Sundern. Axel Müller aus Sundern ist erfolgreicher Saxophonist. Im zweiten Jahr steht er jetzt ohne Liveauftritte da. So geht er mit der Situation um
Vor Corona war Axel Müller im Februar bereits für über 100 Auftritte gebucht. Jetzt ist sein Kalender leer, nichts, null. Das zweite Jahr in Folge ohne Livekonzerte. Die Festivals, Open Airs und Hallenevents, die 2020 ausgefallen sind, werden derzeit bereits auf 2022 verschoben. Die Veranstaltungsbranche verzweifelt. Freie Musiker haben keinen Anspruch auf das Kurzarbeitergeld, das auch mit ihren Steuern finanziert wird. „Die soziale Absicherung brennt allen unter den Nägeln“, sagt der 43-Jährige.
Musiker sind keine Hungerleider
Axel Müller aus Sundern hat sich als freiberuflicher Saxophonist und Multiinstrumentalist eine erfolgreiche Karriere aufgebaut. Er tourt mit BAP, Gregor Meyle, ist Teil des Fernsehformats „Sing meinen Song“ und wehrt sich entschieden gegen das Klischee, dass Musiker ohnehin Hungerleider wären. Corona hat ihn verändert. Müller engagiert sich nun politisch.
Beim ersten Lockdown-Interview 2020 kritisierte er bereits, dass Musiker keine Lobby hätten, ging aber wie die meisten Kulturschaffenden davon aus, dass die neue Corona-Situation bald vorübergehen würde. Der Optimismus ist ihm inzwischen abhanden gekommen. „Es wird nicht da wieder losgehen, wo wir aufgehört haben. Der Weg zurück wird nicht einfach sein. Die Kulturszene wird sich in den nächsten zwei, drei Jahren erheblich wandeln.“
Soziale Absicherung fehlt
Um die Situation zu verbessern, hat Axel Müller mit weiteren Musikern einen Verband freier Musikschaffender gegründet, Pro Musik, dessen erster Vorsitzender er ist. „In diesem Rahmen bin ich seit Monaten in Gesprächen mit der Politik. Hilfen sind ein großes Thema. Die Neustarthilfe hilft, ist aber zu gering. 7500 Euro von Januar bis Juni, das ist weniger als die Grundsicherung und nicht vergleichbar mit der Situation in Belgien oder Frankreich. Viele Kollegen sind sehr deprimiert.“
Im ersten Lockdown haben viele freie Musiker noch laut und kreativ auf ihre Notlage aufmerksam gemacht. Inzwischen sind die meisten vor lauter Existenzangst verstummt, und sie sind „Hartzer“ geworden, denn eine soziale Absicherung fehlt völlig. Freie Musiker erhalten kein Arbeitslosengeld. Müller und seine Mitstreiter wollen über die Künstlersozialkasse wenigstens eine Arbeitslosenversicherung für freie Musiker einführen. „Wir haben einige Konzepte, wie wir das lösen können. Wenn wir das gehabt hätten, hätten wir uns die ganzen Hilfspakete sparen können.“
Musiker geben auf
Eine Umfrage des Landesmusikverbandes Berlin hat ergeben, dass ein Drittel der freien Musiker, Tontechniker und Tourbegleiter ihren Job inzwischen aufgegeben haben und sich eine Festanstellung in einer anderen Branche suchten, als Industriekletterer zum Beispiel.
Sind Festivals künftig noch möglich?
Der Saxophonist ist besser dran als viele Kollegen, denn er hat noch einige Aufträge beim Fernsehen und durfte einige Theatermusiken produzieren. Die meisten seiner Kollegen stehen mit dem Rücken zur Wand. Die Perspektiven sind schlecht. Anders als die Gastronomie kann die Veranstaltungswirtschaft nicht von heute auf morgen wieder öffnen, dafür greifen bei Festivals oder Großkonzerten zu viele Räder ineinander, der Vorlauf beträgt ein Jahr und länger. „Die ganze Infrastruktur steht auf der Kippe. Es findet eine Auslese statt. Welche Spielstätten wird es künftig noch geben? Sind Festivals künftig noch möglich?“, analysiert Müller. „Auf jeden Fall wird mit solchen Veranstaltungen künftig nicht mehr so viel Geld verdient werden können wie vor Corona, weil wir keine Maximalauslastung haben werden. Da stellt sich die Frage, wo das Defizit hängen bleibt? Sinken die Künstlergagen? Oder die Gehälter der Tourtechniker?“
Doch diese Überlegungen sind leider immer noch Zukunftsmusik. Jetzt geht es um das Überleben. „Ohne Corona hätte ich mich nicht politisch engagiert“, sagt Axel Müller. „Das ist der positive Nebeneffekt. In der Szene merkt man die aufkommende Solidarität, dass man sich zusammen schließen muss, ob Punker oder Geiger. Es ist klar geworden, dass eine Wertschätzung und Absicherung freier Musiker nicht vorhanden sind.“
Serie zur Situation der freien Künstler
Beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020 haben wir Musiker, Chorleiter, Tourbegleiter und Veranstalter aus der Region gefragt, wie sie mit der Zwangspause durch Corona umgehen. Damals ist die Kreativwirtschaft noch von einer vorübergehenden Stilllegung des Kulturbetriebes ausgegangen. Inzwischen hat sich die Situation dramatisch verschärft. Möglicherweise fällt auch die Open-Air-Saison 2021 aus. Erste Großkonzerte werden bereits auf 2022 verschoben. Eine Öffnungsperspektive fehlt. Wie geht es den freien Künstlern unter diesen Bedingungen heute? Das fragen wir die Protagonisten unserer Serie nun mit einem Jahr Abstand erneut.