Hagen. Ordnungsamts-Mitarbeiter verletzen in Hagen einen 17-Jährigen schwer: Ein Einzelfall oder gibt es ein generelles Personal-Problem in den Städten?

Der Abend, an dem es geschah, liegt schon einige Monate zurück. Im Januar 2021 hielt sich Alessandro Sechi mit Freunden in der Hagener Innenstadt auf. Weil er und seine Freunde trotz damaliger Maskenpflicht keine Maske trugen, fuhr das Ordnungsamt vor. Sechi, 17 Jahre alt, angehender Abiturient, und die anderen flüchteten. Drei Mitarbeiter der Stadt nahmen die Verfolgung auf, stellten den jungen Mann, ohrfeigten und beschimpften ihn – und brachen ihm durch rohe Gewalt die Nase. Das Amtsgericht verfügte nun, dass die beiden Haupttäter dem Schüler nach einer Entschuldigung 2000 Euro zahlen müssen. Dann wird das Verfahren eingestellt.

Dies ist nicht der einzige Fall, in dem Mitarbeiter des Hagener Ordnungsamtes für Aufsehen sorgten. Vor wenigen Wochen erst musste ein Mitarbeiter gekündigt werden, der wegen Verstrickungen ins Rotlicht-Milieu dem Verdacht der Korruption und Untreue ausgesetzt ist. Zwangsversetzt wurden zwei Mitarbeitende des Ordnungsamtes, die Anfang des Jahres eine Querdenker-Demonstration besucht hatten und damit bundesweit Schlagzeilen machten.

Läuft da was schief in Hagen? Vielleicht anderswo auch? Ist die Personalnot und der Stress in den Ordnungsämtern so groß, dass die Integrität auf der Strecke bleibt?

Viele Städte schaffen neue Stellen

Klar ist: Die Corona-Pandemie hat viele ohnehin überlastete Ordnungsämter stark beansprucht. Die größeren Städte der Region Südwestfalen haben Personal aufbauen müssen: Das Siegener Ordnungsamt weist nun viereinhalb mehr Stellen aus als zu Beginn der Pandemie, in Hagen sind im Außendienst – einem Teilbereich des Ordnungsamtes – zwei neue Stellen besetzt worden, in Arnsberg eine. In Iserlohn, wo Außendienst-Mitarbeiter stets zu zweit unterwegs sind, wurden die Duos aufgelöst und jedem Angestellten stattdessen ein Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma an die Seite gestellt. „Aus einem Team wurden zwei. Anders wäre es nicht gegangen“, sagt Jens Rinke, Leiter des Ordnungsamtes in Iserlohn.

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Fraglich ist nur, ob das Personal für die vielen Anforderungen ausreichend ist. „Die Personallage in den Ordnungsämtern ist angespannt“, sagt Philipp Stempel vom Städte- und Gemeindebund. Sicher auch ein Grund: Ordnungsamtsmitarbeiter werden oft selbst Opfer von Attacken: Die Zahl der Fälle stieg in NRW im vergangenen Jahr um das Vierfache.

Abschreckendes Anforderungsprofil

„Vakante Stellen können in der Regel mit einem Stellenbesetzungsverfahren besetzt werden“, sagt die Stadt Siegen auf Anfrage. „Wiederholte Stellenausschreibungen aufgrund fehlender Bewerbungen sind die Ausnahme.“ Arnsberg konnte Bedarfe „auf freiwilliger Basis aus eigenen Reihen der Gesamtverwaltung“ decken. In Hagen, so die Stadt, sei das „mit internem Personal nur bedingt möglich, insbesondere dann, wenn es sich nur um befristet anerkannte Bedarfe handelt“. Abschreckend wirke das Anforderungsprofil: Schichtdienst, ständiges Potenzial für Auseinandersetzungen. Zudem gefragt: körperliche Fitness. Dennoch seien zuletzt mit einer internen Ausschreibung mehrere unbefristete Stellen zeitnah besetzt worden.

Bewerber, heißt es von den Städten, müssen ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und eine Ausbildung vorweisen. Rechtssicheres Verhalten ist wichtig. Im Außendienst seien auch „Fähigkeiten im Umgang mit konfliktbehafteten Situationen erforderlich“, erklärt die Stadt Siegen. Schulungen fänden laufend statt.

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In Hagen geht die Prüfung noch weiter: Alle Bewerber werden noch vor dem offiziellen Vorstellungsgespräch zu einem Hospitationstag eingeladen, da so klarer werde, ob Bewerber und Stelle „tatsächlich zusammen passen“. Extern eingestellte Mitarbeiter haben eine sechsmonatige Probezeit, in der geprüft wird, „ob Arbeitsleistung, Arbeitsqualität und das Sozialverhalten den Anforderungen entsprechen“, so die Stadt.

Doch das Beispiel Hagen zeigt auch, dass es dennoch zu Zwischenfällen kommen kann. Und ganz allein ist die Stadt nicht. In Düsseldorf schlug ein Ordnungsamtsmitarbeiter Ende vergangenen Jahres einem Mann ins Gesicht. „Es handelt sich wohl um tragische Einzelfälle“, sagt Philipp Stempel vom Städte- und Gemeindebund NRW. Ähnliche Vorfälle seien ihm nicht bekannt.

Stadt Hagen prüft rechtliche Schritte

Hagen kann sich die Häufung der Fälle nicht erklären. „Die Vorfälle sind absolut inakzeptabel und für das Image unserer Behörde schädlich“, räumt Stadtsprecherin Clara Treude ein. „Einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen sehen wir aber nicht.“ Es seien in allen Fällen umgehend interne dienst- oder arbeitsrechtliche Maßnahmen eingeleitet worden. Alle Beschäftigten im Außendienst würden intensiv zu Themen wie Deeskalation und Selbstverteidigung geschult. „Das war selbstverständlich auch schon vor den genannten Vorfällen der Fall“, so Treude.

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Die beiden Mitarbeiter jedenfalls, die Alessandro Sechi verletzten, seien bereits Anfang Februar von ihren konkreten Aufgaben entbunden worden. „Die Stadt Hagen prüft auch mit letzter Konsequenz notwendige rechtliche Schritte“, so Clara Treude. „Und dies nicht erst seit Bekanntwerden des Vorfalls in der Öffentlichkeit.“ Der Fall beruhe auf einem persönlichen Fehlverhalten, das „weder mit geltenden Gesetzesregeln noch mit unseren eigenen Ansprüche an unsere Arbeit und unseren Umgang mit Mitmenschen vereinbar ist“. Daher: „Ein solches Verhalten wird durch die Stadtverwaltung Hagen in keiner Weise und zu keinem Zeitpunkt toleriert oder geduldet.“