Hagen. Der Hagener GMD Joseph Trafton darf wegen der Corona-Krise seine Eltern in den USA nicht besuchen

Schon im Januar hatten sie die Flugtickets für die Sommerferien zuhause in den USA gekauft, die Eltern haben sie das letzte Mal im vergangenen Herbst gesehen. Dann kam die Seuche. Für den Hagener Generalmusikdirektor Joseph Trafton bedeutet die Corona-Krise nicht nur eine erzwungene Umwälzung all dessen, was er in seiner Arbeit für gewiss und sicher hielt. Das Virus trennt ihn noch dazu von seiner Familie in der amerikanischen Heimat. „Meine Eltern haben eine Vorerkrankung und achten sehr auf die Hygienemaßnahmen. Sie gehen nicht aus dem Haus. Ich respektiere das“, sagt er und ergänzt. „Der Familie unwissentlich etwas einzuschleppen, das ist doch die Angst von uns allen, wenn es um die Frage geht, ob man die Eltern besuchen soll oder nicht.“

Eine Saison voller Herzblut

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Also bereitet Joseph Trafton in Hagen die kommende Spielzeit vor, eine Saison voller Herzblut und Fragezeichen. „Wir haben noch so wenige Antworten“, sagt Trafton. „Wir wissen immer noch nicht, ob wir 120 Besucher zum Sinfoniekonzert in der Stadthalle begrüßen dürfen oder 300 bis 400. Wir hoffen natürlich auf letzteres. Aber wir sind vorbereitet und beweglich. Gegebenenfalls spielen wir ein Konzert zweimal hintereinander.“ Das Theater Hagen wartet auf die aktualisierten Vorgaben der Landesregierung für den September, wenn die neue Spielzeit startet. „Wir haben unser Programm an Corona angepasst und genau ausgemessen, wo die Musiker sitzen. Wenn es bei zwei Metern Abstand bleibt, können alle Programme bis hin zu Bruckners 6. Sinfonie funktionieren. Die Opernregisseure bereiten sich auf sehr große Abstände vor. Bei den Sängern sind fünf Meter angesagt, neuere Studien gehen von 1,5 Metern aus.

Zieht das Publikum mit?

Kultur ist von Corona besonders hart getroffen. Das System Stadttheater muss nun eine Flexibilität beweisen, für die strukturell erst einmal die Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Und über allem schwebt die bange Frage: Zieht das Publikum mit?

„Es gibt Abokündigungen, weil einige Besucher durch Corona weniger Geld zur Verfügung haben. Viele Menschen haben derzeit Sorgen. Wir erhalten aber auch viele Briefe von Zuhörern, die schreiben, wie sehr sie uns vermissen. Ich hoffe sehr, dass die Leute merken, dass wir die Abstandsregeln absolut einhalten und dass trotzdem ein Gemeinschaftsgefühl entsteht, das man spürt. Wir wollen Kunst machen. Wir wollen dem Publikum dienen, es aber nicht in Gefahr bringen.“

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Die deutschen Theater- und die Generalmusikdirektoren befinden sich in einem engen Austausch über die Bewältigung der Corona-Folgen. Trafton: „Schön wäre es, wenn es bundesweite Richtlinien gäbe, das sagen alle Kollegen. Innerhalb der Vorgaben der NRW-Landesregierung gibt es ebenfalls widersprüchliche Angaben. Wir wählen immer die vorsichtige Lesart.“

Von Hagen aus registriert der Generalmusikdirektor täglich mit Unruhe die neuesten Corona-Schreckensmeldungen aus den USA. „100.000 Tote! Alle paar Wochen 1000 mehr. Das menschliche Leben wird offenbar nicht sehr geschätzt. Die Entscheidung, in den Theaterferien nicht zu den Eltern zu fliegen, ist uns sehr schwer gefallen. Ich habe einen kleinen Neffen, den habe ich voriges Jahr kurz nach der Geburt zum ersten und bisher letzten Mal gesehen. Aber auch mein Bruder sagt: Bitte komme nicht dieses Jahr.“

Einsamkeit wird zum Thema

Isolation und die erzwungene Trennung vom sozialen Umfeld, das sind neue Erfahrungen durch die Corona-Krise. Da liegt es nahe, dass Trafton und Intendant Francis Hüsers für die Premiere am 12. September zwei Kurzopern gewählt haben, in denen es um das Thema Einsamkeit geht. Joseph Haydns „Die einsame Insel“ und „Marilyn Forever“. Die Sinfoniekonzerte starten am 29. September mit Beethovens 7. Sinfonie und Mendelssohns Violinkonzert, also genau der Bekenntnis-Musik, die man zum Durchhalten in einer schwierigen Zeiten braucht; die koreanische Weltklasse-Geigerin Bomsori Kim ist die Solistin.

„Wenn ein Dirigent nicht dirigieren kann, ist das fürchterlich“, bekennt Maestro Trafton. „Das Orchester ist mein Instrument, und ich konnte die Musiker nur telefonisch erreichen. Beim digitalen Couchtheater konnten wir dann einige Projekte realisieren, das hat geholfen. Am schwersten trifft es den Chor, immer noch. Wir alle hungern danach zu singen und zu spielen.“

Radfahren im Sauerland

Joseph Trafton und seine Frau, die Pianistin Dr. Amy Tarantino-Trafton, nutzen die Ferien, um die Region besser kennenzulernen. Mit dem Fahrrad geht im Zug nach Winterberg und dann auf dem Ruhrtal-Radweg zurück. Hennesee, Sorpesee, Biggesee: Amy Tarantino-Trafton kommt aus Cleveland am Ufer des Eriesees, sie liebt das Wasser.

Bisher ist man im Kulturbetrieb davon ausgegangen, dass Corona die Ausnahmesituation ist, nun muss man sich weit über Weihnachten hinaus damit einrichten. Die bestehenden und neu abgeschlossenen Theater-Abonnements greifen daher in Hagen erst ab Januar und sind entsprechend preislich ermäßigt; im Herbst kann das Publikum die Gutscheine vom Frühjahr einlösen. „Es besteht die große Gefahr, dass das Kulturleben zum Corona-Verlierer wird“, fürchtet Trafton. „Aber wir hören auch immer wieder vom Publikum, wie sehr sie uns vermissen. Ich kann nur hoffen, dass wir alle durchhalten. Wir wollen unbedingt spielen.“