Bad Berleburg. Weihnachten ist seine Zeit: Rüdiger Hartmann bringt den Kindern als Nikolaus Freude und Geschenke. In diesem Jahr nicht. Was das für ihn heißt.

Rüdiger Hartmann (71) staunt selbst ein wenig, wenn er die Zahl ausspricht: fünfundfünfzig. Er redet ja nicht so oft darüber, er macht einfach: Zieht seinen Mantel an, streicht den Bart zurecht, schultert den Sack. Als er das erste Mal den Nikolaus gab, hieß der Bundeskanzler Ludwig Erhard und machte Franz Beckenbauer sein erstes Länderspiel.

55 Jahre ist das her. Mehr als ein halbes Jahrhundert. Weihnachtszeit war immer seine Zeit und die der Kinder natürlich. Doch dieses Jahr wird alles anders. Das Coronavirus stoppt den Nikolaus. „Das tut weh“, sagt der Mann mit dem freundlichen Gesicht und dem grauen Fünftagebart.

Hat es das schonmal gegeben? Eine Nikolaus-Saison ohne ihn? Hartmann überlegt. Ja, doch, einmal, viele Jahre her. Da hatte er sich am Nikolaustag bei der ach so irdischen Arbeit das Schienbein aufgeschlagen. Krankenhaus, Fuß hoch. Seine Frau hatte noch gesagt, er solle sich den ganzen Tag frei nehmen. Hatte er nicht. Er ärgert sich bis heute, dass er nicht auf sie hörte.

An Nikolaus: 20 Termine an einem Tag

Der Terminkalender ist seit Jahrzehnten stets voll im Advent. Birkelbach, Bad Laasphe , sein Heimatdorf Arfeld . Sogar jenseits der hessischen Grenze ist er gebucht worden. „Und dann noch bis hoch nach Erndtebrück “, sagt er. Im Wittgensteiner Land kennen sie Hartmann, den alle Mecki nennen, weil er als Kind eine ähnliche Frisur hatte wie der bekannte Comic-Igel. Der 6. Dezember, Nikolaustag , ist stets eng getaktet. 20 Termine waren es manchmal. Kindergarten, Altenheim, Schule, dann der Sportverein, die Betriebsfeier und natürlich die Weihnachtsmärkte . „Ich kann so schlecht nein sagen.“ Er will doch die Freude bringen.

Am Schloss Bad Berleburg findet Jahr für Jahr ein Weihnachtsmarkt statt: Lichter glitzern, der Schein der Fackeln tanzt auf dem Gemäuer. Dann naht sein großer Auftritt. In einer Kutsche – von echten Pferden gezogen – ist er schon vorgefahren worden. Vor ihm ein roter Teppich aus Glück und Vorfreude. „Dann stehen da Kinder aus allen Ortschaften, die Straßen sind voll.“ Alle warten auf den Nikolaus, auf Rüdiger Hartmann in seinem Mantel. „Das ist sehr emotional“, sagt er. „Es macht mir Freude, in strahlende Kinderaugen zu schauen.“

Vier rote Mäntel: für jede Gelegenheit einen

Vier rote Mäntel hat er mittlerweile, einer ist aus Samt, damit es nicht zu warm wird, wenn er drinnen auftritt. Ein anderer ist was dicker, damit er draußen nicht friert. Seine Frau hat die Mäntel genäht, „meine Nikolina“, wie er sagt. Er mag das Wort. In diesen Momenten werden Herr Hartmann aus Bad Berleburg und der Heilige Nikolaus von Myra , dem am 6. Dezember gedacht wird, eins. Wenn er einen der Mäntel anzieht, sagen seine Kinder und die Nikolina, verändert sich sofort seine Stimme. Sie klingt dann tiefer, nikolausmäßiger. Als Rüdiger Hartmann als Kind gefragt wurde, was er mal werden möchte, antwortete er: Nikolaus.

Er erinnert sich, wie aufregend es damals für ihn selbst war: das Warten. Seine Eltern hatten den Nikolaus einbestellt. Ein riesiger Mann, der sonst im Steinbruch arbeitete. Wenn es hieß „Heute Abend kommt der Nikolaus“ hat sich der kleine Rüdiger den ganzen Tag lang das Hirn zermartert, ob er auch brav gewesen war das Jahr über. „Dieses Warten hatte auch etwas Ängstliches“, sagt er heute: „Was wird er sagen, was habe ich verbrochen? Wenn es gut lief, gab es einen Apfel, eine Mandarine und ein paar Nüsse . Das war’s. Nicht so wie heute...“

Er ist ein anderer Nikolaus, einer, der behutsam vorgeht, der die Kinder nicht einschüchtern will, abgesehen vielleicht von den vorwitzigen, die sich der Großartigkeit des Moments nicht bewusst sind und den Nikolaus am Ende noch für eine Erfindung oder eine Kopie halten. Ungläubige!

Die Enkelkinder lange nicht mehr gesehen: verfluchtes Virus

„Es wird ein anderes Weihnachten“, sagt Hartmann über das Fest 2020. Ein bisschen was ist ihm geblieben, eine Handvoll privater Auftritte wird der Nikolaus machen, alles coronakonform, Abstand halten, am besten draußen bleiben. „Man kann den Kindern ja nicht alles nehmen.“

Hartmann hat sein Leben lang in ein und derselben Firma als Werkzeugmacher gearbeitet. Die Kinder sind längst erwachsen, die Enkelkinder in Hannover hat er seit mehr als einem Jahr nicht mehr gesehen. Verfluchter Virus. „Wenn die Weihnachtszeit naht, dann blühe ich immer auf“, sagt der Nikolaus.

Was sich verändert hat über die Jahre? „Manchmal bin ich heute nervöser als damals.“ Eines habe sich aber nie geändert: „Verlangt habe ich nie etwas.“ Ein Heiliger stellt doch keine Forderungen. Im Gegenteil: Er bringt jenen, die Lichtblicke nötig haben. „Ich habe immer das genommen, was man mir gegeben hat“, sagt der 71-Jährige. Und wenn es das Lächeln der Kinder war, dann reichte ihm das.

Dieses Jahr werden die Kinder vergeblich warten auf den Nikolaus, und der wird warten auf das nächste Jahr. Mehr bleibt nicht. Den Kindern nicht, dem Nikolaus nicht. „Solange ich noch laufen kann“, sagt Rüdiger Hartmann, „mache ich das weiter.“

<<< WEIHNACHTSMANN ODER NIKOLAUS? >>>

Mittlerweile ist der Glaube weit verbreitet, dass der Mann im roten Mantel, mit dem weißen Bart und der roten Zipfelmütze der Nikolaus ist. Oft werden die Begriffe synonym verwendet. Doch das ist nicht richtig.

Denn wie beschrieben sieht der Weihnachtsmann aus, der in der modernen Welt in der gesamten Adventszeit sehr präsent ist. Es handelt sich dabei um eine Kunstfigur, die die von der Werbeindustrie weltweit bekannt gemacht wurde.

Der Heilige Nikolaus ist einer der bekanntesten Heiligen im Christentum. Er war in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts Bischof von Myra , das damals Teil des römischen Reichs war und in der heutigen Türkei liegt. Ihm wird am 6. Dezember gedacht. Dargestellt wird er ursprünglich mit Bischofsstab und Bischofsmütze .

<<< UNSERE ADVENTSSERIE: GESCHICHTEN VOM WARTEN >>>

Das Wort Advent hat seinen Ursprung im Lateinischen. Es bedeutet: Ankunft . Mit einer Ankunft verbunden ist: das Warten, auch das Erwarten.

Worte, die im Zentrum dieser Adventsserie stehen. Jeden Tag erzählt uns ein Mensch, der wartet, seine Geschichte. Immer andere Menschen, immer ein anderes Warten : vorfreudig, ängstlich, traurig, lustig, tragisch oder banal. In der Regel sind es kurze Geschichten, seltener längere.

So warten wir gemeinsam mit Ihnen, lieber Leserinnen und Leser, auf den Heiligen Abend und die Ankunft von Weihnachten .