Bruchhausen. Die Bruchhauser Steine sind alt und besonders. Sie bieten spektakuläre Aussichten – und dem einen oder anderen auch Einsichten.

Eine körperliche Beeinträchtigung ist der jungen Frau nicht anzusehen. In gebückter Haltung, fast auf allen Vieren, bewegt sie sich fort. Vorsichtig. Schritt für Schritt. Den Blick immer schön auf den Boden gerichtet.

Siebenhundertvierundfünfzig.

Siebenhundertfünfundfünfzig.

Siebenhundertsechsundfünfzig.

Meter über Normalnull.

Höher geht es hier nicht. „Blöder Gruppenzwang“, sagt das Mädchen und lacht ihre beiden Freundinnen an. „Ich hab ein bisschen Höhenangst.“ Bisschen aber nur. Sie setzt sich ganz oben auf den felsigen Stein, schaut sich um. Mit ihrem Leiden ist sie dort, wo sie ist, nicht so sehr richtig. Das weiß sie selbst. Aber sie hat sich beruhigt. „Jetzt“, sagt sie, „jetzt ist es wunderschön.“

Magischer Ort im Sauerland

Was muss das für ein magischer Ort sein, der den Menschen ihre Ängste nimmt oder sie zumindest vergessen lässt? Er liegt tief im Sauerland, im Rothaargebirge. „Bruchhauser Steine“ heißt er. Das ist ganz offiziell ein nationales Naturmonument und eine prächtige Sehenswürdigkeit. Tausende Jahre alt. Mythenumrankt. Geheimnisvoll. Verwunschen.

Vier Vulkanfelsen sind es, die sich weithin sichtbar auf einem Berg erheben. Ein bisschen wie die Hinkelsteine, die Obelix durch die Gegend wirft, nur eben größer, imposanter. Aus dem Tal kommend stehen sie nacheinander Spalier: Bornstein, Ravenstein, Goldstein und letztlich der Feldstein. Der Kleinste (nur 45 Meter hoch) reckt sich am weitesten in die Höhe.

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Panoramablick mit Schwindelfaktor

Ihn, und nur ihn, kann man besteigen. Ganz oben steht ein Gipfelkreuz. Es schwankt bedrohlich im Wind und ihm von seinem Fuß dabei zuzusehen, erhöht den Schwindelfaktor erheblich. Man torkelt mit, Schwindel ergreift einen kurz. „Ehre sei Gott in der Höhe“ steht auf dem Kreuz. Ein himmlischer Ort. Denn von dort oben sieht die Welt wie eine andere aus. 360-Grad-Panoramablick.

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Im Norden der Fernmeldeturm Rüthen, im Süden der Kahle Asten. Zwei Gleitschirmflieger schweben in Richtung Tal, wo die winzigen Autos geräuschlos fahren, wo sich die Schatten der Wolken über die immergrüne Landschaft schieben. Windräder in der Ferne. Grimmig ist der Wind dort oben. Er wuchtet ohrenbetäubend durch die Stille. Aber er passt an diesen herben, ursprünglichen Ort, der neben Aussichten auch Einsichten bereit hält.

380 Millionen Jahre der Entstehung

„Der Mensch ist ja gern etwas überheblich und benimmt sich, als habe er die Welt erfunden“, sagt Hubertus Freiherr von Fürstenberg (75), Gründer der Stiftung Bruchhauser Steine und Zeit seines Lebens mit den Steinen verbunden: „Aber wenn man da oben steht, merkt man: Das stimmt nicht. Die Zeit und die Naturgewalt, die dahinter steckt, lehrt Demut.“

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Vor 380 Millionen Jahren habe begonnen, was nun sichtbar sei: Dort, wo heute Madagaskar liege, sei flüssige Lava aus dem Erdinneren ausgetreten und zu widerstandsfähigem Gestein geworden, das sich erst zu riesigen Falten zusammenschob, ehe das weniger harte Umgebungsgestein wieder abgetragen wurde. Steinhauerarbeiten der Natur. „Wenn man da war“, sagt der Freiherr, „hat man schon das Gefühl, dass das eine einnehmende Naturgewalt ist.“ Die junge Frau mit der Höhenangst konnte sie jedenfalls spüren.