Attendorn. Kein Ring, kein Lohengrin, keine Meistersinger von Richard Wagner in Bayreuth. Der gefeierte Bass Georg Zeppenfeld über das Singen im Homeoffice

Er ist unser Mann in Bayreuth, in Salzburg und an der New Yorker Met. Der Sänger Georg Zeppenfeld aus Attendorn gehört zu den besten Bässen der Welt und wird entsprechend nachgefragt. In Bayreuth hätte er jetzt als Hunding in der „Walküre“ Premiere gefeiert, den König Heinrich im „Lohengrin“ gesungen und den Veit Pogner in den „Meistersingern“. Alles wegen Corona abgesagt. Zeppenfeld ist besorgt, weil die Pandemie das Kulturleben besonders hart trifft. Aber erstmals seit vielen Jahren kann der 53-Jährige mit der Familie Sommerferien machen. Und die verbringt er natürlich in seiner Heimat, dem Sauerland.

Wie geht es einem Sänger, der nicht öffentlich singen darf?

Georg Zeppenfeld: Seit Mitte März ist nichts mehr los. Die ersten paar Wochen waren herrlich. Ich habe Holz gehackt, dass es eine Lust war und den Rasen gemäht und alle die Dinge erledigt, die sonst an meiner Frau hängen bleiben, weil ich dauernd unterwegs bin. Dabei bin ich mal so richtig auf den Boden gekommen. Aber dann fängt man an, mit den Füßen zu scharren und denkt, man müsste mal wieder was abliefern. Man gewöhnt sich an diesen Sonderzustand, aber das ist nicht schön.

Notfallspielplan an der Semperoper

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Sie singen an vielen Häusern. Wie gehen die einzelnen Bühnen mit Corona um?

An der Semperoper in Dresden, meinem Stammhaus, gibt es einen Notfall-Spielplan mit konzertanten und semikonzertanten Aufführungen, und man hofft, dass man ab November einen Spielplan aufstellen kann. Das sehe ich aber noch auf sehr wackeligen Füßen stehen, wenn ich mir ansehe, wie die Leute in die südlichen Länder reisen und sich an keine Vorsichtsmaßnahmen halten. Ich hatte zwei Sachen zu tun, einmal in Genf in der Schweiz ein Verdi/Wagner-Projekt. Die Schweizer Theater haben untereinander ein Sicherheitskonzept abgestimmt und der Politik vorgelegt, und sie gehen davon aus, dass sie ab September die Orchester wieder in den Graben setzen können. Von dieser abgestimmten, die Initiative ergreifenden Herangehensweise können wir in Deutschland lernen.

Sehr anständiges Verhalten

Und das zweite Projekt?

Das war eine schöne Erfahrung mit den Dresdener Philharmonikern, also dem städtischen Orchester hier am Ort. Ich war für einen konzertanten „Fidelio“ im April engagiert. Ein Mitschnitt sollte auch auf CD veröffentlicht werden. Die Konzerte mussten abgesagt werden, wie alles andere auch. Dann haben die Philharmonie und das beteiligte CD-Label es riskiert, eine Studioproduktion auf die Beine zu stellen. Das ist etwas ganz Seltenes, Studioproduktionen von Opern gibt es ja kaum noch. Proben und Aufnahmen wurden als Film dokumentiert, was ebenfalls ungewöhnlich und interessant war. Und die Philharmonie hat tatsächlich die vereinbarten Gagen ausgezahlt, das fand ich sehr anständig.

Studieren Sie im Homeoffice neue Partien ein?

Ich habe endlich mal Schuberts „Winterreise“ gelernt, das habe ich schon im Studium gewollt. Weil die meisten Kunstlieder für hohe oder mittlere Stimme komponiert sind, muss man als Bassist nahezu permanent in seiner höchsten Lage singen, und zwar auf eine Weise, die die Farbigkeit der Stimme nicht beeinträchtigt und auch die Anstrengung nicht erkennen lässt. Als junger Sänger hat man die technischen Mittel dazu nicht. Und siehe da: Jetzt geht es wesentlich besser. Es ist spannend, mit dem Genre Lied Erfahrungen zu machen. Wenn Sie kaum Repertoire haben, dann ist beinahe jedes Lied ein Debüt, das ist sehr anstrengend, alleine wegen der Textmengen und des Detailreichtums. Ich möchte mich da in Zukunft noch mehr zu Hause fühlen

Viele schöne Gelegenheiten wegen Corona abgesagt

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Vermissen Sie das internationale Leben, die Reisen, die berühmten Opernhäuser?

Ich hatte nie die Absicht, zum Jetset zu gehören, das habe ich nie angestrebt, das hat sich so ergeben. Mir kommt es darauf an, wie die Arbeit ist, die ich tue und weniger, wo ich sie tue. Ich vermisse die vielen schönen Gelegenheiten, die sich für diese Saison ergeben hatten…

Haben Sie Angst, dass Corona unser Kulturleben dauerhaft beschädigt?

Solange es keine medizinischen Mittel gibt, wird die Situation für die Theaterschaffenden labil bleiben. Aber ich denke, dass wir im Rahmen der Möglichkeiten, die wir haben, loslegen müssen. Es hängen ja auch Institutionen daran, und wenn die weg sind, sind sie weg. Man muss vorsichtig sein und versuchen, das kulturelle Leben aufrecht zu erhalten. Ich sehe da viele, aber unterschiedliche Ansätze. Viel wird davon abhängen, wie die Situation an den einzelnen Orten ist.

Es fehlt der Austausch

Welche Bilanz ziehen Sie ganz persönlich?

Abgesehen von dem wirtschaftlichen Desaster hatte der erzwungene Stillstand auch einen positiven Aspekt. Ich hatte erstmals für Monate kaum berufliche Verpflichtungen. Das kommt dem schon nahe, was ich mir unter Ruhestand vorstelle. Vor der Rente hatte ich bisher panische Angst, davor, was ist, wenn ich nicht mehr öffentlich singen darf. Nun habe ich gemerkt, dass man damit leben kann. Die Beziehung zur Sache, zur Musik, die bleibt erhalten, ich singe jeden Tag, aber es fehlt natürlich der Austausch mit den Kollegen und dem Publikum. Man schmort so im eigenen Saft. Doch ich könnte mir nicht vorstellen, deshalb das Singen aufs Eis zu legen.

Früher haben Sie beklagt, dass der Beruf Ihnen so wenig Zeit lässt, in die Heimat zurückzukommen.

Auch das ist unter Corona anders. Wir können unseren Familienurlaub erstmals seit vielen Jahren in unserer Heimat verbringen, meine Frau ist ja auch Sauerländerin. Wir wollen uns mal auf den Sauerländer Wanderwegen verbreiten, das hatten wir schon lange vor, darauf freuen wir uns sehr.