Hagen. Viele warten sehnsüchtig auf einen Impftermin. Andere lassen ihn einfach verstreichen. Impfzentren berichten von vielen Fällen. Die Hintergründe.

Seitdem sich die Hausärzte an der Impfkampagne gegen das Coronavirus beteiligen, nimmt die Sache Fahrt auf. Jeder Geimpfte ist eine Sorge weniger. Zumindest solange er nicht anderen den Platz wegnimmt. Aber genau das passiert zuletzt immer häufiger in vielen Impfzentren. Dreistigkeit? Unbedachtheit? Nur eine von vielen Fragen zum Thema Impfen.

Was ist das Problem?

Die Mehrheit der Impfzentren in Südwestfalen stellt eine zunehmende Anzahl derer fest, die zwar einen Termin haben, dann aber nicht erscheinen – und auch nicht vorher absagen. Im Kreis Olpe sind am vergangenen Wochenende 40 Prozent aus der Gruppe der Über-70-Jährigen trotz Terminbuchung nicht erschienen. Im Hochsauerlandkreis waren es am Montag etwa 70 Fälle. Der Kreis Soest, der Märkische Kreis und der Ennepe-Ruhr-Kreis machen diese Erfahrungen auch immer wieder.

Ist das ein neues Phänomen?

Neu sind verfallende Termine nicht. Schon als Zweifel am Impfstoff Astrazenca aufkamen, blieben Impflinge den Zentren unangekündigt fern. Doch am Impfstoff liegt es derzeit offenbar eher nicht, denn den über 70-Jährigen stehen im Normalfall Biontech und Moderna zu.

Wie kommt es dann zu dem Problem?

„Ein Grund könnte sein, dass der Hausarzt impft und die Termine leider nicht abgesagt werden“, vermutet der Hochsauerlandkreis. „Wir gehen davon aus, dass die Termininhaber bereits an anderer Stelle geimpft wurden“, heißt es aus Soest. Olpe und der Märkische Kreis stellen dieselben Überlegungen an. Seit zwei Wochen impfen die Hausärzte mit. Seitdem stiegen die Zahlen, bemerkt der Ennepe-Ruhr-Kreis: „Der zeitliche Zusammenhang ist messbar.“

Ist das gedankenlos oder dreist?

Hängt vom Einzelfall ab. Generell sollte allein schon aus Gründen des Anstands klar sein, dass Termine, die nicht wahrgenommen werden, abgesagt werden sollten. „Nach wie vor warten vielen Menschen auf die Chance, sich impfen lassen zu können. Da ist es mehr als ärgerlich, wenn gebuchte Termine verfallen und Impfungen folglich ausfallen“, teilt der Ennepe-Ruhr-Kreis mit. „Scheinbar ist nicht allen bewusst, wie kostbar der Impfstoff ist“, sagt Stefan Spieren, ärztlicher Leiter des Impfzentrums im Kreis Olpe. Der Kreis Soest hat Rückmeldung von Bürgern bekommen, es sei „zu kompliziert, den Termin im System der KVWL abzusagen“. Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe hält ihr Online-System für „ziemlich simpel“. Wer sich über das Portal angemeldet habe, müsse sich mit seinem Passwort wieder einloggen und seinen Termin entsprechend verwalten. Ein Anruf im Impfzentrum ist zwecklos. Apropos dreist: Der Hochsauerlandkreis meldet, dass Personen vermehrt Probleme bereiten, „die ohne Berechtigung Termine buchen und dann abgewiesen werden müssen“.

Was passiert, wenn Impfstoff übrig bleibt?

„Im Impfzentrum entsteht dann ein riesiger logistischer Aufwand“, sagt Martin Reuther vom Hochsauerlandkreis. Die 70 übrig gebliebenen Impfdosen des vergangenen Montags müssen dann an den Mann oder die Frau gebracht werden. Nachrückerlisten, wie sie jedes Impfzentrum vorhält, müssen abtelefoniert werden. „Jeder nicht abgesagte Termin führt zu zusätzlicher Arbeit“, sagt Reuther. An manchen Abenden dauere es bis 22 Uhr, bis das überschüssige Serum verimpft ist. Der Märkische Kreis richtete am Wochenende einen Aktionstag ein, an dem Hausärzte übrig gebliebene Dosen erhielten und verimpften: 45 niedergelassene Ärzte beteiligten sich, 4500 Personen erhielten eine Impfung.

Was sagen die anderen Kreise und Städte der Region?

Das Hagener Impfzentrum beobachtet das Phänomen von nicht abgesagten Terminen durch die Gruppe Ü70 bislang nicht. Im Kreis Siegen-Wittgenstein werden durchgehend rund drei Prozent aller Termine nicht wahrgenommen. Kein Anstieg also. In Einzelfällen habe man aber nachgefragt, warum Impflinge nicht erschienen seien. „Gerade die Älteren sagten, dass sie doch lieber zum Hausarzt gehen würden“, teilt Kreissprecher Torsten Manges mit. Gerade in einem Kreis mit großer Fläche wie Siegen-Wittgenstein sei das nachvollziehbar, da mancher Bürger eine Stunde Autofahrt absolvieren müsse, um ins Impfzentrum zu gelangen.

Ist das Warten auf das Impfen beim Hausarzt klug?

Der kürzere Weg, das größere Vertrauen – es kann viele Gründe geben. „Das ist ein zweischneidiges Schwert“, sagt Vanessa Pudlo, Sprecherin der KVWL: „Wer einen Termin im Impfzentrum hat, sollte den auch wahrnehmen und nicht auf den Hausarzt warten. Denn noch bekommen die Hausärzte nur sehr geringe Mengen an Impfstoff.“ Und der wird für die chronisch Kranken verwendet.

Welche Probleme gibt es bei den Hausärzten?

Neben den immer noch geringen Mengen an Impfstoff klagen Hausarztpraxen über mangelnde Organisation. „Es ist immer erst sehr kurzfristig klar, mit wie viel Impfstoff eine Praxis in der jeweiligen Woche tatsächlich rechnen und planen kann“, sagt Anke Richter-Scheer, 1. Vorsitzende des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe: „Die Praxen müssen viel Energie in die Terminorganisation und –umorganisation stecken. Niemand möchte seine Patienten enttäuschen. Das passiert aber dann, wenn wir bereits einbestellte Patienten wieder abbestellen müssen, da sich adhoc die Liefermenge des zugesagten Impfstoffes reduziert hat.“