Sundern. Anwohner in Sundern-Hellefeld leiden seit Jahren unter aufgemotzten Maschinen. Jens Kunen ist einer von ihnen. Warum er nun Hoffnung schöpft.
Wenn der Himmel blau ist und das Wochenende ansteht, wird die Hellefelder Höhe zur „Hellefelder Hölle“. So haben jene Motorradfahrer die L 839 zwischen Arnsberg und Sundern getauft, die sich dort zu Rennen verabreden oder ihre aufgemotzten Maschinen in ohrenbetäubende Lärm-Höhen bringen.
Jens Kunen wohnt in dem Sunderner Stadtteil Hellefeld und kämpft seit sieben Jahren gegen Motorradlärm. Hat sich in all der Zeit die Situation verbessert? Kunen verdreht auch angesichts des erwarteten regen Pfingstausflugs-Verkehrs die Augen und zitiert den Titel der Hollywood-Komödie von 1993: „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Dann sagt er: „Es ist der Stand von 2013.“ Und doch ist er leicht optimistisch. Soeben hat der Bundesrat eine Entschließung mit Maßnahmen gegen Motorradlärm verabschiedet.
Ein Lärm wie am Nürburgring
Jens Kunen ist Sprecher der „Interessengemeinschaft Motorradlärm und Raserei“. „Kommen Sie am Freitag um 17 Uhr vorbei“, sagt er beim Anruf des Reporters, „freitags zwischen 5 und 6 geht die Wochenend-Dröhnung los.“ Es ist Freitag, 17 Uhr, es röhren schon einige Motorräder durch Berg und Tal. „Wir werden uns nie an diesen Krach gewöhnen“, sagt Kunen, „manchmal ist es ein Lärm wie am Nürburgring. Man kann es nicht richtig in Worte fassen.“ Versucht man es doch, fallen einem Begriffe wie „grell oder durchdringend“ ein. Vielleicht ist es so, als drehte einer die Bässe seiner Musikanlage immer wieder auf.
Kunen zeigt einen Facebook-Eintrag einer Motorradgruppe. Notiert ist, wo und wann man sich verabredet. Und der Zusatz: „An der Hellefelder Höhe lassen wir die Sau raus.“ Der 46-Jährige ist kein Motorrad-Hasser. Er selbst dreht gerne mit Ehefrau Nicole Runden auf ihren Motorrollern. „Es geht mir nicht um die Verurteilung einer bestimmten Klientel. Aber man muss doch ein gesundes Maß finden.“
350 Meter von seinem Haus entfernt verläuft die Hellefelder Umgehungsstraße, auch als Bauern-Autobahn bekannt. Sind Motorradfahrer im Geschwindigkeitsrausch, zieht der Schall über das ganze Dorf. Weiter in Richtung Hellefelder Höhe mit dem Hinweisschild „Rennstrecke, „Tempo 50“ für Motorräder – Kunen hat dort schon 180 Maschinen in der Stunde gezählt – hat sich schon die erste größere Biker-Gruppe gefunden.
Genauso lange wie Jens Kunen beschäftigt sich auch die Polizei im Hochsauerlandkreis mit dem Thema. Die Beamten kennen Tempo- und Lärmexzesse in der „Hellefelder Hölle“ aus eigener Anschauung und eigenem Gehör – sowie aus Videofilmen bei Youtube oder in sozialen Netzwerken, aufgenommen per Helm- oder Brustkamera, in denen Biker mit ihren Fahrkünsten auf der Straße „prahlen“, wie Polizeisprecher Holger Glaremin sagt.
Eine Minderheit bringt eine ganze Gruppe in Verruf
Teilweise verabrede man sich zu Rennen und nehme die Zeiten. Der Polizeisprecher weiß nicht so recht, was die Biker an dieser Sauerland-Strecke oder auch am Ochsenkopf nebenan so reizt – „vielleicht der anspruchsvolle und kurvenreiche Verlauf“. Er weiß aber, dass „generell Motorradfahrer gerngesehene Gäste bei uns im Sauerland sind. Leider bringt ein kleiner Teil, der unsere Straßen mit Rennpisten verwechselt und Anwohner wie Touristen gefährdet und belästigt, alle Motorradfahrer in Verruf.“
Appelle an Rücksichtnahme sind eher verpufft. „Diese Leute verstehen nur die Sprache der Sanktionen. Wenn es an ihr Portemonnaie, ihren Führerschein und am schlimmsten an ihre Maschinen geht.“ Aber wird denn genug kontrolliert? „Wir sind auf der Straße“, sagt Glaremin, schränkt aber ein: „Wir können nicht das ganze Sauerland kontrollieren.“
Zumal die Biker untereinander sehr gut vernetzt sind und rasend schnell vor den Augen des Gesetzes warnen. Wird dann doch einer geblitzt, kritisiert Anwohner Jens Kunen, fällt so mancher Verkehrssünder angesichts „fehlenden Frontkennzeichens und dunklen Helm-Visiers“ durch den Rost. Der Bundesrat hat in seiner Initiative eine Halterhaftung ins Gespräch gebracht. „Das wäre ein Riesenschritt“, findet Kunen, „bislang entschwindet derjenige, der aufs Motorrad steigt, in eine gewisse Anonymität.“
Pro und Kontra Streckensperrungen
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Bereits fünf Biker sind in diesem Jahr bei Unfällen im Sauerland gestorben. Nach Meinung von Polizeisprecher Glaremin sind temporäre Streckensperrungen unausweichlich. Dem widerspricht Michael Lenzen vom Bundesverband der Motorradfahrer: „Das verlagert doch nur das Problem. Es wird dann auf andere Strecken ausgewichen.“
Lenzen ist ein ausgleichender Mensch. Er betont stets, dass Anwohner und Touristen, die bewusst die Stille des ländlichen Raums suchen, ein Recht auf Ruhe haben, und dass die Politik die Lösung des Problems des Motorradlärms verschlafen hat. Während der Corona-Krise, so hat er festgestellt, ist das Thema „explodiert“: „In einer Zeit, in der die Menschen mehr Ruhe erleben, fallen diejenigen noch mehr auf, die Lärm machen.“
Motorradfahrer fühlen sich in Sippenhaft genommen
Lenzen sieht die Lösung des Problems nicht in „Sippenhaft“ („Wir wurden schon als Lärm-Terroristen verunglimpft“), sondern in mehr Kontrollen: „Die schwarzen Schafe müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“
Mit den bestehenden Gesetzen habe man die Möglichkeiten: „Dann müssen schwarze Schafe eben eine Zeit lang zu Fuß gehen.“ Ebenso sei es jetzt schon möglich, die allgemeine Betriebserlaubnis für ein aufgemotztes Motorrad zu entziehen.
Anwohner Jens Kunen erzählt, dass Rüttelstreifen an der Hellefelder Höhe installiert wurden, um Raser aufzuhalten. Es brachte nichts: „Das ist ein Kinderspiel für Biker. Sie fahren darüber und merken das gar nicht.“
In den eigenen Garten setzt sich das Ehepaar Kunen schon lange nicht mehr. „Das hält man nicht aus.“ Jens Kunen denkt mit gemischten Gefühlen an die Wettervorhersage für Pfingsten. Es soll trocken bleiben, ideales Wetter für Biker: „Paradox: Wir freuen uns, wenn Regen angesagt ist.“
>> HINTERGRUND: Initiative des Bundesrats gegen Motorradlärm
- Der Bundesrat setzt sich dafür ein, dass Motorräder künftig weniger Lärm verursachen. Einer Mitte Mai verabschiedeten Entschließung der Länderkammer zufolge soll in Zukunft bei allen Neufahrzeugen in Bezug auf die zulässigen Geräuschemissionen ein Maximalwert von 80 Dezibel (db/A) gelten. Dieser Wert entspricht in etwa der Lautstärke eines vorbeifahrenden Lkws oder eines Rasen- mähers.
- Die Länder möchten zudem, dass Polizisten Fahrzeuge bei „gravierenden Lärmüberschreitungen“ sofort sicherstellen dürfen. Außerdem soll Tuning härter bestraft werden, wenn das Motorrad dadurch erheblich lauter wird. Das Sound-Design, über das Fahrer die Geräuschkulisse selbst einstellen können, solle verboten werden. Die Länder wollen darüber hinaus beschränkte Motorrad-Fahrverbote an Sonn- und Feiertagen ermöglichen.
- Die Entschließung des Bundesrats geht nun an die Bundesregierung. Diese entscheidet, ob und wann sie die Anregung umsetzen will. Feste Fristen gibt es hierfür nicht.