Hagen. Die Schäden durch den Starkregen übersteigen in Hagen die Vorstellungskraft. Unterwegs mit drei Menschen, die gerade fast Unmögliches leisten.
Drei Tage sind vergangenen seit dem Jahrhundertregen. Wo das Wasser nicht mehr rauscht, da bleiben Schlamm und Schäden zurück. Unterwegs in Hagen, einem der am schwersten betroffenen Orte in in Deutschland, mit drei Menschen, die versuchen, dass möglichst bald alles wieder möglichst gut wird.
Der Feuerwehrmann
Knarzend erhebt sich eine Stimme aus dem Funkgerät, das Dennis Hoff am Kragen trägt. Nächster Einsatz, wie in der Taxizentrale. Wer kann? Wer will? Noch läuft hier im Norden Hagens das Wasser aus einem dicken Schlauch in den Abwasserkanal. Das Haus, in dem eine Wohngruppe für Kinder und Jugendliche mit erhöhtem pädagogischen oder therapeutischen Bedarf untergebracht ist, ist vom Wasser überrascht worden. Es muss aus dem Keller gepumpt werden. Einer von 640 Einsätzen, die am Freitagmorgen im Stadtgebiet noch unerledigt sind. „Wir kommen immer“, sagt Hoff und lächelt. „Auch wenn es derzeit etwas länger dauert.“
Tatsächlich wird jedem seit der Nacht von Dienstag auf Mittwoch abgesetzten Notruf nachträglich nachgegangen. Schauen, ob noch was zu tun ist und ob auch wirklich alles in Ordnung ist.
„99 Prozent der Menschen freuen sich, wenn wir kommen, selbst wenn der Anruf bei der Feuerwehr schon länger her ist. Bei anderen liegen einfach die Nerven blank. Das nehmen wir denen dann auch nicht übel. Das hier ist der Ausnahmezustand.“ Wieder die knarzende Stimme.
Um 3 Uhr in der vergangenen Nacht fuhren sie den letzten Einsatz, den ersten am Morgen um 9 Uhr. So geht das seit Tagen. Meistens: Keller auspumpen. So wird das in den nächsten Tagen weitergehen. „Wir müssen uns Ruhephasen gönnen, sonst steigt auch das Verletzungsrisiko. Aber ansonsten hören wir erst auf, wenn alles fertig ist.“ Die knarzende Stimme.
Aber wann wird das sein? Wann wird alles erledigt sein? Das ist die Frage, die sich vor allem Betroffene stellen. „Das wird für viele eine Mammutaufgabe. Wenn das Wasser weg ist, werden Bautrocknungsgeräte wichtig werden, die dann alle brauchen werden. Und der Schlamm wird, wenn er trocknet, betonhart.“
Das Wasser hört auf, sich aus dem Schlauch zu ergießen. Zusammenrollen. Einsteigen. Knarzende Stimme. Nächster Einsatz.
Der Elektriker
Mit der Taschenlampe leuchtet Daniel Piotrowski die Treppen hinab. Der Lichtkegel spiegelt sich im Wasser. Mehr Licht gibt es nicht. Der Strom ist im gesamten Block abgeschaltet. Das alte Fabrikgebäude nahe der Innenstadt, in dem u.a. ein italienisches Restaurant, ein Küchenstudio und Büroflächen untergebracht sind, hat das Wasser der in Wurfweite schnellenden Volme erwischt. Der ganze Keller voller Wasser. Die Sicherungskästen auch.
„Das muss alles raus“, sagt Piotrowski, Elektriker-Meister, beim Blick auf die riesigen Elektroschränke. In den vergangenen drei Nächten hat er insgesamt fünf Stunden geschlafen, gegessen am Freitagmittag noch nichts außer zwei kleine Schokoriegel. Er will jetzt für seine Kunden da sein, so gut er kann. „Ich kann die ja nicht im Stich lassen.“ Aber es reicht bei weitem nicht. Alle zehn Minuten, sagt er, klingelt das Handy.
Wenn – wie in diesem Haus – der Sicherungskasten unter Wasser gestanden habe, dann wird das kompliziert. „Das kann man nicht einfach wieder einschalten.“ Jede Pumpe, jedes Schaltgerät, jede Sicherung muss erneuert werden. Die beiden Sicherungskästen allein? Rund 20.000 Euro Schaden.
„Was ist mit der Photovoltaikanlage“, fragt Piotrowski den Mann neben sich, Dennis Lorenz, den Technischen Leiter der Immobilie. Sind die eingeschaltet? Dann drohe Gefahr. Der Teufel steckt im Detail.
Piotrowski kann bei solchen Besuchen nicht viel tun, außer Fotos machen, Bestellungen notieren – und davor warnen, zu glauben, dass das alles morgen erledigt ist. „Wegen Corona haben viele Firmen in Kurzarbeit produziert. Jetzt ist schwer an Kupfer dranzukommen und selbst an einfache Plastikabdeckungen.“
Piotrowski muss gleich weiter. Ein Wohnhaus in Hagen-Haspe mit acht Parteien hat er am Morgen soweit wieder hergerichtet, dass der Energieversorger den Strom wieder anstellen kann. Aber erst, wenn Piotrowski bestätigt hat, dass das unbedenklich ist. Unterschrift unters Formular. Er wartet auf den Anruf, wann er kommen soll.
Die Betroffenen
Entkräftet kommt Dennis Neudeck aus dem Haus geschlurft. Hosenträger halten die Hose, die schwer ist vor Nässe. Matsch klebt an seiner Stirn. „Es geht nicht mehr“, sagt er und setzt sich auf einen der Betonkübel, von denen jeder 48 Kilogramm wiegt und die im Garten verteilt liegen wie Legosteine. „Ich denke gar nicht mehr, man funktioniert einfach“, sagt er. Seit drei Tagen geht das so.
Unterhalb des Schlosses Hohenlimburg wohnen sie. Das Wasser stand mannshoch im Keller, hat den Garten verwüstet. Auf der Fassade zieht sich ein Riss aus dem Erdgeschoss nach oben.
„Wir haben uns zuerst gefragt: Wo sollen wir nur anfangen?“, sagt seine Frau Jasna. Doch seitdem machen sie einfach, bringen wie die Nachbarn alles aus dem Keller hinaus auf die Straße: Berge aus Schränken, Regalen, Fahrrädern, Reifen und Spielzeugen türmen sich am Fahrbahnrand auf. „Großes Lob an die Stadt: Alle paar Stunden bringen die einen neuen Container für den Müll“, sagt Jasna. Kleine Glücksmomente wie der, als die Bundeswehr mit Panzern die Straße hochfuhren. Es kommt jemand, wie bekommen Hilfe. Das war das Zeichen, das sie brauchten.
Auch wenn sie mehrheitlich auf sich gestellt sind. In der Nacht, als das Wasser kam, hatten sie die Feuerwehr gerufen. In sechs Stunden könnten sie da sein, hieß es. Noch war sie nicht da. Sie verstehen das, woanders sei es eben noch schlimmer gewesen. „Wir haben uns, wir haben die Nachbarn, jeder hilft dem anderen. Wenn ich in andere Teile des Landes gucke und höre, dass Menschen sterben, dann ist das hier nichts dagegen“, sagt Jasna.
Dirk Raschke nickt. Auch er trieft vor Dreck. Seine Stimme ist so heiser, dass sie zwischenzeitlich immer wieder versagt. Sie wurde in den vergangenen Tagen strapaziert, weil sie gegen das Rauschen des Wassers ankommen musste. „Wir müssen hier jetzt eben die Arschbacken zusammenkneifen“, sagt er. Kollegen von ihm und von Dennis Neudeck sind heute zum Helfen da. Sie sind dankbar dafür.