Hagen/Gevelsberg. Wer shoppen und bummeln möchte, braucht ganz offiziell einen Termin. Warum es auch ohne geht und wie sich das neue Einkaufserlebnis anfühlt.

Mitten im Weihnachtstrubel mussten die Geschäfte ihre Türen schließen. 81 Tage lang dauerte der Lockdown wegen der Corona-Pandemie. Seit heute, Montag, 8. März, dürfen die Läden wieder öffnen für die Kunden, die aber einen Termin brauchen. Oder doch nicht? Und wie fühlt sich das überhaupt alles an: Bummeln nach Vorschrift? Wir haben es ausprobiert: Elke Link, Einzelhändlerin aus der Gevelsberger Innenstadt, und Reporter Daniel Berg, der sich in Hagen umschaut, weil er dringend Schuhe fürs Kind braucht, berichten abwechselnd.

Elke Link steht in ihrem Geschäft in der Gevelsberger Innenstadt. Sie verkauft Möbel, Mode und Dekorationsartikel. 
Elke Link steht in ihrem Geschäft in der Gevelsberger Innenstadt. Sie verkauft Möbel, Mode und Dekorationsartikel.  © Fabian Vogel | Fabian Vogel

Um 9.55 Uhr, fünf Minuten vor der eigentlichen Öffnung, habe ich, Elke Link, bereits die erste Kundin versorgt. Auch ohne Termin. Ich bin seit 23 Jahren selbstständige Einzelhändlerin, verkaufe Mode, Möbel, Dekoration – und darf nun endlich wieder Gespräche mit Kunden führen. Aber alles unter Einhaltung der Regeln. Das heißt: Kunden kommen eigentlich nur mit Termin in meinen Laden.

Um ehrlich zu sein, ich brauche nicht nur Schuhe fürs Kind, sondern auch einen Pullover, der weniger spannt. Ich kümmere mich schon am Sonntag um einen Termin. Bei h&m ist der Server überlastet, über die Telefonhotline erfahre ich, dass die Filiale in Hagen gar nicht erst öffnet. Peek&Cloppenburg hat geschlossen, bei Sören Fashion sind alle Beratungstermine für Montag schon ausgebucht. Sinn Leffers lässt mich wissen, dass ich willkommen bin. Einen Anruf später habe ich einen Termin: 13 Uhr, zwei Personen. „Muss ich was mitbringen?“ Außer der Maske nichts, sagt die Dame am Telefon. „Muss ich pünktlich sein?“ Nein, Sie können auch ein paar Minuten später kommen. Das kommt mir sehr entgegen.

Ich muss flexibel sein. Wenn ein Kunde vorbeikommt und gerade keiner im Laden ist, kann er auch hereinkommen. Mein Mann bringt mir im Laufe des Tages noch eine vorbereitete Liste vorbei, auf der ich die gebuchten Termine der Kunden eintragen kann. Bis jetzt geht das alles noch so. Den Anrufbeantworter mit möglichen weiteren Terminanfragen habe ich vor der Öffnung noch nicht abgehört. Das ist ein ganz neuer Ablauf, den ich mir erst einmal angewöhnen muss.

Komme tatsächlich leicht verspätet zu Sinn, ist aber nicht schlimm. Der Eingang sieht aus wie eine Hygieneschleuse: Eine Frau mit Mundschutz und Plastikhandschuhen sitzt hinter einer Plexiglastheke, nimmt meine Personalien auf und gibt mir pro Person je eine Einlasskarte. „Ihr Slot geht etwas länger als eine Stunde“, sagt sie freundlich. Berg an Tower: Roger, over and out.

Den ersten fixen Termin mit einer Kundin habe ich für 10.30 Uhr notiert, den zweiten für 11.15 Uhr. Ich rechne aber auch mit Kunden, die einfach mal wieder so in die Innenstadt kommen, stöbern wollen. Doch wie reagiere ich, wenn die Kunden nichts kaufen? Na, für diesen Fall habe ich auch Duftkerzen für drei Euro da. (lacht) Quatsch, wer nichts passendes findet, kann auch so wieder gehen. Es ist ja auch eine seltsame Situation für den Kunden: Allein mit dem Verkäufer im Geschäft. Das mag ich als Kundin auch nicht. Bloß nicht aufdringlich sein, den Kunden stöbern lassen – genau das hat ihnen doch so sehr gefehlt. Wenn die Kunden jetzt nichts kaufen, kommen sie oft nach ein paar Tagen oder Wochen wieder und schlagen dann zu. Öffnen und Kunden hereinlassen zu können – allein das ist Gold wert.

Bummeln nach Vorschrift: Was geht und was nicht? Selbstversuch von Reporter Daniel Berg in der Hagener Innenstadt.
Bummeln nach Vorschrift: Was geht und was nicht? Selbstversuch von Reporter Daniel Berg in der Hagener Innenstadt. © WP | Michael Kleinrensing

„Der Andrang hält sich noch in Grenzen“, sagt der Verkäufer in der Herrenabteilung von Sinn, „das muss sich erst einspielen.“ Drei weitere Kollegen tummeln sich gerade auf der Etage, ich bin einer von zwei Kunden. Platz, Ruhe, Auswahl – kein übles Shoppingerlebnis. Die Pullis sprechen mich nicht an, aber Schuhe gibt’s schöne. Ich probiere, kaufe aber keine. Muss ich mich nun schlecht fühlen? Ich horche in mich hinein, aber da ist keine Spur von Schuld. Vermutlich liegt es daran, dass ich nicht das Gefühl habe, irgendjemandem die Zeit gestohlen zu haben: weder Verkäufern, noch anderen Kunden.

Lange dauert der erste Termin des Tages nicht, die Kundin kommt mehr als pünktlich. Schön, auch mal wieder beraten zu können. Das macht meinen Job doch aus. Kontakt zu Menschen, Tipps geben. Expertin sein. Das hat gefehlt. Ich konnte einen Schlafanzug verkaufen, eine besondere Marke aus den Niederlanden. Sowas muss man sehen, das kann man nicht einfach im Internet bestellen. Ohne Beratung, anhand eines Bildes und einer oft spärlichen Produktbeschreibung. Das Material sehen und spüren, das können die Kunden hier bei mir. Das ist mein großer Vorteil. Kurz darauf steht die nächste Kundin vor der Tür. Nicht einmal zehn Minuten vergehen, dann habe ich wieder etwas verkauft. Beim Blick über die Kasse sehe ich bereits die nächste Kundin.

Richtig, die Schuhe fürs Kind, Rabenvater. Schlatholt hat geöffnet, aber reserviert habe ich nicht. Vorsichtig hinein. Halt! „Haben Sie einen Termin?“, fragt die Dame höflich, aber bestimmt. Ich blicke schamvoll zu Boden. Sie fragt ihre Kollegin, ob noch Platz ist. Wir dürfen, schauen uns recht unbehelligt Schuhe an, probieren welche aus. Wie wunderbar das ist, Produkte aus dem Regal greifen zu können, um sie vor dem Kauf am eigenen Körper begutachten zu können. 36? Zu klein. Rosa? Nein. Aber die tiefblauen sind fein. Ab zur Kasse: eine echte Kasse mit echten Menschen und echtem Geld. In dem Moment wird es mir klar, wie lange ich das nicht gemacht habe, wie schön das sein kann.