Lennestadt. Chorprobe via Zoom sind nicht der Knaller. Dennoch bietet Christa Maria Jürgens sie an. Warum sie den Wellerman singt, verrät sie hier.
In der Chorszene wächst die Unsicherheit mit jedem Tag im Lockdown. Wird die Corona-Pandemie das Chorsterben beschleunigen? Zerfallen die Kinder- und Jugendchöre sang- und klanglos? Die ersten Männergesangvereine haben bereits aufgegeben. „Deshalb stelle ich die ganzen Termine für Zoom-Proben bereit, damit wir dran bleiben. Die Motivation, online zu arbeiten, geht immer mehr in den Keller. Das kann ich sogar verstehen. Man arbeitet so in ein schwarzes Loch hinein“, resümiert Chorleiterin Christa Maria Jürgens aus Lennestadt.
Als Sängerin, Gesangspädagogin, Chorleiterin, Stimmbildnerin und Regisseurin ist Christa Maria Jürgens beruflich breit aufgestellt. Die gebürtige Esloherin unterrichtet an der Musikschule Lennestadt sowie an Schulen in Lennestadt und leitet elf Chöre in Eslohe, Schmallenberg, Wilnsdorf und Lennestadt.
Chöre sind wie Familie
Chöre sind wie Familie, darin liegt für die dramatische Altistin der Schlüssel zur Popularität der Musikgattung. Aber genau dieser Aspekt macht sie auch verwundbar. „Was fehlt, sind die Treffen. Gerade die Kinderchöre haben Probleme, sich zu motivieren. Ich kann total gut verstehen, dass die nachmittags keine Lust auf eine Zoom-Probe haben, wenn sie den ganzen Tag Online-Unterricht hatten. Es ist schwierig, Literatur zu finden, die online Spaß macht.“ Christa Maria Jürgens ist kreativ auf der Suche nach Angeboten, die digital funktionieren. Deshalb singen ihre Jugendchöre jetzt „The Wellerman“. „Das hat Rhythmus, das hat Energie, das reißt alle aus ihrer Lethargie.“
In unserem ersten Interview im Frühling 2020 war Christa Maria Jürgens noch überzeugt, dass gerade die Kulturszene mit ihrer Kreativität Rezepte gegen Corona finden würde. Der Grevenbrücker Jugendchor SpontiCo gehörte zu den ersten im Land, die im Frühsommer draußen und in der Schützenhalle den Probenbetrieb wieder aufgenommen haben. „Wir hatten nicht einen einzigen Coronafall. Es war wenigstens eine Perspektive, bis es dann im November in den zweiten Lockdown ging.“
Corona trifft die Chorszene hart
Corona trifft die Chorszene hart, die mit ihrem ehrenamtlichen Engagement so wichtig für den sozialen Zusammenhalt ist. Männergesangvereine, die eigentlich noch einige Jahre vor sich hatten, lösen sich vorzeitig auf. Manche von den älteren Chören ohne Zugang zum Internet haben seit März 2020 nicht mehr geprobt. Diese Vereine sind am Ende. Bei den Kinder- und Jugendchören ist die Tendenz zur Auflösung noch größer. Das hängt unter anderem mit dem Finanziellen zusammen. Es ist nach dem Vereinsrecht nicht vorgesehen, dass Vereine große Rücklagen bilden. Das rächt sich jetzt. Das Land NRW stellt Hilfen bereit, aber manche funktionieren und andere nicht.
„Mein größtes Thema ist jedoch der Verfall der Strukturen“, betont Christa Maria Jürgens. „Deshalb bestehe ich auf regelmäßigen Chorproben. Das Leben ist schnell, und wenn ich nicht zum Chor gehen kann, dann orientiere ich mich eben um und suche mir neue coronakonforme Hobbys wie Reiten. Der Verfall der Strukturen ist problematischer als das Finanzielle.“
Das Harmoniegefühl lässt sich digital nicht ersetzen
In der Musik kommt das Digitale überdies schnell an seine Grenzen. „Die jungen Sängerinnen und Sänger sagen: Ich habe auf das Onlinesingen keine Lust, weil ich dabei nicht das Harmoniegefühl habe. Man geht doch in einen Chor, um dem harmonischen Klanggefühl zu frönen. Es gibt nichts Schöneres als einen harmonischen Klang, da gehe ich lächelnd aus der Probe raus. Und dieses Erlebnis hat man nicht, wenn man eine Zoomprobe macht.“
Christa Maria Jürgens lässt sich trotzdem nicht unterkriegen, sie ist schon voller Pläne für den Tag X. Mit dem Oberstufenchor des Gymnasiums Lennestadt plant sie eine Inszenierung der Operette „Das weiße Rössl“, anschließend soll es eine kleine Sommernachtstraum-Kulturwoche geben. Viele Chorfamilien zahlen ihren Dirigenten die Gehälter ganz oder teilweise weiter, auch dafür ist Christa Maria Jürgens von Herzen dankbar.
Die Chorleiterin ist ausgebildete Krankenschwester. Nach dem anschließenden Gesangsstudium hat sie in Dortmund und Gelsenkirchen an der Oper gesungen. Sie weiß, wie man Lebensziele beharrlich anstrebt und sich nicht unterkriegen lässt. Doch langsam sind die Reserven verschlissen. „Wir versuchen, kreativ zu bleiben, aber es darf jetzt irgendwann bitte vorbei sein. Wir haben inzwischen viele Impfstoffe, wir müssen sie jetzt einfach nur verimpfen.“