Bayreuth/Hagen. Keine Festspiele auf dem Grünen Hügel wegen Corona. Was passiert im leeren Festspielhaus? Und was machen eigentlich Wagnerianer auf Entzug?

Keine Fanfaren kündigen heute auf dem Grünen Hügel den Start in eine neue Saison an, keine Zaungäste diskutieren über die neuen Abendkleider der Kanzlerin. Erstmals in der Nachkriegszeit fallen die Richard-Wagner-Festspiele wegen Corona aus. Was machen eigentlich Wagnerianer auf Entzug? Und was passiert im leeren Festspielhaus?

„Es ist so ganz anders, so unwirklich realistisch. Nur die Stammbelegschaft ist im Haus, und wir sind auf Kurzarbeit. Sonst herrscht am 24. und 25. Juli immer Hochbetrieb im Pressebüro. Man kann die Atmosphäre derzeit nicht beschreiben“, sagt Hubertus Herrmann, der Sprecher der Festspiele. Der 43-Jährige ist Nachfolger des langjährigen Presseleiters Peter Emmerich, der im Dezember überraschend starb. „Mein erstes Jahr hätte ich mir anders vorgestellt als mit der Absage der Spielzeit und der schweren Erkrankung von Festspielchefin Katharina Wagner. Sie fehlt uns hier sehr. Frau Wagner befindet sich auf dem Weg der Besserung, und wir hoffen, dass sie im Herbst wieder bei uns ist.“

Keine Schlangen am Bratwurststand

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Nicht jeder Wagnerianer kann akzeptieren, dass es in diesem Sommer keinen „Tannhäuser“ geben wird, vom abgesagten „Ring“ ganz zu schweigen. Keine Schlangen am Bratwurststand und keine geschwollenen Beine vom Sitzen. „Wir werden sehen, ob Gäste ihr traditionelles Picknick im Festspielpark veranstalten werden“, spekuliert Herrmann. „Einige Festspielbesucher haben ihr Hotelzimmer nicht storniert, sondern machen jetzt Urlaub in Bayreuth. Wir bieten im Festspielhaus wieder Führungen an, und die sind derzeit alle außerordentlich nachgefragt.“

Auf ihren Streifzügen durch Oberfranken können die Wagner-Freunde auch Musikern und Sängern begegnen. „Einige der Mitwirkenden sind trotzdem gekommen, die machen Ferien in den gebuchten Unterkünften und genießen die schöne Gegend und das gute Essen erstmals, ohne zu arbeiten.“

Am „Ring“ geschraubt

Während Dirigent Christian Thielemann am heutigen 25. Juli ein Konzert mit 14 Musikern, der Sopranistin Camilla Nylund und dem Tenor Klaus Florian Vogt im Haus Wahnfried organisiert hat (live: www.br-klassik.de), wird im Festspielhaus am Bühnenbild für den „Ring“ gehämmert und geschraubt. „Die Proben hätten im April beginnen müssen. Das ging aber nicht. Nächstes Jahr im April waren viele Sänger schon anderweitig verplant, also haben wir uns entschieden, den ,Ring’ auf 2022 zu schieben, dann können 2021 im Sommer die Vorproben stattfinden“, so Herrmann.

Mit Hochdruck arbeitet die Festspielleitung am Spielplan und den Besetzungen für 2021, der im August vorgestellt werden soll. „Man kann eine abgesagte Saison nicht 1:1 auf dem Reißbrett verschieben, dafür sind die Sänger zu langfristig im Voraus verpflichtet“, lässt Herrmann hinter die Kulissen blicken. „In Bayreuth können wir nur Wagner-Opern machen, und wir können nicht die Besetzung der ,Meistersinger’ halbieren. Wir hoffen, dass wir im neuen Jahr die relevanten Kollektive Orchester und Chor wieder vollzählig einsetzen können.“

Der Kartenvorverkauf für 2021 verschiebt sich

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Corona bringt zudem viele Fragezeichen bezüglich des Publikums mit sich. Denn Abstand lässt sich im Festspielhaus auf den engen Sitzen nur schwer halten. Können alle 60.000 Karten für 2021 verkauft werden? Oder wird es Platzbeschränkungen geben? Weil diese Punkte noch nicht geklärt sind, verschiebt sich der Kartenvorverkauf. „Wir können nicht im Februar sagen, es können nur die Hälfte von denen kommen, die gebucht haben. Das wäre grob fahrlässig. Aber unser Publikum ist unglaublich solidarisch. Viele haben die Karten für 2020 gespendet oder lassen den Betrag als Guthaben auf dem Kundenkonto stehen.“

Die Wagnerianer bilden eine internationale Kulturgemeinde, viele Besucher kommen aus Japan, China und den USA. Dürfen die nächstes Jahr wieder reisen? Und trauen sich die Opernfreunde dann in ein geschlossenes Haus? Die Salzburger Festspiele zum Beispiel haben ihr Kartenkontingent von 235.000 auf 70.000 abstandssicher reduziert, aber der Vorverkauf läuft nicht so, wie es erwartet wurde.

15 Millionen Einnahmeverlust

Mit 15 Millionen Euro Einnahmeverlusten durch die Corona-Krise kalkulieren die Festspiele, die sich zu rund 65 Prozent durch Einnahmen finanzieren. Auf der anderen Seite fallen aber auch Ausgaben weg, etwa für Gagen. Daher werden die Zuschüsse von 7,6 Millionen Euro wohl für eine ausgeglichene Bilanz 2020 ausreichen. Schwerer wiegen die Sorgen um die grundsätzliche Wiederaufnahme des Spielbetriebs. Hubertus Herrmann: „Man muss auch mal optimistisch und hoffnungsfroh sein dürfen. Das ist meine Grundüberzeugung.“

Für Wagnerianer auf Entzug gibt es die ersten virtuellen Festspiele: Zwei Ring-Zyklen (Frank Castorf und Patrice Chéreau) sowie Barrie Koskys Meistersinger plus Aufführungen von Tannhäuser, Lohengrin, Tristan und Isolde und Parsifal sind am Tag ihrer ursprünglichen Aufführung digital zu sehen. Die Karten kosten 4,90 Euro, der Erlös geht in den Nothilfefonds für Bayreuther Chorsänger und Musiker, den die Gesellschaft der Freunde Bayreuths aufgelegt hat.

www.bayreuther-festspiele.de