Medebach/Gevelsberg. Haus- und Fachärzte in der Region wären startklar für Corona-Impfungen in ihren Praxen. Doch noch fehlen ihnen Informationen zu den Abläufen.

Als Tim-Henning Förster vor Tagen in einem Kindergarten war, nahm ihn eine Erzieherin zur Seite. „Sagen Sie mal“, so die Patientin des Hausarztes aus dem Hochsauerland, „werden bald Corona-Schutzimpfungen in Ihrer Praxis angeboten?“ Höchstwahrscheinlich im April, antwortete der 44-Jährige und erkannte umgehend ein Lächeln im Gesicht der Kindergarten-Mitarbeiterin: „Ich wollte mich eigentlich nicht impfen lassen, aber wenn Sie das machen, überlege ich es mir doch noch anders.“

Für Förster ein weiterer Beleg dafür, „dass die Leute uns Hausärzten vertrauen“. Am Montagabend wurde seine Aussage Gewissheit: Die Gesundheitsministerkonferenz verständigte sich darauf, dass tatsächlich Anfang kommenden Monats Corona-Impfungen in Praxen niedergelassener Ärzte starten sollen.

Impfbereitschaft in der Bevölkerung könnte steigen

„Ich habe sowieso nie verstanden“, sagt Förster, „warum niemand auf die Idee gekommen ist, uns zu beauftragen. Impfungen sind Basisarbeit für uns, die Impfbereitschaft in der Bevölkerung könnte jetzt noch weiter steigen.“

Tim-Henning Förster, Facharzt für Allgemeinmedizin, Chirotherapie, manuelle Medizin, Ärztliche Osteopathie und Rettungsmedizin, leitet zusammen mit zwei Kollegen die „Sauerlandpraxis“ in Medebach, Hallenberg und Winterberg. „Wir könnten sofort starten“, sagt er, was wohl vielerorts gilt.

Terminvergabe online und per Telefon

Und er fragt: „In der letzten Grippe-Saison haben wir 1800 Impfungen in unseren Praxisräumen durchgeführt – warum sollten wir die Corona-Schutzimpfung nicht schaffen?“

Hat er nicht Sorge, dass der normale Praxisablauf durcheinandergewirbelt wird, wenn der Ansturm der Impfwilligen einsetzt? „Das wird wie bisher parallel laufen. Wir werden eine Medizinische Fachangestellte dafür abstellen und eine Terminvergabe online und per Extra-Telefon anbieten.“

Kürzere Wege zu den Praxen

Der Hausarzt denkt insbesondere an die betagten Patienten, die an der Terminvergabe für Impfzentren gescheitert sind. „Die werden es jetzt auch wegen des kürzeren Weges zur Praxis leichter haben.“ Das könnte ebenso für jene gelten, die aufgrund ihres Gesundheitszustandes ihre eigenen vier Wände nicht verlassen können: „Sie könnten bei Hausbesuchen geimpft werden.“

Flexibilität bei der Impfreihenfolge

Bayern ist offenbar weiter als NRW: Einige Hausarztpraxen in Stadt und Landkreis Hof (Bayern) erproben in einem Pilotprojekt ab dieser Woche Corona-Impfungen.
Bayern ist offenbar weiter als NRW: Einige Hausarztpraxen in Stadt und Landkreis Hof (Bayern) erproben in einem Pilotprojekt ab dieser Woche Corona-Impfungen. © dpa | Nicolas Armer

Damit ist Förster schon beim Thema Impfreihenfolge oder auch: Priorisierung. „Wir brauchen unbedingt Flexibilität. Die fehlt bislang völlig.“ Er wisse, dass der eine oder andere Patient versuchen werde, „drängelnd vorzupreschen“. Aber: „Bei Grippe-Impfungen gehen bislang auch schon zunächst die älteren und schwer erkrankten Patienten vor.“

Probleme bei der Lieferung und Lagerung des Impfstoffs sieht Förster nicht: „Unter unserer Praxis in Medebach befindet sich eine Apotheke. Wir können sicher sein, dass wir weiter zuverlässig beliefert werden.“ So könnte die Sauerland-Praxis durchaus 100 Impfungen am Tag schaffen, glaubt Förster. Das gehe aber nur, wenn der bürokratische Aufwand so gering wie möglich gehalten werde.

Weniger Bürokratie notwendig

Da spricht er dem Gevelsberger Allgemein- und Betriebsmediziner Ludger Keßel aus der Seele. Keßel ist stellvertretender Leiter des Impfzentrums des Ennepe-Ruhr-Kreises und stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes selbstständiger Arbeitsmediziner und freiberuflicher Betriebsärzte. „Jeder Patient im Impfzentrum hat sechs DIN-A4-Seiten. Wenn in den Praxen niedergelassener Ärzte zügig geimpft werden soll, muss der bürokratische Aufwand heruntergeschraubt werden.“

Keßel zufolge können in dem EN-Impfzentrum 700 bis 1000 Menschen pro Tag geimpft werden. „In meiner Praxis könnte ich am Tag 50 Patienten schaffen.“ Bedenkt man, dass in Deutschland laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) 75.000 Haus- und Facharztpraxen zur Verfügung stehen, könnte so die Impfkampagne deutlich an Fahrt aufnehmen.

Mehr Freiheiten bei der Impfreihenfolge

Grundvoraussetzung aber aus Sicht des Gevelsberger Mediziners: Die Impfungen in Praxen müssten flexibler umgesetzt, den niedergelassenen Medizinern mehr Freiheiten bei der Impfreihenfolge gegeben werden. Sie seien es eben, die die Schwere einer Erkrankung und den Leidensdruck genau einschätzen und so die Dringlichkeit einer Impfung einschätzen könnten.

Und das alles sehr verantwortungsvoll, auch wenn man schnell ins Spannungsfeld mit wirtschaftlichen Interessen geraten kann: „Wenn ein Arzt einem Patienten sagen muss, dass er nicht sofort, sondern erst in 14 Tagen an der Reihe ist, könnte er ihn verlieren. Nicht jede Praxis kann sich das leisten.“

Hintergrund:

Impfungen in Praxen: Noch viele Detailfragen ungeklärt

Viele Haus- und Fachärzte im Land sehen sich gerüstet für Corona-Schutzimpfungen in ihren Praxen. Doch wie diese ablaufen sollen, welche Impfstoffe geliefert oder welche Vorgaben für Impfreihenfolgen gegeben werden oder ob auch bei Hausbesuchen geimpft werden kann – darüber herrschte am Tag nach der Ankündigung der Gesundheitsminister von Bund und Ländern zur Einbeziehung von niedergelassenen Ärzten bei der Impfkampagne großes Rätselraten.

Informationen liegen noch nicht vor

Die „Kommunikation über die Rahmenbedingungen für die Impfungen läuft eher schleppend“, sagt Tim-Henning Förster von der Sauerlandpraxis in Medebach und wählt bewusst sehr zurückhaltende Worte. „Wir können gut nachvollziehen, dass die Ärzte nicht erfreut darüber sind, dass noch keine Informationen zu ihnen vorgedrungen sind“, sagt Vanessa Pudlo, Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) mit Sitz in Dortmund, „das liegt schlicht und ergreifend daran, dass diese Informationen noch nicht vorliegen.“

Derzeit stimmten sich Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigungen Westfalen-Lippe und Nordrhein mit dem Landesgesundheitsministerium „in vielen Detailfragen über das genaue Verfahren ab“: zum Beispiel, welcher Impfstoff verwendet werden kann und welche Mengen davon an die Praxen gehen.

Impfstoffmenge steigt im April

Klar sei, so die KVWL-Sprecherin weiter, dass die Impfstoffmenge im April deutlich ansteige. Aber: „Der Impfstoff wird noch nicht in solch ausreichender Menge zur Verfügung stehen, dass alle geimpft werden können.“

Auch wenn mit Hochdruck an den Rahmenbedingungen für den Einsatz in Haus- und Facharztpraxen gearbeitet werde, könne es noch etwas dauern, bis alle Detailfragen geklärt sind, so Vanessa Pudlo. „Es ist eben ein sehr komplexes Thema.“