Soest. Ab Samstag öffnet in NRW die Außengastronomie wieder. Voraussetzung: eine Inzidenz unter 100. Soest spielte bereits am Mittwoch den Vorreiter.
Ein kleiner Schluck für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit. 12. Mai 2021, 11.30 Uhr, eine Punktlandung, sozusagen ein historischer Moment: Das erste frisch gezapfte Bier nach sechseinhalb Monaten gastronomischer Corona-Zwangspause.
Das zwischenzeitliche Paradies in der Pandemie ist einer der 28 Tische im Außenbereich des Gasthauses „Im Wilden Mann“ auf dem Soester Marktplatz. Ein Hauch von Normalität, verpackt in feinherber Hopfennote aus Südwestfalen. Glückselige Gesichter, wohin man blickt. Welt, lass dich umarmen, welch ein Tag!
Restaurants und Cafés waren seit dem 1. November 2020 geschlossen
Die Hansestadt ist wie Kreis-Nachbar Lippstadt Modellkommune in NRW. Seit Mittwoch dürfen die Außenbereiche von Restaurants und Cafés wieder öffnen. Die ersten in NRW seit dem 1. November 2020.
Fast zeitgleich mit dem Start in Soest verkündete die Landesregierung, dass ab Samstag (15. Mai) im ganzen Land Außengastronomie wieder für Genesene, Getestete und Geimpfte starten kann - wenn der Inzidenzwert fünf Tage nacheinander unter 100 liegt.
Vorsprung gegenüber anderen Kommunen
Am Mittwoch lagen nur 15 von 53 Kreisen und kreisfreien Städten unter der 100er-Marke. Auch wenn Soest von der neuen Entwicklung überrollt wurde, hat es angesichts der intensiven Vorbereitungen einen Vorsprung gegenüber anderen Kommunen.
Beim Soester Modellprojekt dürfen Gäste einen Außenbereich betreten, wenn sie vorher einen Platz reserviert haben und einen negativen Schnelltest vorlegen können, der nicht älter als 24 Stunden ist.
Mit Hilfe eines QR-Codes registriert
Auf den Plätzen werden die Kontaktdaten per Smartphone über einen QR-Code aufgenommen. Ruckelt es mit der Technik, ist da in Ausnahmefällen immer noch der gute alte DIN-A-4-Zettel samt Kugelschreiber. An einem Tisch dürfen nur fünf Personen aus zwei Haushalten sitzen.
„Die Nachfrage ist riesig“, sagt Yvonne Pälmer, als am Eingang mal nicht das Telefon klingelt oder Menschen vorbeikommen, um einen Tisch für die kommenden Tage zu reservieren. Yvonne Pälmer betreibt zusammen mit Ehemann Thorsten Hotel und Gastronomie in dem historischen Fachwerk-Doppelhaus. Erbaut 1618.
Eigentlich zum Shoppen nach Soest gekommen
„Den Menschen begegnen – früher wie auch heute das Salz in der Suppe des Lebens“, hat sie auf ihre Internetseite geschrieben. Am Wiedereröffnungstag bekommt man – auch wenn es in der Stadt zunächst eher ruhig an den Plätzen unter freiem Himmel zugeht – einen Eindruck, wie sehr das Coronavirus in die Suppe gespuckt hat, wie groß der Unterschied zwischen einer Rinderkraftbrühe im Außerhaus-Verkauf und der im Porzellanteller am Gasthaus-Tisch gereichten Suppe ist.
Christine Poetsch und Stefan Middendorf sind extra aus Iserlohn nach Soest gekommen. Eigentlich zum Shoppen. Als sie die freien Plätze vor dem „Wilden Mann“ sahen, sind sie spontan in eine Apotheke gegangen und haben sich testen lassen.
Das erste gezapfte Bier-Mischgetränk seit sieben Monaten
Middendorf hat das erste gezapfte Glas Krefelder seit sieben Monaten getrunken. „Es fühlt sich wie ein neues Leben an“, sagt er. Seine Augen glänzen. Ähnliches gilt für Irene und Thomas Wagner, die es aus Dortmund nach Soest verschlagen hat. „Wir sind total glücklich, dass wir endlich mal wieder draußen essen und trinken können.“
Das Wetter spielt im übrigen mit: Mittags herrschen angenehme 16 Grad. Die angekündigten zeitweiligen Regenschauer bleiben zunächst aus. Für alle Fälle schützen riesige Sonnenschirme im „Wilden Mann“ die Besucher.
Auch 130 Meter entfernt, an der Kult-Kneipe „Der Kater“, muss die neue Freiheit erst noch anlaufen. Die große Nachfrage ist den Reservierungen zufolge ohnehin abends, an Christi Himmelfahrt und am Wochenende.
Zehn Tische hinter der Kneipe
Karl-Heinz Wollenhaupt kann endlich wieder Gäste an den zehn Draußen-Tischen bedienen. „Es wird alles so sein wie vor einem halben Jahr“, nimmt er Befürchtungen den Wind aus den Segeln, das in der Zwangspause das Rad neu erfunden wurde. „Die Leute wollen einfach raus“, sagt der Wirt, der den „Kater“ seit 28 Jahren hegt und pflegt.
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Derweil feiert Claudia Maas am Brüdertor das Einjährige ihres „Joos Nudelcafe“. „Was heißt ein Jahr?“, fragt die freundliche Soesterin („Ich bin ein Ein-Mann-Betrieb“). „Den Laden konnte ich bislang nur sechs Monate öffnen.“
Steigen die Fallzahlen nach den Lockerungen womöglich wieder an?
Am Mittwoch hat sie den Außenbereich mit sieben Tischen noch nicht für Gäste freigegeben. „Wegen der vielen Auflagen warte ich so lange, bis das Wetter konstant gut ist.“ Natürlich sei sie in Sorge, dass durch die Lockerungen die Corona-Fallzahlen in Soest wieder ansteigen könnten, sagt sie. Und doch versprüht sie Optimismus, nicht nur auf das Wetter bezogen: „Die Sonne wird schon kommen.“
Ähnliche Gedanken hat auch Heinz Ebbinghaus. Und doch schlagen zwei Herzen in der Brust des Hausarztes: „Der Mensch ist ein kommunikatives Wesen. Er hat das Bedürfnis, sich mit anderen Menschen zu treffen“, sagt der Mediziner, der sich auch für die Gastronomen freut.
Es bleibt immer ein Restrisiko
„Es ist Zeit für gewisse Lockerungen. Aber die müssen mit Bedacht sein.“ Gleichzeitig kommt der Arzt in ihm durch. „Die Infektionsgefahr ist an der frischen Luft deutlich geringer als in Innenräumen. Aber es bleibt immer ein Restrisiko, wenn es in der Innenstadt voll wird und es ein Gedränge gibt.“
Die Stadt-Verantwortlichen hatten im Vorfeld vor einem Ansturm von Biergarten-Touristen gewarnt: „Wir wollen kein Anziehungspunkt für das gesamte Ruhrgebiet werden“, so Bürgermeister Eckhard Ruthemeyer.
Gesundheitsschutz hat weiter Vorrang
Jetzt appelliert er an auswärtige Gäste: „Bitte kommen Sie nur mit fester Tischbuchung nach Soest.“ Das Modellprojekt, so findet er, „bietet den Betrieben und den Menschen eine Perspektive in eine neue, lebenswerte Normalität“. Der Gesundheitsschutz habe aber weiterhin Vorrang.
Derweil haben Yvonne Pälmer und ihr Team vom „Wilden Mann“ am Eröffnungstag alle Hände voll zu tun, insbesondere um Gästen an den Tischen bei der Registrierung per QR-Code zu helfen. Angesichts der Glücksgefühle bei den Gästen will die Wirtin nicht darüber nachdenken, was im Falle einer abermaligen Notbremse, sprich: Schließung („das haben wir schon bei den diversen Lockdowns erlebt“) passiert. „Wir wollen jetzt einfach nur noch nach vorne schauen.“