Siegen. Jan Meyer-Krügel ist seit seinem 20. Lebensjahr blind. Er sagt: In der Corona-Krise werden Menschen mit Handicap stärker sozial isoliert.

„Ich habe das Gefühl, ich bin allein in der Stadt unterwegs“, sagt Jan Meyer-Krügel. Dabei hat er sich bei seinem Begleiter Bernhard Nolz untergehakt. Doch die Corona-Pandemie hat etwas verändert: „Ich nehme Corona als soziale Isolation wahr. Die Menschen sind leiser, aber auch aggressiver geworden“, sagt Jan Meyer-Krügel. Er erzählt, wie er als Blinder die Corona-Krise erlebt und was seine größte Angst ist.

Corona-Krise: Blinder kann Abstand nicht einhalten

„Das Hauptproblem ist, dass durch die Corona-Krise viele Menschen in existenzielle Not geraten sind“, sagt Jan Meyer-Krügel. Das führt dazu, dass einige ständig angespannt sind. „Die Leute schreien sich in der Nachbarschaft mehr an“, berichtet Jan Meyer-Krügel. Die zum Teil zunehmende stille oder auch laute Aggressivität spüre er auch häufig selbst, wenn er im Supermarkt einkauft: „Ich werde öfter angemeckert, dass ich den Abstand nicht einhalte.“

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Doch als Blinder sieht er die Markierungen auf dem Boden nicht. Auch nicht das Acrylglas oder den Desinfektionsständer am Ladeneingang. Orientierung bieten Blinden in Geschäften oft nur Wände oder das Mobiliar. Jan Meyer-Krügel ist daher oft auf Hilfe angewiesen. So gut wie immer begibt er sich nur in Begleitung in die Stadt. Aber auch das nur selten: „Ich vermeide, mich in der Öffentlichkeit zu bewegen“, sagt er.

Lockdown: Menschen haben Hauch von sozialer Isolation erlebt

Andererseits bemerkt er auch, dass viele Menschen seit der Corona-Krise mehr Empathie für Menschen mit Handicap entwickelt haben: „Sie haben während des Lockdowns einen Hauch von sozialer Isolation einmal selbst erlebt.“ Neben der gestiegenen Aggressivität erlebt Jan Meyer-Krügel seitdem auch mehr Solidarität ihm und anderen Menschen mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung gegenüber. „Tendenziell sind die Menschen aber gehemmter“, sagt er. Sie bieten ihm aufgrund der Abstandsregeln nicht mehr so schnell Hilfe an.

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Jan Meyer-Krügel bedrückt das derzeitige gesellschaftliche Klima. Er hat sich seit Beginn der Pandemie zurückgezogen. „Einsamkeit erlebe ich als Behinderter mein Leben lang“, sagt er. Aber in der Corona-Krise hätte die soziale Isolation von Menschen mit Handicap weiter zugenommen. Dabei denkt er auch an die Anfänge der Pandemie: „Viele Behinderte sind da nicht mehr an ihre Medikamente gekommen“, sagt Jan Meyer-Krügel.

Corona sorgt für Existenznöte und gesellschaftliche Anspannung

Viele Menschen mit oder ohne Handicap suchen bei dem 38-Jährigen Hilfe. Er ist Gründer und Initiator des Dunkelcafé in der Siegener Oberstadt. Dort können Gäste im Dunkeln speisen und so selbst erfahren, wie es ist, blind zu sein. Das Dunkelcafé ist aber auch zu einer Anlaufstelle für Menschen mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung geworden. Jan Meyer-Krügel kann den Hilfesuchenden, die dorthin kommen, nicht immer weiterhelfen. So seien zum Beispiel Eltern von Kindern mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung zu ihm gekommen. „Für einige von ihnen hat Corona bedeutet, dass ihre geschäftliche Tätigkeit eingebrochen ist.“

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Und auch für Jan Meyer-Krügel ist die Corona-Krise mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbunden: Es kommen weniger Besuchergruppen ins Dunkelcafé. „Auch viele Behinderte haben Angst, vorbeizukommen“, sagt er. Denn häufig zählen sie zur Corona-Risikogruppe.

Jan Meyer-Krügel: Keine Angst vor Corona, aber vor den möglichen Folgen

Jan Meyer-Krügel hat im Alter von 20 Jahren durch einen schweren Unfall sein Augenlicht und seine rechte Hand verloren. „Ich hatte Silvesterknaller in der Hand“, erzählt er. Nach dem Unfall wurde er ins künstliche Koma versetzt, musste beatmet werden. „Das möchte ich nicht noch einmal durchmachen“, sagt er. „Ich habe so viel mitgemacht.“

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Angst vor Corona hat er nicht – aber vor den möglichen Folgen. Seine größte Angst: alleine zu sterben. Ihm steigen die Tränen in die Augen, als er darüber spricht. „Man möchte doch noch mal von den Liebsten in den Arm genommen werden.“ Er hat Angst, dass das durch verschärfte Corona-Maßnahmen nicht möglich sein sollte. „Einsam zu sterben, ist das Schlimmste, was es gibt.“