Siegen/Medebach. Drei trockene Sommer. Und dann die Konkurrenz zwischen Pferden und Kühen. Warum die Heu-Knappheit für Landwirte in der Region zum Problem wird.
Der Reitstall Wassmann im Siegener Stadtteil Volnsberg ist seit 35 Jahren ein echter Familienbetrieb. „Noch immer“, betont Pferdewirtschaftsmeister Henrik Wassmann, der den Reitstall mit 50 Pensions- und 10 eigenen Pferden in dritter Generation führt, „setzen wir vor allem auf die eigene Rauhfutter-Produktion von Heu, trockener Heulage und Silage, den zweiten Schnitt.“ Doch das ist im dritten Dürresommer in Folge leichter gesagt als getan.
Wie viele andere landwirtschaftliche Betriebe macht sich auch auf der idyllisch gelegenen Reitanlage im Siegerland der Mangel an Grünfutter und daraus resultierende Preisanstiege bemerkbar. Henrik Wassmann befürchtet, dass „mittelfristig“ so mancher Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen seinen Tierbestand reduzieren muss.
Bauernpräsident Joachim Rukwied berichtete soeben bei der Vorstellung der Erntebilanz von drohenden Versorgungsengpässen beim Futter. Wegen des vielerorts fehlenden dritten Schnitts der Wiesen – aufgrund fehlender Niederschläge – sei die Futterversorgung inzwischen „knapp bemessen“. Zumal Landwirte zunehmend zurückhaltender beim Verkauf der begehrten Ware geworden seien, ergänzt Lea-Kathrin Piepel von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen: „Bevor sie plötzlich selbst zu wenig Futter für ihre Tiere haben, halten sie es lieber zurück.“
30 bis 40 Prozent weniger Ertrag
Pferdewirtschaftsmeister Wassmann erinnert an die lange Trockenperiode von März bis in den Sommer hinein, die den Graswuchs mächtig gehemmt habe. „Auf unserem Grünland haben wir 30 bis 40 Prozent weniger Ertrag“, sagt der Siegerländer und ergänzt: „In den Höhenlagen wuchs nichts mehr. Durch Wind und Sonne waren die Flächen regelrecht ausgedörrt.“ Die Regenfälle der vergangenen Wochen haben die schwierige Situation nicht verändert. „Das Wasser ist nicht in den Boden eingedrungen, sondern an der Oberfläche abgeflossen. Der Grundwasserspiegel wird immer niedriger.“
80 Prozent des benötigten Rauhfutters produziert der Familienbetrieb im Siegerland selbst. Normalerweise soll erst im Winter auf die Ernte aus Frühjahr und Sommer zurückgegriffen werden. Doch im dritten Dürresommer nacheinander geht es schon jetzt an die Vorräte. Das bedeutet in der Folge für Henrik Wassmann: „Ich muss Heu zukaufen.“ Doch viele Produzenten geben ihr mittlerweile rares Gut Heu nicht mehr ab, sondern behalten es lieber selbst. Wassmann erinnert sich an den landwirtschaftlichen Betrieb, der in seiner Not Grünfutter aus Polen orderte. In Lastzügen sei die Ware angekarrt worden. Man müsse nicht über den ökologischen Sinn diskutieren.
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Es verwundert nicht, dass angesichts der gestiegenen Nachfrage die Preise deutlich anziehen. „Mir schwant für den kommenden Herbst und Winter nichts Gutes“, sagt Henrik Wassmann. Der Preis für den 250-Kilo-Rundballen fange bei 40 Euro an, könne aber bis zu 100 Euro anziehen. „So ein Ballen - und damit 100 Euro – sind schnell weg, wenn die Pferde erst einmal fressen.“ Die Konsequenz für Reitställe, aber auch für Betriebe mit Viehhaltung: „Wenn durch die Trockenheit die Flächen nicht mehr genug Futter hergeben und der Zukauf einfach zu teuer wird, überlegen sich Landwirte, ob sie nicht besser ihren Tierbestand reduzieren.“ Mittelfristig könnte das, so Wassmann weiter, für sein Metier bedeuten, dass weniger gezüchtet wird und damit weniger Pferde auf dem Markt sind.
Gleiches gilt für die Milchbauern. „Jeder Betrieb muss entscheiden, ob es wirtschaftlicher ist, zehn Kühe weniger zu halten, als für zehn Tiere teures Futter zuzukaufen“, sagt Josef Schreiber. Der Landwirt aus Medebach muss sich das dritte Jahr hintereinander Grünfutter andernorts beschaffen: Es sei „Wahnsinn“, welche „Unsummen“ angesichts der Knappheit über den Tisch gehen. „Geld, das wir bei den derzeitigen Milchpreisen kaum reinholen können.“
Hoffen auf den September
Zumal – was Schreiber keineswegs vorwurfsvoll meint – Milchbauern sich beim Futterkauf zunehmend der Konkurrenz zu Pferdefreunden stellen müssen. „Wir müssen von unseren Kühen leben. Pferde dagegen sind für viele Menschen ein Hobby, für das sie bereit sind, im Zweifel auch mehr Geld auszugeben. Das kann zusätzlich die Preise in die Höhe treiben.“
Trotz der schwierigen Klima-Situation versucht Schreiber optimistisch zu bleiben: Man müsse abwarten, ob angesichts der Niederschläge zuletzt nicht doch im September noch Grünfutter zu ernten sei. „Ein guter Herbst wäre für uns ganz, ganz wichtig.“ Und dann sei da noch der Mais, der zumindest bei ihm in Medebach gut stehe. „Um Fünf vor Zwölf haben wir noch Regen bekommen.“
>> HINTERGRUND: Die NRW-Erntebilanz
- NRW zieht eine vorläufige Erntebilanz: Mit 3,8 Millionen Tonnen Getreide liegt die Ernte trotz der im dritten Jahr in Folge extremen Witterungsausschläge fast genau auf Höhe des Vorjahres (+0,1 Prozent) und 2,9 Prozent unter dem sechsjährigen Mittel.
- Weniger günstig stellen sich derzeit die Aussichten für die Futtergewinnung dar. Insbesondere auf den leichten, sandigen Standorten haben Hitze und Trockenheit der vergangenen Wochen Mais, Futtergräsern und Grünland stark zugesetzt und lassen deutlich unterdurchschnittliche Erträge erwarten.
- Damit stünden viele Tierhaltungsbetriebe im dritten Jahr in Folge vor dem Problem knapper Winterfuttervorräte, so Landwirtschaftsminister Ursula Heinen-Esser. „Der trockenheitsbedingte Wachstumsstillstand auf Grünland wird in der verbleibenden Vegetationszeit nicht mehr aufzuholen sein. Das stimmt mich besorgt.“
- Unter Hitze und Trockenheit litt der Kartoffelanbau. Nur mit Hilfe der Beregnung werden gute Erträge und Qualitäten möglich sein. Dort, wo nicht beregnet werden kann, sind schwache Erträge und zum Teil hohe Stärkegehalte und so mehlige Knollen die Folge.