Hagen. Experten gehen davon aus, dass Südwestfalen regelmäßig von Wölfen gestreift wird, sich aber noch kein Rudel dauerhaft niedergelassen hat.

Die vier Schafe auf der Weide in Balve-Langenholthausen hatten keine Chance. Blitzschnell hatte der Wolf ihre Kehlen durchtrennt und so ihren Tod herbeigeführt. Es dauerte Wochen, bis das Senckenberg-Forschungsinstitut in Gelnhausen anhand von DNA-Analysen den Täter vom 28. November 2020 bestimmt hatte: „das weibliche Wolfsindividuum GW1943f“, wie es in einer Mitteilung des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) vom 26. Januar 2021 heißt.

Es sei offen, ob sich die Wölfin dauerhaft im Raum Balve ansiedeln wird oder weiterzieht, hieß es weiter. Das Tier aus dem Rudel Rodewald in Niedersachsen, erstmals offiziell nachgewiesen, ist der zehnte amtlich bestätigte Wolfsnachweis in Südwestfalen seit Beginn der Aufzeichnungen im November 2009. Wird das Sauerland zum Wolfsland?

Verunsicherung hat nicht zugenommen

Thomas Kroll-Bothe ist Förster im Regionalforstamt Märkisches Sauerland und Wolfsberater. Nein, sagt er, seitdem in Balve die Wölfin unterwegs war, sei die Zahl der Anrufe besorgter Nutztierhalter oder anderer Bürger nicht in die Höhe geschnellt.

„Dass die Leute Sorgen um ihre Tiere haben, kann ich nachvollziehen“, sagt er, eine zunehmende Verunsicherung sei aber nicht zu erkennen. Immer mal wieder werde er kontaktiert, zum Beispiel wenn Menschen einen heulenden Wolf gehört haben wollen. Dann beruhigt er mit dem Verweis auf seinen früheren Jagdhund: „Wenn der ein Martinshorn hörte, heulte er wie ein Wolf.“

Viele geeignete Lebensräume

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Bislang wurde Thomas Kroll-Bothe noch nicht als Wolfsberater zu einem gerissenen Tier gerufen. Er weiß, dass sich das von heute auf morgen ändern kann.

Wird sich der Wolf im Sauerland ansiedeln? „Ich kann das nicht ausschließen“, sagt er, „schauen Sie sich das Oberbergische Land an, offizielles Wolfsgebiet in NRW. So groß unterscheiden sich Lebensraum und Landschaft nicht vom Sauerland.“

Viele geeignete Lebensräume in Deutschland

Eine Studie des Bundesamtes für Naturschutz kam zu dem Ergebnis, „dass es in Deutschland prinzipiell viele für Wölfe geeignete Lebensräume gibt“. Weniger Großstädte und Ballungsräume, eher Alpen oder Mittelgebirge – wie das Sauerland. Es müsse damit gerechnet werden, dass Wölfe auch die weiteren Gebiete durchwandern.

Wolfsland Sauerland? Wilhelm Deitermann ist Sprecher des LANUV­ in NRW. Seine Antwort: „Ob und wann es zu einem Wolfsgebiet in Südwestfalen kommen könnte, können wir Ihnen nicht beantworten, da die Wölfe diese Entscheidung ganz allein treffen werden.“ Auch die Wissenschaft könne keine Vorhersage treffen.

Vier Wolfsgebiete in NRW

Bislang beruhten die Wolfssichtungen in Südwestfalen auf Einzeltieren, die einmalig nachgewiesen wurden. Deitermann: „Daraus lässt sich herauslesen, dass Südwestfalen ein Gebiet ist, das von Wölfen, die sich von ihren Ursprungsrudeln gelöst haben, regelmäßig gestreift wird.“

NRW hat bislang vier Wolfsgebiete ausgewiesen: Senne, Schermbeck, Oberbergisches Land, Eifel – Hohes Venn. Auch wenn Sauer- und Siegerland noch nicht dabei sind, sind sie in den Fokus gerückt.

Pufferzone im südlichen Südwestfalen

Nachdem 2019 in Rheinland-Pfalz das Wolfsgebiet „Stegskopf“ ausgezeichnet wurde, hat NRW eine Pufferzone im südlichen Südwestfalen (Teile der Kreise Siegen-Wittgenstein und Olpe) eingerichtet. Das bedeutet, dass ein Fördertopf für vorbeugende Maßnahmen zum Herdenschutz aufgelegt wurde.

Vorbeugende Maßnahmen? Auch wenn man Ortrun Humperts Gesicht beim Telefonat nicht sehen kann, erahnt man bei diesem Stichwort, dass sie die Augen verdreht: „Präventionsmaßnahmen laufen erst an, wenn sich ein Wolf ein halben Jahr örtlich niedergelassen hat“, sagt die Vorsitzende des Schafzuchtverbandes NRW. Vorbeugend müsse viel mehr gemacht werden, so die Schäferin aus dem Kreis Höxter. „Aber das ist teurer als ein paar gerissene Schafe.“

„Wir züchten doch nicht für Entschädigungen!

Ortrun Humpert ist kein „Wolfs-Feind“, wie sie sagt. Der Wolf habe das Recht, in der Natur zu leben: „Aber andere Tiere auch. Arten- und Tierschutz muss für alle gleichermaßen gelten.“

Entschädigungszahlungen für gerissene Tiere seien nicht die Lösung. „Wir züchten doch nicht für Entschädigungen. Wir lieben unsere Tiere.“

Bei einer Geldüberweisung würden nur 10 bis 20 Prozent des betriebswirtschaftlichen Wertes ausgezahlt. Das sei für einen Schäfer wirtschaftlich nicht darstellbar, bedenkt man „unseren völlig unzureichenden Verdienst als agrarökonomische Dienstleister“.

Bis zu 72 Kilometer am Tag

Der Wolf: Er läuft und läuft und läuft – für die Nahrungssuche können Wölfe innerhalb von 24 Stunden bis zu 72 Kilometer zurücklegen.

Zunehmend auch nach NRW? „Vergleicht man die Ansiedlungen und die Zahl zugewanderter Wölfe im Bundesgebiet, ist es fast schon ein Wunder, dass es nicht mehr Wölfe in NRW gibt“, sagt Ortrun Humpert.

Genügend Rückzugsorte im Sauerland

Zumal das Sauerland eine „geeignete Region“ für ihn wäre: „Hier fände er genug Nahrung, hätte Rückzugsorte und vielerlei Möglichkeiten, Höhlen für die Jungenaufzucht zu bauen.“

Die Wiederansiedlung des Wolfs bleibt ein hoch emotionales Thema. „Die Politik sitzt das Thema aus“, kritisiert die Verbandsvorsitzende.

Zielkonflikt zwischen EU-Artenschutzstatus des Wolfes und Nutztierhaltern

Wilhelm Deitermann vom LANUV spricht von einer „legitimen emotionalen Betroffenheit vor allem der Halter von Schafen und Ziegen sowie Gehegewild“. Mit Entschädigungszahlungen versuche man zumindest den finanziellen Teil des „Zielkonfliktes zwischen dem hohen EU-Artenschutzstatus des Wolfes und den betroffenen Nutztierhaltern auszugleichen“.

Und was macht Wölfin GW1943f? Niemand weiß, wo sich das Wildtier derzeit aufhält. Seitdem sie in Balve am 28. November 2020 vier Schafe riss, gab es keinen Nachweis mehr von ihr.

Die Chronologie der Wolfssichtungen in Südwestfalen

Am 23. November 2009 wurde der erste Wolf in NRW nachgewiesen: in Borgentreich im Kreis Höxter. Mit der Wölfin GW1943f in Balve-Langenholthausen wurden seitdem 212 Wolfssichtungen in NRW offiziell bestätigt, davon zehn in Südwestfalen:

22.1.2015: Siegen (Kreis Siegen-Wittgenstein)

25.2.2017 Brilon (Hochsauerlandkreis)

24.5.2017 Bad Berleburg (Kreis Siegen-Wittgenstein)

20.4.2019 Rüthen (Kreis Soest)

10.5.2019 Neuenrade (Märkischer Kreis)

11.5.2019 Olpe (Kreis Olpe)

13.5.2019 Meinerzhagen (MK)

5.7.2019 Kierspe (MK)

16.4.2020 Meschede (HSK)

28.11.2020 Balve (MK)

Landesamt: Der Wolf meidet den Menschen

Dem Bundesamt für Naturschutz zufolge gibt es in Deutschland 128 Wolfsrudel, 35 Paare und zehn territoriale Einzeltiere. Nach Hochrechnungen des Deutschen Jagdverbands leben hier mehr als 1300 Wölfe.

Laut Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW meidet der Wolf den Menschen. Begegnet man ihm doch, sollte man sich so verhalten: Nicht versuchen, sich zu nähern, ihn anzufassen oder zu füttern; nicht weglaufen, am besten stehen bleiben und abwarten, bis er sich zurückzieht; wenn man selbst den Abstand vergrößern will, langsam rückwärts gehen; man kann ihn vertreiben, indem man auf sich aufmerksam macht (laut ansprechen, in die Hände klatschen, mit den Armen winken).