Wie sehen Theaterleute, Kinobetreiber und Kulturzentren die neuerliche Schließung der Kultureinrichtungen? Eine Umfrage
Lieber wie Kirche behandelt als wie Bordell
Magnus Reitschuster, Intendant Apollo-Theater Siegen: „Ich hätte mir gewünscht, dass die Theater wie die Kirchen behandelt werden. Und nicht wie die Bordelle. Dieser „Lockdown light“ ist ein grober Hammer, Einzelfallungerechtigkeiten inklusive. Aber er muss es sein, damit frühzeitig die unsichtbare Tsunami-Welle gebrochen wird, die sonst wohl auf uns zukäme. Weihnachten unterm Lockdown kann kein Kirchgänger, kein Theatermacher und auch kein Bordellbesucher wollen.
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In dieser unübersichtlichen Situation von der Politik Perfektionismus zu erwarten, wäre vermessen. Politiker-Bashing ist wohlfeil und ungerecht. (Falls aber die angekündigten Hilfen für die Künste und die Künstler von 75% des letztjährigen Novemberumsatzes im Kleingedruckten faktisch wieder ausgehebelt werden, wäre dies das Ende von Geduld und Duldsamkeit.)
Dieser Virus ist brutal gleichmacherisch: Er schädigt Gerechte, Selbstgerechte und Ungerechte gleichermaßen. Sogar seine besten Freunde, die Superspreader Trump und Bolsonaro, streckt er nieder. (Wenn auch nicht lang genug.) Auch die prinzipiell richtigen Maßnahmen verantwortungsvoller Politik können nicht frei sein von Undifferenziertem, Unlogischem und sogar Ungerechtem. Sie sind dennoch notwendig, Not wendend.
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Kann ein geschlossenes Theater gesellschaftliche Resonanz entfalten? Ja, besonders wenn es so im Zentrum der Stadt lokalisiert ist wie das Apollo-Theater in Siegen. Hölderlins „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ prangte in haptischer Stofflichkeit monatelang am Portal des Theaters. Ebenso „Die Hoffnung ist ins Gelingen verliebt“ von Ernst Bloch. Hunderttausende Menschen, die die belebte Fußgängerzone passierten, konnten diese Ermunterung wahrnehmen. Und erfahren, was Literatur kann. Wie leer wäre diese leere Stadt in all den Lockdown-Wochen des Frühjahrs gewesen ohne diese Dichterworte, die auch fleißig fotografiert, gepostet und geliked wurden.
Der 85-jährige Dieter Hallervorden, ein Corona-Trotzer par excellence, hat vor seinen sechs Aufführungen im Siegener Theater gesagt, die beiden Intendanten hätten sich den „Allerwertesten aufgerissen“, um die Vorstellungen zu ermöglichen. Das sollten wir weiter tun. Muss ja.“
Jetzt sind wir die Sündenböcke
Joachim Wahle, Betreiber Filmtheater Winterberg: „Wir haben so sorgfältige Hygienekonzepte entwickelt, und jetzt sind wir die Sündenböcke. Wir werden den Monat überstehen, aber: Man fängt wieder ganz von vorne an. Nach dem ersten Lockdown war der Neustart sehr zäh und mühsam, aber wir haben es geschafft. In den Herbstferien hatte ich zum ersten Mal wieder den Eindruck, dass das Kino noch in den Köpfen verankert ist. Und jetzt fahren wir wieder runter. Wir sind froh, dass wir ein kleines Familienunternehmen sind, daher sind wir optimistisch, dass wir es schaffen. Gerade habe ich den Vertrag mit den Berliner Philharmonikern auf dem Tisch liegen. Die Übertragung des Silvesterkonzertes ist fest eingeplant. Ob das was wird, werden wir sehen.“
In der Laienchorszene geht wieder alles auf Null
Regina van Dinther, Präsidentin Chorverband NRW: „In der Laienchorszene geht wieder alles auf Null, dabei waren wir ganz stolz, dass wir Abstandsregeln gefunden hatten, mit denen die Chöre in den Proben arbeiten konnten. Weihnachten kommt, dass jetzt der Versuch gemacht wird, die Virus-Welle im November zu stoppen, finde ich völlig richtig. Die Laienchorszene ist nicht so aufgewühlt wie die hauptberuflichen Künstler, deren Existenz daran hängt. Natürlich besteht die Sorge, dass viele Chöre, vor allem viele überalterte Männerchöre, nach Corona nicht mehr auf die Beine kommen. Aber wir arbeiten bereits an neuen Formaten, auch an Angeboten zum Singen im Alter. Die Frage ist: Wie geht es weiter? Und wie gehen wir mit den Chorleitern um? Wir haben als Chorverband allen Chören geraten, ihre Dirigenten weiter zu bezahlen. Das Land NRW hat uns die ganze Zeit sehr geholfen.“
Es trifft ausgerechnet die, die am sorgfältigsten mit dem Thema umgehen
Jürgen Breuer, Geschäftsführer Kulturzentrum Pelmke Hagen: „Der zweite Lockdown ist eine Ohrfeige für die Theater und Kultureinrichtungen. Aber die Infektionszahlen gehen weiter hoch, und irgendwas muss die Politik unternehmen. Nur wird durch die Theaterschließungen die Sache nicht gestoppt, denn die Infektionen passieren woanders. Wir versuchen seit Monaten, einen sicheren Betrieb hinzukriegen, mit Desinfektion, Klebestreifen auf dem Boden, Sitzplänen für das Kino. Die Schließung der Kultureinrichtungen ist Symbolpolitik, man trifft ausgerechnet die Leute, die am sorgfältigsten mit dem Thema Infektionsgefahr umgehen, die Veranstalter und die Besucher. Es muss etwas passieren, aber es trifft die Falschen und meine Befürchtung ist, dass es zu nichts führt. Die Politik traut sich noch nicht an den richtigen Lockdown, die Ausgangssperre.“
Abrupt aus dem Aufführungsprozess herausgerissen
Antje Haury, Orchesterdirektorin Philharmonisches Orchester Hagen: „So abrupt aus dem Proben- und Aufführungsprozess herausgerissen zu werden, hat aus künstlerischer Sicht natürlich etwas Erschütterndes. Selbstverständlich war seit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs im August nichts „normal“, aber es hatte sich gerade eine gewisse Art von „Normalität im Unnormalen“ eingestellt. Das Philharmonische Orchester Hagen hofft, begonnene Probenprozesse in den nächsten Wochen zumindest weiterführen und Produktionen zu Ende bringen zu können, um dann zum nächstmöglichen Zeitpunkt wieder für sein Publikum da zu sein.“
Umfrage: Monika Willer