Dortmund. Wie groß ist das Infektions-Risiko im Konzertsaal? Das messen jetzt erstmals Wissenschaftler im Auftrag des Konzerthauses Dortmund.

Innenräume stehen im Verdacht, die Infektion mit dem Corona-Virus zu begünstigen. Aus diesem Grund gelten seit dem Sommer besondere Abstandsregeln in Theatern und Konzerthäusern, die derzeit wieder ganz geschlossen sind. Als erste Kultureinrichtung überhaupt in Deutschland lässt das Konzerthaus Dortmund jetzt die Verbreitung von Aerosolen in der Raumluft experimentell untersuchen.

„Das Thema Einschränkungen von Konzerthäusern und Theatern beschäftigt uns seit Anfang des Jahres. Die Kulturhäuser werden jetzt wieder stark eingeschränkt im Vergleich zu anderen Einrichtungen. In diesem Zusammenhang hatte ich das Thema Messung von Aerosolen im Publikum schon länger auf dem Schirm. Ich bin davon ausgegangen, dass das in Berlin zentral untersucht wird. Das ist nicht passiert. Jetzt nehmen wir die Sache selber in die Hand“, begründet Konzerthaus-Intendant Dr. Raphael von Hoensbroech, warum er die Studie in Auftrag gegeben hat.

Wie ist die Belastung in der Nähe des Probanden?

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Prof. Dr. Wolfgang Schade vom Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik in Goslar leitet das Projekt. Im Mittelpunkt steht ein künstlicher Zuhörer, eine Puppe, die mit einer CO2-Flasche und einer Aerosolpumpe ausgerüstet ist. Durch einen Schlauch treten CO2 und Aerosole aus dem Mund der Puppe aus, und zwar mit Maske und ohne. „Wir möchten herausfinden, wie die Belastung in der Nähe des Probanden ist, um daraus ableiten zu können, welche Personen in der Nähe des Probanden grundsätzlich gefährdet sein könnten oder auch nicht“, schildert Schade. Die Messung erfolgt im leeren Raum sowie unter Berücksichtigung der thermischen Wirkung von Publikum. Dafür wurden Mitglieder der Dortmunder Philharmoniker während einer Probe gebeten, sich ins Parkett zu setzen. „Wir wollen schauen, ob es einen Unterschied zwischen leerem und voll besetzten Saal gibt und ob dieser Unterschied wesentlich ist“, so von Hoensbroech.

Das Konzerthaus Dortmund verfügt über eine Frischluftanlage. „Frischluft kommt unter dem Sitz in den Saal, steigt mit der Thermik auf und wird unter dem Dach wieder abgesaugt, und zwar dreimal in der Stunde“, erläutert von Hoensbroech. Alle 20 Minuten wird im Konzerthaus die Luft also komplett ausgetauscht.

Die These hinter dem Experiment lautet wie folgt. „Es kann keine Masseninfektion geben, weil die Aerosole alle abtransportiert werden Eine 1:1-Übertragung im Saal ist unwahrscheinlicher als in anderen Räumlichkeiten wie U-Bahn, Geschäft oder Wohnzimmer. Und wenn ich das nachweisen kann, habe ich mehrere Argumentationsgrundlagen, um gegenüber den Politikern zu sagen: schließt nicht die Kultur“, betont von Hoensbroech.

Kultur ist keine Freizeitbeschäftigung

Der Intendant reagiert ärgerlich auf die Begründung der Bundesregierung, warum Theater und Konzertsäle wieder dicht gemacht wurden: „Kultur ist keine Freizeitbeschäftigung. Kultur ist Bildung, gesellschaftliche Entwicklung und letztlich auch ein Wirtschaftszweig.“ Gleichwohl hält er die Maßnahmen für sinnvoll: „Wir sollten in der aktuellen Situation die Konzerthäuser nicht wieder aufmachen und sollten eher noch andere Dinge schließen. Aber wenn wieder geöffnet wird, dann muss die Kultur ganz vorne mit dabei sein.“

Diverse Studien zum Thema Aerosol-Ausstoß hat es im Sommer bereits zum Singen und Musizieren mit Blasinstrumenten gegeben. Wie es sich mit Publikum verhält, das still am Platz sitzt, wird jedoch in Dortmund erstmals getestet. Die Resultate werden noch auf sich warten lassen. „Nach den Zwischenergebnissen müssen wir mit Infektiologen und Hygienikern reden und eventuell noch eine zweite Messreihe machen. Am Ende wird das Umweltbundesamt eine Empfehlung aussprechen, in die unsere Ergebnisse einfließen.“

Lassen sich Erkenntnisse übertragen?

Interessant ist dabei die Frage, ob sich die Dortmunder Erkenntnisse auf andere Kulturhäuser übertragen lassen. Von Hoensbroech: „Ob allgemeine Aussagen möglich sind, oder ob man jedes Theater einzeln ausmessen muss, das ist eines der Dinge, auf die ich gespannt bin.“