Marsberg. Er gilt als Herausforderer von Ministerpräsident Laschet: Warum Thomas Kutschaty für Windräder ist und seine Borkenkäfer-Idee aufhorchen lässt.

Wirklich geklärt sind die Machtverhältnisse noch lange nicht in der NRW-SPD: Schon allein, weil Landes- und Fraktionsvorsitz nicht in einer Hand liegen. Doch Thomas Kutschaty (52), der Mann, der sich vor rund zwei Jahren den Vorsitz der 69-köpfigen SPD-Landtagsfraktion in einer Kampfabstimmung gegen den Kandidaten des Parteiestablishments gesichert hatte, könnte der nächste Ministerpräsidenten-Kandidat der SPD in NRW sein. Ob er das auch will, wie er den von den Borkenkäfern hart getroffenen Waldbauern helfen möchte und ob er Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten haben will, verrät der Essener im Interview mit der WESTFALENPOST in Marsberg. Dort endete für ihn ein Tag im Sauerland, mit dem er die Kommunalwahlkämpfer seiner Partei unterstützen will.

Ein ganzer Tag im Sauerland – lohnt sich das eigentlich für einen SPD Politiker? Wo ihre Partei doch vermeintlich wenig holen kann in dem „schwarzen“ Gebiet?


Thomas Kutschaty: Natürlich lohnt sich das. Und ich muss Ihnen auch deutlich widersprechen. Natürlich gibt es hier etwas zu holen für die SPD. Wir stellen ja zum Beispiel die Bürgermeister in Brilon und in Arnsberg. Das hätte man vor ein paar Jahren vielleicht auch noch nicht gedacht. Bei der Kommunalwahl kommt es sehr auf die Kandidaten an. Zudem: Ich mache die Sommertour als Fraktionsvorsitzender ja nun schon im dritten Jahr, nicht nur in Wahlkampfzeiten. Das tut ganz gut, mal aus Düsseldorf raus zu kommen.

20 Prozent für die SPD in den Landtagswahl-Umfragen. Da bringen Sie nicht gerade Rückenwind aus Düsseldorf mit für die Kommunalwahlkämpfer. Was sagen Ihre Genossen vor Ort?

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Allein an der Vielzahl der Termine, die ich mache, sehen Sie ja, dass ich offensichtlich nicht als Hindernis angesehen werde. Im Ernst: Alle Ebenen müssen zusammenarbeiten. Und gerade wir als Landtagsfraktion haben eine enge Verbindung zur kommunalen Ebene. Allein sieben Fraktionsmitglieder kandidieren bei den Kommunalwahlen für Bürgermeister- oder Landratsämter. Da sind wir eng verdrahtet. Da wird mein Besuch schon als Rückendeckung gesehen.

Sie haben sich bei Wald und Holz über die Auswirkungen des Borkenkäferbefalls informiert. Was sagen Sie: Geht die die Unterstützung der Landesregierung für die Waldbauern in die richtige Richtung?

Das, was die Landesregierung vorhat, ist zu wenig. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Das hat mir der Förster bei Wald und Holz noch einmal sehr deutlich gemacht. Das Holz muss schnell aus dem Wald. Viele Waldbauern schaffen das gar nicht mehr allein, weil es derzeit auch oft keinen wirtschaftlichen Nutzen bringt. Sie können es allenfalls zum Selbstkostenpreis nach China verfrachten. Ich wünsche mir für die Waldbauern eine Perspektive. Mein Vorschlag: Das Land sollte über einen Waldfonds bereit sein, Wald zu kaufen und in Staatsbesitz zu überführen – wenn die Privatbesitzer verkaufen wollen. Mir hat ein Förster gesagt, dass viele Waldbauern gar nicht wissen, was sie nun anpflanzen wollen. Das müssen wir mit so einem Schritt verhindern. Die Flächen dürfen nicht austrocknen, so dass es zum Austrocknen der Böden und Erosionen kommt. Staatliches Handeln ist jetzt geboten.

Der Staat muss ohnehin derzeit enorme Ausgaben in der Corona-Pandemie stemmen. Glauben Sie wirklich, dass dafür Geld da ist?

Ja, das Geld ist da. Sie müssen ja sehen, dass das dafür aufgewendete Geld nicht weg ist. Wir würden mit dem Wald ja auch den Wert in der Bilanz steigern. Das ist kein verlorenes Geld. Aber notfalls muss der Wald auch als Zuschussbetrieb bewirtschaftet werden, um eine gute Mischwald-Aufforstung hinzubekommen. Wir reden von Klimaschutz und dann müssen wir auch das Sauerland als grüne Lunge des Landes stärken. Ein privater Waldbesitzer kann sich das im Zweifel nicht leisten, da ist das Gebot der Stunde, jetzt zu helfen. Der Staat hat da übergeordnete Aufgaben. Ich erwarte deutlich mehr Engagement von der Landesregierung. Von der zuständigen Ministerin, aber auch vom Ministerpräsidenten, von dem habe ich zu dem Thema noch gar nichts gehört.

Der Automobilzulieferer Hella in Lippstadt baut 900 Arbeitsplätze ab, auch in Forschung und Entwicklung. Läuft da etwas schief beim Forschungsstandort Nordrhein-Westfalen?

Da läuft tatsächlich was schief. Wir können in Nordrhein-Westfalen nicht Produktionsstandort bleiben, wenn hier nicht auch Forschung und Entwicklung läuft. Wir können vieles besser, aber sicherlich nicht billiger. Und deswegen ist ganz entscheidend, dass wir hier Know-how entwickeln und dieses auch in die Praxis umsetzen. Deshalb ist das, was da bei Hella abläuft, ein unternehmenspolitisch falsches Signal. Ich würde mir von Unternehmen wünschen, dass sie gerade auch in den Standort Nordrhein-Westfalen investieren.

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Was kann die Politik tun außer zu appellieren?

Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Wir müssen darauf achten, dass die Infrastruktur gut ist. Und das bedeutet heute, dass Unternehmen im Zweifel eher die leistungsstarken Datenautobahnen brauchen als eine sechsspurige Autobahn. 5G und zwar bis zu jeder Milchkanne – das darf nicht nur eine Floskel sein, das muss auch tatsächlich umgesetzt werden. Da muss deutlich mehr kommen von der Landesregierung.

Jetzt zeigen Sie wieder mit dem Finger auf die Landesregierung. Nun ist diese CDU/FDP – Landesregierung noch nicht so lange im Amt, und auch davor gab es bis auf fünf Jahre Jürgen Rüttgers über Jahrzehnte SPD-Ministerpräsidenten. Wenn Sie jetzt auf Ihrer Sommertour unterwegs sind: Müssen Sie da nicht auch oft sagen: Das haben wir damals auch als SPD-Regierung versäumt?

Thomas Kutschaty, Oppositionsführer im NRW-Landtag, stellt sich  im Interview in  Marsberg im Sauerland den Fragen der Westfalenpost.
Thomas Kutschaty, Oppositionsführer im NRW-Landtag, stellt sich im Interview in Marsberg im Sauerland den Fragen der Westfalenpost. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Ja klar. Natürlich nehme ich wahr, dass nicht alles, was wir in den letzten sieben rot-grünen Jahren angepackt haben, wirklich funktioniert hat. Ich lasse nur der jetzigen Landesregierung nicht mehr durchgehen, dass sie ja noch frisch im Amt sei. Drei von fünf Jahren der Legislaturperiode sind vorbei, jetzt zu sagen: das ist alles noch Rot-Grün schuld – der Zug ist abgefahren. Die sind jetzt selbst in Verantwortung. Ich erwarte aber Ideen, wie es laufen soll. Ich erwarte eine Vision. Dass nicht alles sofort umgesetzt werden kann, gestehe ich jeder Regierung zu. Übrigens auch der neuen ab 2022.

Wo wir bei dem Thema sind: Streben Sie denn an, eine Regierung zu führen? Werden Sie 2022 Ministerpräsidenten-Kandidat der SPD in NRW?

Ein Fraktionsvorsitzender muss immer willens und in der Lage sein, auch Spitzenkandidat bei der Landtagswahl zu sein. Ich hätte mich gar nicht zweimal als Fraktionsvorsitzender wählen lassen, wenn ich sagen würde, dass ich daran überhaupt nicht denken würde.

Sie sind im Sauerland und auch am Haarstrang an vielen, vielen Windrädern vorbei gekommen. Sie wissen aber auch, wie umstritten das Thema ist. Wie ist Ihre Position: Ist noch Raum für mehr Windräder in der Region, insbesondere im Sauerland?

Ja, ich bin für den Ausbau der Windenergie. Und ich finde es falsch, dass der Ausbau in den vergangenen drei Jahren praktisch zum Erliegen gekommen ist – etwa durch unsinnige Diskussionen über Abstandsregelung. Ich kann verstehen, dass das vor Ort nicht immer auf Begeisterung stößt, deswegen müssen wir auch andere Formen der finanziellen Organisation der Energiewende hinbekommen. Ich bin ein großer Freund von Bürgerwindparks. Wenn sie es schaffen, sich als Gemeinde oder örtliche Genossenschaft zu organisieren und selbst partizipieren von der Energieerzeugung, dann wird die Akzeptanz automatisch auch gleich höher, als wenn mir ein Energiekonzern das vor die Nase setzt.

Was meinen Sie mit unsinnigen Abstandsdiskussionen?

Der Wirtschaftsminister hat ein Jahr lang einen Mindestabstand von 1,5 Kilometern zu Wohnbebauung propagiert – offenbar ohne jegliche Rechtskenntnis – , um dann festzustellen, dass das Land gar nicht zuständig ist. Das verschreckt Investoren. Ich bin froh, dass der Bund festgelegt hat, dass Flexibilität vor Ort möglich ist. Es wird Fälle geben, da sind selbst 1,5 Kilometer nicht gut – auch wenn das rechtlich zulässig ist, bei anderen werden aber auch 700 Meter okay sein.

Welche Beziehung haben Sie überhaupt zum Sauerland?

Ich kenne das Sauerland natürlich schon lange, schon Schulausflüge aus dem Ruhrgebiet gingen ja hierhin hin. Auch mit meinen Eltern war ich hier. Als Ruhrgebietler ist man ja in eineinhalb Stunden hier. Das ist schon immer ein schönes Naherholungsgebiet für uns gewesen.

Das Sauerland nur als großer Freizeitpark?

Nein, hier gibt es mehr industrielle Arbeitsplätze als im Ruhrgebiet, wenn ich ganz Südwestfalen nehme. Das ist mir schon sehr bewusst. Auch hier schlägt das industrielle Herz Nordrhein-Westfalens. Es gibt viele Produktionsstätten, die aber mit vielen Sorgen belegt sind.

Welche Sorgen aus den Unternehmen haben Sie bei ihren Termin mitbekommen? Wo hakt es am meisten?

Was viele positiv betont haben in Sachen Corona: die Kurzarbeiterregelung hat gut funktioniert, das hat den Unternehmen wirklich geholfen. Auch die Soforthilfen haben gut funktioniert. Ich stelle aber Irritationen fest, dass jetzt in Nordrhein-Westfalen Soforthilfen wieder zurückgefordert werden. Das Verfahren sei hier in NRW ein bisschen undurchsichtig gewesen. Das ist tatsächlich ein Problem. Denn die größte Sorge, das habe ich bemerkt, sehen die Unternehmen in der Planlosigkeit. Sie wissen nicht, auf was sie sich verlassen können. Dieses häufige Hin und Her der Landesregierung beschäftigt auch die Unternehmen. Auch und gerade im Bereich Kita und Schulen. Natürlich sind Unternehmen darauf angewiesen, dass ihre Mitarbeiter Sicherheit haben.

Unterstützen Sie denn den Kurs der Landesregierung, die Schulen und Kitas ab August wieder im Normalbetrieb laufen zu lassen?

Ich finde es erst mal interessant, dass die Bildungsministerin und der Familienminister feststellen: Jetzt ist wieder Normalfall. Ich weiß nicht, woher das Wissen kommt. Wir müssen erst sehen, was die Reiserückkehrer für Auswirkungen haben. Ich wünsche mir, dass wieder der normale Betrieb herrschen kann. Gerade für die Kinder, die ja die eigentlichen Verlierer der Coronakrise sind. Meine eigene Tochter kommt ins neunte Schuljahr. Ich habe noch nie erlebt, dass sie sich so auf die Schule gefreut hat. Aber natürlich müssen die Voraussetzungen stimmen, dazu gehört auch eine engmaschige Teststrategie. Die habe ich schon vor den Ferien gefordert. Lehrer und Erzieher müssen die Möglichkeit haben, sich kostenlos testen zu lassen. Wir müssen ohnehin mehr testen, so dass wir lokale Infektionsgeschehen sofort lokalisieren können und dann gegebenenfalls einzelne Schulen schließen können. Und nicht flächendeckend. Es macht ja keinen Sinn, wegen eines Falls zum Beispiel alle Schulen im Hochsauerland zu schließen.

Wenn die SPD wieder eine Regierung führen würde. Wie wollen Sie es strukturell sicherstellen, dass in Düsseldorf die ländlichen Regionen wie Südwestfalen genug Beachtung finden?

Bei uns in der Fraktion ist der Gedanke, gleichwertige Lebensverhältnisse auch im Land darzustellen, ohnehin stark verankert. Bei der CDU hat man schon mal den Eindruck, dass sie sagt: Die Stimmen im Sauerland habe ich sowieso im Sack, da kann ich das Geld auch im Rheinland ausgeben. Das wäre fatal. Wie gesagt: Wir wissen, dass Südwestfalen Industrieregion Nummer 1 ist. Und dafür schlägt natürlich das Herz eines Sozialdemokraten.

Ihr Landesvorsitzender hat sich schon für Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten ausgesprochen. Warum zieren Sie sich noch?

Die beiden Parteivorsitzenden haben zu Recht für sich in Anspruch genommen, einen Personalvorschlag zu unterbreiten. Sie führen gerade Gespräche. Ich hab sie neulich auch in Berlin getroffen. Und sie werden dann einen Personalvorschlag machen. Olaf Scholz ist sicher ein Name, der ganz oben auf der Liste der möglichen Kandidatinnen und Kandidaten stehen wird. Es wäre sicherlich auch mehr als fahrlässig, den Vizekanzler bei den Überlegungen nicht zu berücksichtigen.

>> ZUR PERSON: Thomas Kutschaty

  • Thomas Kutschaty (52) ist in Essen geboren und lebt auch heute noch dort. Der Jurist war als Rechtsanwalt tätig, sitzt seit 2005 im Landtag und war von 2010 bis 2017 NRW-Justizminister.
  • Im April 2018 sicherte sich der verheiratete Vater dreier Kinder den Fraktionsvorsitz der SPD im NRW-Landtag gegen den von der Parteispitze favorisierten Marc Herter. Inzwischen ist er einmal wiedergewählt worden.