Hamm. Eine Großhochzeit hat Hamm zur Corona-Hochburg in ganz Deutschland gemacht. Die Stimmung in der Stadt ist gereizt.
- In Hamm liegt der Neuinfektionswert auf dem höchsten Wert bundesweit.
- Auslöser für den Corona-Ausbruch ist eine Großhochzeit.
- In Hamm wächst nun die Angst vor einem zweiten Lockdown.
Stefanie Balica ist genervt. „Keine Zeit“, ruft die junge Frau, die mit dem Rad am Mittwoch in Hamm unterwegs ist, dem Reporter zu. Dann hält sie vor der Pauluskirche auf dem fast leeren Marktplatz zur Mittagsstunde doch an. Sie ist den überall in der Innenstadt mit Blöcken und Kameras ausgestatteten Journalisten „bisher geschickt ausgewichen“, sagt sie, lächelt und legt Maske an. „Deutschlands Corona-Haupstadt Hamm“, das höre sich schräg an. Und das macht sie wütend: „Die Sonne scheint, wir waren auf einem guten Weg. Jetzt wird mich Corona wieder begleiten – vom Aufwachen am frühen Morgen bis ich eingeschlafen bin.“
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Die Stimmung in der 182.000 Einwohner-Stadt ist nach den verschärften Maßnahmen gereizt. Allen voran bei älteren Bürgern, die ihren Unmut gegenüber der XXL-Hochzeitsgesellschaft kundtun. Klischees werden bedient, der Ton ist manchmal aggressiv.
XXL-Hochzeit Auslöser des Zorns
Auslöser des Zorns sind drei mit der Hochzeit verbundene Feste Anfang September in Hamm, Werl und Dortmund. Dort kamen mehr als 300 Menschen zusammen. Es soll massive Verstöße gegen Corona-Regeln gegeben haben, unter anderem wurden Teilnehmerlisten falsch geführt. Am 2. September verzeichnete Hamm 22 akut infizierte Personen. Drei Wochen später nach den Feierlichkeiten sind es über 160. 100 Infizierte werden der XXL-Hochzeit zugeordnet. Dadurch hat Hamm mit 88,2 Neuinfektionen in sieben Tagen pro 100.000 Einwohner (Stand Donnerstag, 0 Uhr) die höchste Neuinfektionsrate in ganz Deutschland. In Schulen gilt seit Mittwoch wieder Maskenpflicht, private Veranstaltungen werden stark eingeschränkt.
Sorge um den Lack des Autos
Walter Breuer liebt seine Stadt. Er hat Angst vor einem weiteren Lockdown . Der 74-Jährige ist redegewandt, zügelt seine Wut und sucht behutsam nach den richtigen Worten: Asozial sei das Verhalten gewesen. „Das Brautpaar sollte zur Kasse gebeten werden“, fordert er. Eigentlich wollte der Senior gestern nach Soest fahren und dort den Tag verbringen. „Meine Frau hielt mich davon ab, als sie mich fragte, ob unser Auto mit Hammer-Kennzeichen zerkratzt werden soll?“
Am Ende der Fußgängerzone, in der auffällig viele Passanten Maske tragen, wartet Marita Ostenkötter auf ihren Bus. „Mir macht so schnell nichts Angst“, erzählt die 77-Jährige, „aber als ich hörte, wie Corona bei uns verbreitet wurde, hat mein Herz zu schnell geschlagen.“ Auch Rita Türtmann ist aufgebracht: „Das ist alles unfassbar. Alles wegen so leichtsinniger Leute.“ Sie bleibe demnächst, so oft es gehe, in ihrem „großen Garten“. Klaus Hille (63) spricht von „Sauerei“, er habe die „Schnauze voll“. Der Vorsitzende eines Kleingartenvereins sieht wieder jede Menge Arbeit auf sich zukommen: „Jetzt muss ich erneut darauf achten, dass sich nur fünf Leute auf den Parzellen treffen. Das wird unangenehm für alle Beteiligten, die ich vertreiben muss.“ Das Brautpaar gehöre an der Pranger gestellt.
Schüler begrüßen neue Maskenpflicht
Ursula Trussat ist Kindergärtnerin. Die Gefahr, sich anzustecken, sei in Hamm gewachsen. „Sie habe durchaus Angst, sich anzustecken.“ Leid täten ihr Migranten, die sich an Regeln halten und nun für den „Fehltritt einiger weniger“ mit in Haftung genommen werden. Sie kennt die Blicke, die die türkischen Eltern der Kitakinder in den nächsten Tagen zu ertragen haben.
Auch Semmi Jakupi, Inhaber der Eisdiele „Eis Venezia Remor“, fürchtet die Konsequenzen einer zweiten Welle: „Noch einmal können wir es uns nicht erlauben, zu schließen.“ 45 Prozent der Einnahmen seien bereits weggebrochen.
Großer Bock auf Normalität
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Zeit sich mit Wolfgang Vonstein, Direktor der Marien(real)schule, am Telefon zu unterhalten. Bedauerlich sei das Ganze, sagt er, es bleibe ein ungutes Gefühl in die Klassen zu gehen. Schüler und Lehrer allerdings begrüßten die Maßnahme, im Unterricht wieder Maske zu tragen. „Die meisten fühlen sich so sicherer.“ Alle sehnten sich nach der Zeit vor Corona zurück, aber als Gesellschaft müsse man sich jetzt zusammenreißen. „In Hamm eben zurzeit mehr als in anderen Städten.“
Die Jüngeren hingegen haben „großen Bock auf Normalität“. So wie Shawn Barton (19) und Kay Richter (18). Sie hielten sich an Vorgaben, aber Corona bestimme nicht ihren Alltag. Und Nicole Tappenheim (16) vom Elisabeth-Lüders-Berufskolleg stört die neue Maskenpflicht weder im Unterricht noch im Alltag: „Ich habe mich an sie gewöhnt – und es sieht gut aus.“