Hagen. Vor einem Monat durften gastronomische Betriebe nach dem Corona-Lockdown wieder öffnen. Doch die meisten fahren Verluste ein. Vier Beispiele.
Manchmal, sagt Paul Gerhard Kalthoff, stehe er derzeit hinter dem Tresen und fange unbewusst an zu rechnen. Zwei besetzte Tische nur im Restaurant am Abend, dafür aber der Koch und die Küchenhilfe im Dienst, er selbst natürlich auch. „Von Wirtschaftlichkeit sind wir derzeit weit entfernt“, sagt der Inhaber des Restaurants „Auf‘m Kamp“ am Hagener Stadtrand, zu dem auch ein Hotelbetrieb gehört. „Es lohnt sich kaum, dass wir geöffnet haben. Wenn wir keine Hilfen bekommen, dann sehe ich schwarz, dann kann man davon nicht leben“, sagt seine Frau Nicole.
Nach dem Neustart: Erste Restaurants schließen schon wieder
Seit einem Monat, seit dem 11. Mai, dürfen die gastronomischen Betriebe nach dem Lockdown wegen des Coronavirus wieder Gäste empfangen. Doch der Zuspruch ist so gering, dass die ersten schon wieder schließen, weil das weniger Schaden anrichtet. „Schürmanns Hafenkantine“ am Phoenixsee in Dortmund zum Beispiel.
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) veröffentlichte in dieser Woche trübe Zahlen. 85 Prozent aller Betriebe arbeiteten laut einer Umfrage derzeit nicht wirtschaftlich. Mindestens 70 Prozent des normalen Umsatzes seien nötig, um über die Runden zu kommen. Die deutliche Mehrheit läge bei weniger als 50 Prozent. Ohne weitere staatliche Hilfe würden viele Betriebe diese Krise nicht überleben.
Wegen der Corona-Krise: Betriebsferien verlängern?
Die Kalthoffs öffneten das Lokal direkt am 11. Mai wieder. Tatendrang. Zuversicht. Die Betriebsferien im Juli, dachten sie, würden sie ausfallen lassen, um Einnahmeverluste ausgleichen zu können. Bald ist schon Juli. Sie überlegen jetzt, ob sie die Betriebsferien für das Restaurant, „den größten Kostenfaktor“, nicht ausweiten sollen.
Coronakrise: Die Verhaltensregeln im Restaurant
160 Stornierungen haben die Kalthoffs gezählt: Hochzeiten, Kommunion, Konfirmation, Familienfeiern. Auch die Hotelzimmer bleiben deswegen leer. 17 Mitarbeiter hat der Betrieb, die Hälfte sind Menschen mit Behinderung. Die Sofort-Hilfe ist schon beantragt, „seit dem 10. April“, sagt Kalthoff, „aber geflossen ist noch kein Geld. Dabei haben wir es in die Planung eingerechnet.“ Überhaupt fühlt er sich etwas allein gelassen mit den Rechnungen: Versicherungen, Krankenkassenbeiträge, Personalkosten. „Der Bund verhandelt derzeit über Lufthansa und Co. Aber wo sind die Hilfen für Tourismus, für Hotellerie und Gastronomie?“ Die Mehrwertsteuersenkung? Gut und schön. „Aber ohne Einnahmen hilft die auch nicht.“
DEHOGA-Befürchtung: 30 Prozent der Betriebe werden schließen müssen
Lars Martin kennt die Nöte der Betreiber. „Ich bin erstaunt, dass so viele noch durchhalten“, sagt der stellvertretender DEHOGA-Hauptgeschäftsführer im Bereich Hagen und Siegen. „Aber ich fürchte, dass 30 Prozent der Betriebe langfristig werden schließen müssen. Das wird ein Sterben, das sich auf die Dauer eines Jahres hinziehen wird.“
Viele hofften, dass es besser werde, suchten Gelder zusammen, um bis zum vermeintlichen Wendepunkt durchzuhalten. Und wenn der nicht kommt, gehen die Lichter aus. „Es tut weh zu sehen“, sagt Martin, „wenn Betriebe, die in der dritten Generation geführt werden, darüber nachdenken müssen, Insolvenz anzumelden.“
Traditionshaus in Winterberg
Seit mehr als 200 Jahren gibt es den Betrieb „Landgasthof Gilsbach“ bei Winterberg. Andreas Gilsbach erzählt mit Stolz, dass sein Vater und Großvater und Urgroßvater hier schon Gäste empfingen. „Wir haben schon andere existenzbedrohende Situationen erlebt als diese jetzt“, sagt er. Soll heißen: Sie schaffen es schon, auch wenn es nicht leicht ist.
60 Prozent Kapazität hat er sowohl im Innen- als auch im Außenbereich, bei 50 Prozent liegt der Umsatz in etwa. Aber die Leute haben weiterhin Angst oder mindestens Berührungsängste, sich wieder in Restaurants zu setzen.
Am Rothaarsteig: Die Wanderer wandern einfach vorbei
„Der Rothaarsteig führt direkt hinter dem Haus her“, sagt Gilsbach, „die Wanderer sind eine wichtige Klientel. Aber die, die sonst reinkommen für ein leichtes Mittagessen oder Kaffee und Kuchen gehen jetzt einfach vorbei.“
Die Soforthilfe hat er schon bekommen. Auch er hofft, dass es besser wird. Doch das anstehende lange Wochenende wird gewittrig – und bald sind Ferien. „Alle, die nicht in die Türkei buchen, haben auch nicht bei uns gebucht“, sagt er über seinen dazugehörigen Hotelbetrieb. Ob die Mehrwertsteuersenkung hilft, weiß er nicht. Er würde sich wünschen, dass Gewinne aus dem Vorjahr mit Verlusten aus diesem Jahr verrechnet werden könnten. Dann hätte er weniger Sorgen.
Siegen: Die internationalen Gäste fehlen
Mauro Fazio ist Betreiber der „Brasserie“, einem italienischen Restaurant direkt neben dem Museum für Gegenwartskunst in Siegen. Den derzeit besonders beliebten Außenbereich hat er auch, dennoch fährt er gerade nur 30 Prozent Umsatz ein. Die Sofort-Hilfe ist beantragt, die Miete wird gestundet. Das hilft.
Corona-Ausbreitung: Interaktive Karte
Sein Problem: Die, die sonst kommen, sind gar nicht erst in der Stadt. „Ich wünsche mir, dass die Firmen wieder arbeiten können wie früher. Wir haben durch Geschäftsreisende normalerweise viele internationale Gäste – aus China, Russland, den USA.“ Alle nicht da.
Lichtblick am Herdecker Ruhr-Ufer
Das Steakhouse „River“ direkt am Ruhr-Ufer in Herdecke scheint einer der wenigen Betriebe zu sein, die sich derzeit keine allzu großen Sorgen machen müssen. „Alle haben große Probleme – wir haben hier etwas kleinere“, sagt Tomas Branimir (38), der das Lokal an der Promenade im Februar 2019 übernahm.
„Wir haben hier derzeit 20 bis 30 Prozent weniger Umsatz“, sagt er und freut sich über seinen üppigen Außenbereich, auf dem Mindestabstand kein Problem ist und der Blick raus aufs Wasser geht. Das überzeugt die Kunden, sagt Branimir, ihre Skepsis einem Restaurantbesuch gegenüber abzulegen.