Schmallenberg. Das Festival Die Textile in Schmallenberg verbindet Gegenwartskunst und Mitmachkultur. Es startet am 8. Mai.
Die Roben scheinen wie aus Zeit und Raum gefallen. Extragalaktische Rüstungen, Exoskelette, gepanzerte Brigantinen für Kriegerprinzessinnen von fernen Sternen. Tatsächlich handelt es sich bei den faszinierenden Kleiderskulpturen von Stephan Hann in der Schmallenberger Lennegalerie um Wohlstandsmüll. Zu sehen sind sie in der Ausstellung „Stoffsuche“ beim Festival „Die Textile“, das vom 8. Mai bis zum 5. September avantgardistische Kunstpositionen mit Mitmachkultur verbindet.
Corona kann das Festival nicht stoppen. Viele Angebote werden nach Draußen verlegt, andere in den digitalen Raum. Die lichtempfindlichen Kleiderobjekte zum Beispiel können mittwochs bis samstags zwischen Sonnenuntergang und Beginn der Ausgangssperre von 20 bis 21 Uhr durch die Glasfenster des Lenneateliers von Außen bewundert werden.
„Ich habe diese Positionen unter dem Stichwort Stoffsuche ausgewählt, weil ich die Betrachter einladen möchte: Sucht doch Stoff“, schildert die Paderborner Museumsleiterin Dr. Andrea Brockmann, die das Festival erfunden hat und ihm als Kuratorin verbunden bleibt. „Wenn wir Schaufensterpuppen sehen, denken wir sofort an Kleidung. Stephan Hann transformiert dieses Bild.“
Plastiktüten und Kaffeefilter
Der Stoff, aus dem des Künstlers neue Kleider sind, besteht aus Tetrapaks, Plastiktüten, Kaffeefiltern, alten Telefonbuchseiten, ausgedienten Militärportemonnaies, Tonbändern, Schrottplatinen und Filmnegativen. „Bei diesen Arbeiten gefällt mir die Gesellschaftskritik, die Nachhaltigkeit: Wie gehen wir mit unseren Textilien um? Es geht um Konsumverhalten und Wegwerfgesellschaft, aber auch um Upcycling“, so Andrea Brockmann.
Das Festival gilt als viel gelobtes Beispiel dafür, wie herausragende Kultur im ländlichen Raum funktionieren kann. Die Textile will ins Bewusstsein rufen, wie vielfältig und unerwartet das Textile in der Kunst eingesetzt wird. Materialien wie Stoff, Wolle, Garn, Techniken wie Nähen, Stricken, Häkeln, Weben sind ist überdies mit vielen Assoziationen, Symbolen und auch Klischees behaftet. In der künstlerischen Aneignung werden solche Bedeutungen hinterfragt und verwandelt.
Mit Garnfäden malen
Die Kölner Malerin Susanne Waltermann etwa malt mit schwarzen Garnfäden. Ihre Nähungen sind im Kunsthaus Alte Mühle gehängt und können bei entsprechend niedriger Inzidenz besichtigt werden. Durch diese singuläre Technik entstehen Arbeiten von großer Poesie und Stille, welche auf vielfältige Bedeutungsebenen verweisen. „Der Faden ist in diesen Arbeiten auch der biographische Faden. Alles hängt an einem Faden. Das wird hier verbunden mit einer weiteren Ebene des Begriffs Stoff. Stoff, das sind Geschichten, Stoffsammlungen sind Erzählungen“, erläutert Andrea Brockmann.
Audiowalk und Rallye
Aspekte der textilen Kunst eignen sich ebenfalls gut für die Mitmachangebote, welche ein wesentlicher Baustein des Festivals sind. So haben die Schmallenberger Dorfgemeinschaften aus alten Fahnenstoffen neue Fahnen gestaltet. Barbara Rickert und Roman Schauerte interviewten Zeitzeugen der Schmallenberger Textilindustrie. Das Ergebnis ist ab 8. Mai als multimedialer Audiowalk über QR-Codes und eine Tourenapp in der Stadt zu erkunden. Auch das textile Mitmachfest am 15. und 16. Mai wird in den öffentlichen Raum verlegt. Interessierte haben die Möglichkeit, bei einer Rallye durch die Innenstadt verschiedene Aufgaben zu lösen. Die Jugendkunstschule begleitet die Aktion technisch. „Wir wollten nichts ausfallen lassen“, schildert Kulturamtsleiterin Saskia Holsträter. „Alles, was möglich war, soll möglich werden. Deshalb haben wir die Textile bis zum 5. September verlängert und versucht, neue digitale Formate zu entwickeln.“
Strickliesel-Projekt als Herausforderung
Ganz und gar analog ist jedoch das Stricklieselprojekt als große Mitmach-Herausforderung. Das Ziel: einen 1,4 Kilometer langen Schlauch mit einer schulkindgroßen Strickliesel der Holzbildhauerin Sandra Tusch-Dünnebacke zu fertigen. Einzelpersonen, Gruppen und Vereine, darunter auch ein Motorrad-Club, lassen die Strickliesel derzeit reihum gehen. Mit dem fertigen Schlauch soll ab 12. Juni die Ost- und Weststraße im Ort umrundet werden, als Symbol für Verbundenheit, Gemeinschaft und Tatkräftigkeit. Der jeweilige Längen-Stand wird per Liveticker auf der Internetseite der Stadt angezeigt; am Freitag um 14.16 Uhr waren bereits 366,7 Meter gestrickt. „Das Thema Mitmachen ist ganz wichtig. Das Projekt wird sehr gut angenommen“, unterstreicht Festival-Leiterin Christine Bargstedt und ergänzt: „Eigentlich ist die ganze Innenstadt eine Ausstellung.“