Hagen. Spektakulär: Am Freitag wird die einen Kilometer lange Hälfte der neuen Lennetalbrücke 20 Meter quer an den Brückenzwilling verschoben.
Höchste deutsche Ingenieurskunst soll am Freitag an der Lennetalbrücke auf der Autobahn 45 bei Hagen ihre Vollendung finden. Dann wird der fast einen Kilometer lange Überbau der Behelfsbrücke in Richtung Frankfurt über eine Strecke von 20 Metern quer zum Brückenzwilling mit der ebenfalls dreispurigen Gegenfahrbahn verschoben.
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Der sogenannte Querverschub einer derart langen Brücke feiert seine Deutschlandpremiere. Eine einmalige wie spektakuläre Aktion, „ein Pilotprojekt“, wie es Dirk Stiepert, Leiter der Außenstelle Hagen der federführenden „Autobahn Westfalen“ ausdrückt.
Koloss bewegt sich drei Meter pro Stunde
Drei Meter pro Stunde, so haben es die Planer ausgerechnet, soll sich der Koloss bewegen. „Eine Weinbergschnecke würde das Rennen gewinnen“, witzelt Projektleiter Michael Neumann, der Herr der Autobahnbrücken an der A45 („ich sage immer: die Königin unter den Autobahnen“).
Lennetalbrücke: Ein Koloss wird verschoben
Die Konstruktion, die bis dahin auf provisorischen Pfeilern ruhte und am Freitag auf ihre endgültigen Stahlbetonstützen verrückt wird, ist mit ihren 30.000 Tonnen dreimal so schwer wie der Pariser Eiffelturm.
Ein Meilenstein auf der Sauerlandlinie
Der Bau der Lennetalbrücke ist ein Meilenstein auf der 257 Kilometer langen Sauerlandlinie. Es gibt bislang kein vergleichbares Straßenbau-Projekt in Deutschland, bei dem zwei riesige Brückenteile nach deren separatem Bau am Ende wie zwei Puzzleteile zusammengesetzt werden.
Vielleicht muss man ganz tief in die Floskel-Kiste greifen, um die Dimensionen zu erahnen. „Dem Ingenieur ist nichts zu schwör“, sagte Daniel Düsentrieb einst in Walt-Disney-Comics. Vor dem Bau der 30 Meter hohen Talbrücke, die südlich vom Autobahnkreuz Hagen liegt, war langes Tüfteln angesagt.
Arbeiten im laufenden Verkehr
Wie baut man eine neue Brücke quasi ohne Verkehrsunterbrechung auf einer stark frequentierten Autobahn? Wie bringt man ein fast 1 Kilometer langes, kolossales Bauteil, das in 20 Metern Entfernung vom geplanten Standort auf zahlreichen Pfeilern ruht, in seine endgültige Position?
Für die Lösung wurden bereits 2010 erste Überlegungen angestellt, erzählt Projektleiter Michael Neumann. 2014 wurde im Zusammenspiel mit dem Baukonzern Hochtief die Lösung gefunden, die dem technischen Laien ein ungläubiges Staunen abringt: der Querverschub.
Brückenteil wird gezogen, nicht geschoben
Die Vertreter der neuen Autobahn GmbH haben beim Pressetermin an der Baustelle einen Schlitten dabei, um das Prinzip zu veranschaulichen. „Der Effekt ist wie beim Einwachsen. Der Schlitten rutscht besser.“
In diesem Fall: Damit die tonnenschwere Brücke federleicht zur Seite gleitet, wurden teflonbeschichtete Verschubbalken aus Beton als Gleitebene angebracht. Spezialfett sorgt für die Leichtgängigkeit, eine Art hydraulische Presse für den nötigen Schub. „Die Brücke wird gezogen und nicht geschoben“, erklärt Neumann.
179-Millionen-Euro-Projekt
„Es kommt auf Millimeter an“, sagt Jan Felgendreher, Projektleiter Hochtief, mit leuchtenden Augen. „Der Querverschub ist das wahre Herzstück des ganzen Bauprojekts Lennetalbrücke.“
Seit dem Spatenstich am 11. September 2013 genießt das 179 Millionen teure Brückenbauprojekt in Westfalen höchste öffentliche Aufmerksamkeit, nicht nur wegen des gewinnträchtigen Blitzers vor der Baustelle in Fahrtrichtung Frankfurt, sondern insbesondere wegen der gewaltigen Dimensionen.
Bauwerk soll dem wachsenden Verkehrsaufkommen Stand halten
Man wollte 33.000 Kubikmeter Beton und 5300 Tonnen Betonstahl verbauen, um am Ende einen exakt 979,5 Meter langen Stahlhohlkasten mit einer Stahlbetonplatte als Fahrbahn als neue Brücke zu präsentieren. Ein Bauwerk, das im Gegensatz zu der alten Lennetalbrücke dem wachsenden Verkehrsaufkommen Stand hält.
„Ich bin ganz entspannt“, sagt Projektleiter Neumann und gesteht dann doch ein, dass er noch Lampenfieber aufkommen könnte. „Aber wir sind hervorragend darauf vorbereitet.“
Die Verkehrsfreigabe ist für den Sommer geplant („wahrscheinlich im Juni“). Die neue Lennetalbrücke soll 70 Jahre halten.