Hagen. Noch an vielen Stellen in Hagen türmen sich Sperrmüll-Berge. Beobachtungen in der Straße „Am Widey“ in der Innenstadt, die an die Volme grenzt.

Hanno Brackmann hatte vor einer Woche den richtigen Riecher, als er kurzerhand seine Werkzeuge in die Wohnung im 4. Stock brachte. Noch rechtzeitig, bevor die Wassermassen den Keller überfluteten. „Wir haben 100 Prozent Verlust hier unten“, sagt er, als er den Reporter in die unterste Etage des Mehrfamilienhauses geleitet.

Und: „Meine Frau hat zu mir gesagt: ,Wir brauchen nicht zu überlegen, was wir behalten und was wir wegschmeißen’.“ Die Brackmanns haben trotz der Unwetterfolgen den Humor nicht verloren.

Auf einer Länge von 160 Metern

Die Anwohner Hanno Brackmann (rechts) und Siegfried Neumann hoffen, dass der Sperrmüll so schnell wie möglich entsorgt wird.
Die Anwohner Hanno Brackmann (rechts) und Siegfried Neumann hoffen, dass der Sperrmüll so schnell wie möglich entsorgt wird. © WP | Rolf Hansmann

Wenn der Rentner den meterhohen Sperrmüll sieht, der auf einer Länge von 160 Metern am Straßenrand vor ihrer Haustür liegt, vergeht ihm allerdings das Lachen. Die Brackmanns wohnen in der Straße „Am Widey“ mitten in der Hagener Innenstadt, eine Wohneinheit mit „85 Familien in sieben Häusern“ direkt an der Volme. Der Fluss riss vor einer Woche ganze Baumstämme mit.

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Noch an vielen Straßen in Hagen türmen sich Sperrmüll-Berge. Die Straße „Am Widey“ ist hier nur ein Mini-Kosmos im Flutgeschehen der Stadt.

Verdreckte Koffer neben Stühlen, Farbeimern und Mülltüten

Tagelang haben die Anwohner die jetzt unbrauchbaren Gegenstände im Keller aus dem Haus geschleppt, neben 400 Eimern Schlamm, wie Hanno Brackmann betont. Jetzt finden sich verdreckte Koffer neben Weihnachts-Dosen, Monoblock-Stühlen, Farbeimern, kaputten Regenschirmen, Mülltüten und vielem anderen mehr.

Die Stichstraße „Am Widey“ ist offenbar zum Pilgerort für Schaulustige geworden, die die Folgen der Naturkatastrophe per Handy-Foto festhalten wollen. „Die wollen sich an unserem Elend ergötzen“, klagt Hanno Brackmann, dessen Gesicht sich noch weiter verfinstert, als er auf die Plünderer zu sprechen kommt: „Die kommen mit Taschen und Beuteln und stehlen aus dem Sperrmüll, was das Zeug hält. Selbst die Plastiksäcke, in denen wir extra Müll getrennt haben, reißen sie auf und lassen hinterher das liegen, was sie nicht brauchen.“

Scheinwerfer leuchtet vom Balkon auf die Straße

Abends, so erzählt der Rentner, leuchtet er mit einem Scheinwerfer von seinem Balkon im vierten Stock die Straße aus: „Die scheuen das Licht.“ Die Hagener Polizei berichtete am Dienstag von „erneuten Einsätzen sogenannter Schrottsammler“ im Stadtgebiet.

Hanno Brackmann und seine Nachbarn haben sogar Fische und einen Krebs aus dem Keller geholt und wieder in der Volme ausgesetzt. Die Flut nahm dagegen manche sehr persönliche Erinnerung in dem Mehrfamilienhaus unwiederbringlich mit: „Eine Nachbarin hat ihre Hochzeitsbilder verloren, eine andere das Puppenhaus der Tochter.“

Durchdringender Geruch

Wenn der 79-Jährige mit seiner Frau auf dem Balkon sitzt, steigt ihnen ein durchdringender Geruch in die Nase. „Das kontaminierte Wasser der Volme stank nach Öl und Fäkalien“, sagt Brackmann, „umso wichtiger, dass der Mist endlich wegkommt.“ Er zeigt auf den meterhohen Sperrmüll.

Nachbar Siegfried Neumann gesellt sich hinzu. Er sorgt sich, dass die langgezogene Müllhalde auf der Straße zu einem Schlaraffenland für ungebetene Gäste wird: „Je wärmer und übelriechender es wird, umso mehr Ratten kommen. Die tanzen hier doch Samba.“

Bekannter wollte helfen

Neumann hat vor Tagen den Anruf eines Bekannten aus Olpe erhalten. „Er wollte für uns kostenlos den Sperrmüll mit seinem Container entsorgen.“ Der örtliche Entsorger stoppte ihn, so Neumann: „Man sagte ihm am Telefon, dass man nur mit Hagener Betrieben zusammenarbeite.“ Neumann und Brackmann schauen sich betreten an. Ihnen fehlen die Worte.