Schmallenberg. Flauschig und fröhlich sind die Viren in der Ausstellung Mikromysterium in Schmallenberg. Freigelassen werden sie hinter Glas

Wie kleine Planeten und Asteroiden schweben die Kugeln und Ellipsen durch die Schwärze ihres Universums. Sie sind bunt, weich, flauschig. Und potenziell tödlich. Die Textilkünstlerin Katharina Krenkel hat ein Mikromysterium der Viren und Bakterien erschaffen, das ab Samstag, 5. Dezember, in einer ungewöhnlichen Installation in der Lennegalerie in Schmallenberg erforscht werden kann, und zwar von außen, durch Gucklöcher. Mit dieser ebenso tiefgründigen wie fröhlichen Arbeit zeigt Schmallenberg definitiv die ungewöhnlichste und kreativste Ausstellung zum Thema Corona-Pandemie im Land.

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„Sechs meiner Ausstellungen sind wegen Corona abgesagt worden“, schildert Katharina Krenkel ihre Betroffenheit durch die Pandemie. Doch klagen ist nicht die Sache der Saarländerin, die für ihre Textilkunst-Aktionen weithin bekannt ist. „Corona ist ein Jahrhundertereignis, das geht in die Geschichte ein. Ich mache meine Lebensrealitäten zum Thema meiner Kunst.“

Zusammen mit der Hamburger Kulturmanagerin Christine Bargstedt hat die Künstlerin das Mikromysterium konzeptioniert. Es geht darum, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Es geht um die Annäherung an eine Welt, die uns alle betrifft, und die doch erst seit Corona breit diskutiert wird. Und es geht darum, ein Thema durch Perspektivwechsel neu zu begreifen.

Pest und Norovirus

Katharina Krenkel hat die Skulpturen von Pest und Influenza, Corona und Norovirus so angefertigt, wie sie sich in Elektronenmikroskop-Ablichtungen darstellen. „Es gibt eine Parallelwelt, die so schön ist und so negativ besetzt“, sagt sie. Durch teilweise ungewöhnliche Farbkombinationen wie Rosa mit Lachs oder Rot mit Pink möchte die Künstlerin die Gefährlichkeit der realen Viren anklingen lassen. Aber diese Skulpturen funktionieren auch als Symbol für Schönheit, die ansteckend wirkt.

Die Viren können durch Gucklöcher von außen betrachtet werden, die in unterschiedlichen Höhen angebracht sind. So wird der Betrachter zum Forscher, denn die Bullaugen wirken wie eine Lupe. Er wird aber auch zum Voyeur; die Installation erinnert bewusst an ein Jahrmarkts-Panoptikum früherer Epochen, wo das Publikum Geld bezahlte, um in einem Guckkasten Kuriositäten zu bestaunen.

Die gehäkelten Viren schweben in unaufhörlicher lautloser Bewegung in einem Schwarzaum. Die größeren Exemplare befinden sich näher an der Scheibe, die kleineren driften nach hinten weg, so wie sich reale Aerosole in der Luft verhalten. „Es war uns vorher nicht bewusst, dass es diese Welt gibt, und hier haben wir sie freigelassen“, beschreibt Christine Bargstedt die vielen beflügelnden Diskussionen in der Konzeption der Ausstellung.

Als Textilkünstlerin sucht Katharina Krenkel ungewöhnliche Übersetzungen für Lebensrealitäten. So hat sie ein wanderndes Altartuch geschaffen, das unter dem Oberthema Wasser von Kirche zu Kirchen geht und wächst. Die Begegnungen dort „fließen“ in das Altartuch mit ein. Im Sommer 2021 soll dieses Projekt beim Spirituellen Sommer auch in Südwestfalen zu sehen sein. Am Häkeln fasziniert die Mutter von vier Kindern, dass es eine sehr alte Technik ist, mit der sich viele Traditionen und Geschichten verbinden.

Textilkunst als Thema

Schmallenberg ist nicht ohne Grund der Spielort des Mikromysteriums, „wir sind eine Textilstadt und thematisieren das auch künstlerisch, unter anderem mit dem Kunstfestival Textile, das im Mai wieder stattfinden wird“, so Kulturamtsleiterin Saskia Holsträter.

Katharina Krenkels Kunst verführt zum Schmusen, da die Bildhauerin gerne mit besonders flauschigen Materialien wie Mohair oder Angora häkelt. Das ist nicht ungefährlich. „Ich habe ein Kuschelproblem“, bekennt sie. Denn von ihren Skulpturen, die in Museen wie dem Frankfurter Städel oder der Kunsthalle Karlsruhe gezeigt werden, können die Besucher nur schwer die Finger lassen. Dadurch verschmutzen sie. „Der natürliche Feind der Textilkunst ist die Motte“, schildert Katharina Krenkel. „Und wenn die Objekte einmal schmutzig sind, geht das Ungeziefer rein.“

Es geht um den Perspektivwechsel

Der Perspektivwechsel beim Mikromysterium funktioniert nicht nur durch die Übersetzung der gefährlichen Krankheitserreger in weiche Skulpturen, sondern auch durch den Faktor Zeit. Bei jedem Objekt ist der einzelne kleine Stich zu sehen, mit dem Katharina Krenkel ihren Schaffensprozess begonnen hat. „An jedem kleinen Punkt war ich einmal mit meiner Aufmerksamkeit, meiner Zeit, meiner Energie.“ Dieser Vorgang ist sehr aufwendig, an manchen Objekten hat die Künstlerin zwei Siebentage-Wochen mit Zehnstundentagen gehäkelt. „Hepatitis hat ziemlich lange gedauert. Malaria war auch anstrengend.“ Bei diesem Erreger sitzen kleine Stäbchen und Äste auf der Kugel – wie eine Raumsonde im Weltall mit Antennen und Sensoren.

Dass das Mikromysterium hinter einer Glasscheibe freigelassen wurde, ist zwar den Coronaregeln geschuldet, aber in kreativer Anwendung. Katharina Krenkel: „Alle diese Einschränkungen haben wir zu unseren Mitteln gemacht und damit umgekehrt.“ Die Scheibe teilt die Lennegalerie nicht nur in Drinnen und Draußen, sie wird auch zum Sinnbild für das fruchtbare Dilemma der Kunst: Du darfst uns nicht berühren, sonst wirst Du infiziert, signalisiert die Trennwand. Die Kunst selber aber möchte berühren, sie möchte infizieren, sie ist erst richtig gut, wenn sie ansteckend ist.