Anja Schönes Inszenierung. Und das ohne jede Schwere. Nonsens, Absurdität, skurrile Figuren, Handlungen und Gedankengänge - also die Grundidee von Lewis Caroll - werden in keiner Weise beschädigt.
Warum sitzen die Musiker nicht auf der Bühne?
Die eigens für die Inszenierung komponierten Lieder sind dabei mit dem tollen Bühnenbild die großen Fantasie-Anreger. Zum elften Mal stammen diese auch auf einer CD erhältlichen Kompositionen von Andreas Reukauf. Wie wichtig die Musiker der Märchenband eigentlich für die Inszenierung sind, erkennt man schon daran, dass sie ja die Hummer darstellen, die Alice retten soll. Schade nur, dass Uroš Ugarković (Klavier), Ilona Haberkamp (Altsaxophon, Flöte), Ivo Kassel (E-Bass) und Martin Siehoff (Schlagzeuge) diesmal nicht auf der Bühne zu sehen sind, sondern im Orchestergraben sitzen. So können die Kinder die Musiker nicht - wie in den Jahre zuvor - direkt beim Spiel bestaunen. Stattdessen sieht man nur die roten Hummerfühler, die die Musiker als Hut auf dem Kopf sitzen haben.
Ließen sie sich tatsächlich nicht mehr in das erfrischende Bühnenbild von Sabine Kreiter integrieren? Das ist wunderschön bunt und teilweise auch herrlich absurd. Etwa, wenn Thaddäus Maria Jungmann als rauchende Raupe den auf Rädern ruhenden langen Raupenschwanz wie einen Anhänger hinter sich herzieht.
Wie klappen die schnellen Kostümwechsel?
Dass außer Cassandra Schütt als Alice alle anderen Schauspieler mehrere Rollen haben, regt ebenfalls die Fantasie der jungen Besucher an: Wie schaffen es Carolin Karnuth, die neben der Roten Königin auch die verschlagene Grinsekatze spielt, Charlotte Welling (Weiße Königin, Humpty Dumpty, Feuerlilie), Stefan Merten (Weißes Kaninchen, Märzhase, Gänseblümchen) und Verna Loren (Ritterin, Siebenschläferin und Veilchen), so schnell hinter der Bühne die Kostüme zu wechseln?
Alice im Wunderland am Theater Hagen ist schnell, ist bunt, ist fordernd. Aber das Stück ist alles andere als eine dieser hektischen Kinder-Serien im TV. Hier wird nicht berieselt. Die Inszenierung ist vielmehr eine Anregung für die Sinne, die Fantasie, das Gehirn. Aber können Kinder dem scheinbar verwirrend Nonsens wirklich folgen? Solche Gedanken eines Vaters werden am nächsten Morgen von der fast fünfjährigen Marlene, die tags zuvor die Generalprobe miterleben durfte, pulverisiert. Sie zitiert schon am Frühstückstisch ungefragt aus dem Stück, erklärt die Handlung, lacht über die rauchende Raupe, die sie weiter vor Augen hat. Kinder sind viel schneller und viel länger im Wunderland. Anja Schöne gelingt es, die Tür dorthin weit zu öffnen. In ein Land, so lässt sie ihre Alice singen, „in dem man mich versteht, in dem die Uhr auf meine Weise geht“.
>> INFOS: Zeiten und Corona-Bedingungen
Das Stück richtet sich an Kinder ab 5 Jahren und dauert 1 Stunde und 45 Minuten. Es gibt eine Pause.
Für Erwachsene ist neben dem Ausweis ein Nachweis (geimpft, genesen oder ein maximal 48 Stunden alter PCR-Test) nötig. Bei Minderjährigen, die nicht im Klassenverband kommen, muss ein Schülerausweis oder ein Schnelltest-Zertifikat vorliegen. Schulklassen gelten als getestet.
Bei den Familienvorstellungen von Alice im Wunderland gilt auch am Platz die Maskenpflicht für alle ab 6 Jahren.
Karten gibt es unter www.theaterhagen.de oder 02331/207-3218
Familienvorstellungen gibt es am: 14.11. (17 Uhr), 21.11. (17 Uhr), 4.12. (11 Uhr), 5.12. (11, 14 und 17 Uhr), 12.12. (11, 14. und 17 Uhr), 19.12. (11 Uhr)
Schulvorstellungen gibt es am: 30.11. (9 und 11.30 Uhr), 1.12. (9 und 11.30 Uhr), 2.12. (10 Uhr), 3.12. (10 Uhr), 6.12. (10 Uhr), 7.12. (9 und 11.30 Uhr), 8.12. (9 und 11.30 Uhr), 9.12. (10 Uhr), 10.12. (10 Uhr), 13.12. (10 Uhr), 14.12. (9 und 11.30 Uhr), 15.12. (9 und 11.30 Uhr) 20.12. (10 Uhr), 21.12. (9 und 11.30 Uhr), 22.12. (9 und 11.30 Uhr).