Breckerfeld. Für den Heimat-Check haben wir unsere Leser gefragt: In Breckerfeld leben sie am liebsten. Spurensuche nach dem Glück in einer Kleinstadt.
Nirgendwo in Südwestfalen sind die Menschen zufriedener mit dem Ort, an dem sie wohnen, als in Breckerfeld, Das hat unser großer Heimat-Check ergeben. Fast 16.000 Teilnehmer in 40 Städten haben an der Umfrage teilgenommen.
Dieses kleine Städtchen im Ennepe-Ruhr-Kreis, 30 Autominuten südlich von Hagen. Ernsthaft jetzt? Da wo eigentlich nix los ist? Dieses Breckerfeld-Gefühl – was macht es aus? Und wo genau findet man es? Eine Spurensuche.
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Sie beginnt mitten im Ort am Rathaus. Der Bürgermeister kommt gerade vom Mittagessen. Zu Hause. 800 Meter. Er geht zu Fuß, winkt jemandem, der ihm aus dem Auto winkt. In der zweiten Etage hat André Dahlhaus sein Büro. Balkon zur Ostseite, wo die Sonne aufgeht. Dahlhaus ist der Bürgermeister, 39 Jahre alt, wenig Haar, viel Herz, freundliches Lachen, zwei Kinder. Noch nie hat er woanders gelebt und es fällt ihm im Traum nicht ein, daran etwas zu ändern. „Einige Bekannte und Freunde sind weggezogen, aber manche auch wiedergekommen. Die meisten, weil sie möchten, dass ihre Kinder in einer Kleinstadt aufwachsen, in der man aufeinander aufpasst.“ Die Bürger fühlten sich nicht so allein wie anderswo.
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Sonnengetünchte Bäume, Felder, Wiesen
Gibt es ihn, den wiederkehrenden persönlichen Breckerfeld-Moment? Dahlhaus überlegt. Er wäre jetzt eigentlich gerade aus dem Urlaub zurück gekommen. Er geht dem Gefühl gedanklich nach. Die Straße in die Stadt führt hinein durch einen Kreisverkehr, an dem die Haltestellen Sonnenschein und Königsheide heißen. Man ahnt warum: Der Blick geht majestätisch hinunter auf Breckerfeld, Richtung Lüdenscheid erheben sich sachte grüne Wogen aus lichtgetünchten Bäumen, Feldern und Wiesen. „Wenn ich dort bin, dann weiß ich, dass ich zu Hause bin. Vielen, die nach draußen pendeln, geht es so“, sagt er so als liege darin die gleiche Gefahr wie auf offenem Meer zu weit hinauszuschwimmen und den Boden unter den Füßen zu verlieren: „An diesem Punkt liegt die Arbeit und der Stress hinter ihnen und beginnt die Freizeit.“
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Aber Breckerfeld hat auch Fakten zu bieten: Seit mehr als zehn Jahren ist die Stadt schuldenfrei.„Zwölfkommazweieinssechsmillionen Euro“, sagt Dahlhaus als hätte das Wort nur zwei Silben, waren es noch 1998. Alles weg. Schulen und Sportanlagen sind renoviert. Es seien strategisch kluge Entscheidungen getroffen worden. Als 2005 die staatliche Eigenheimzulage wegfiel, wurde die Breckerfelder Eigenheimzulage erfunden: 4000 Euro pro Kind gab es für jede Familie, die neu baute. Heider Kopf war eines der ersten dafür ausgewiesenen Gebiete. 300 Bauplätze – alle mittlerweile weg. Vergeben oft an be gehrte Klientel: junge Familien.
Von Breckerfeld bis nach Santiago de Compostella auf den Jakobsweg
Unweit des Rathauses verläuft der Jakobusweg, auf den sie sehr stolz sind hier in der Hansestadt. Er führt theoretisch bis nach Santiago de Compostella auf den Jakobsweg. Ob die Dame da hin will? Eher nicht. Sie trägt fesche Brille und Handtasche statt Rucksack. Warum sind die Menschen hier so zufrieden? „Da fragen Sie die Falsche“, sagt sie. Na, toll. Vor 35 Jahren kam sie her aus Frankfurt am Main. Schön hat sie das hier gefunden, weil die Innenstadt belebt war, weil es einen Obst- und Gemüseladen gab, einen Tante-Emma-Laden und ein Geschäft für Wolle, Knöpfe und Stoffe. Stoff, aus dem ihre Träume sind, findet sie derzeit nicht. Die Innenstadt, sagt sie, sei ausgestorben.
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In Breckerfeld hat der Bäcker in der Innenstadt noch Mittagspause. Und der Metzger. Geöffnet haben die Pizzeria und die Eisdiele. La deutsche Vita. Eine Pflanze rankt üppig ein Backsteingebäude hinauf, es gibt Fachwerkhäuser, grüne Schlagläden – und abseits der Hauptstraße Stille. Der Fremde ist hier zumindest soweit Freund, dass man ihn grüßt, denn: Er ist ja da. Also kenne ich ihn bestimmt auch. Ist ja Breckerfeld. „Hallo.“
Jeder Vierte ist im Turn- und Sportverein
„Man muss das eben mögen“, sagt Stefanie Krüger, 33 Jahre alt, Mutter dreier Kinder. Sie wohnt ihr ganzes Leben schon hier, genau wie ihre Mutter. „Ich finde es schön, dass man sich kennt, dass man sich auf der Straße grüßt“, sagt sie, während sie ihr Eis isst. Die Kinder könnten unbeaufsichtigt auf dem Spielplatz bleiben oder allein zu Freunden gehen.
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Breckerfeld hat knapp 9000 Einwohner, fast jeder Vierte ist Mitglied im Turn- und Sportverein, kurz TuS. Wer da nicht mitmacht, kickt vielleicht bei SW Breckerfeld, geht in die Freiwillige Feuerwehr oder ist Mitglied bei den Bauernschützen, einem Verein für Brauchtumspflege, für Miteinander, für gegenseitige Hilfe. „Wir machen Social Networking, nur auf traditionelle Art“, sagt Dirk Kückelhaus. Es herrschen allerdings strenge Regeln: Mitglied werden darf nur, wer in einer der sechs Bauernschaften in den Außenbezirken wohnt, wer eine eigene Hausnummer hat – und wer Mann ist. Berghausen ist eine dieser Bauernschaften. Dort wohnt Kückelhaus, ein freundlicher Mann Anfang 50, gerade 25 Jahre verheiratet. Die silbernen Luftballons mit den Ziffern hängen noch im Wohnzimmer, von wo der Blick kilometerweit hinab und wieder hinauf geht, bis zum Horizont. „Wir leben hier wie auf einer Insel der Glückseligen“, sagt er und schaut zum Fenster hinaus.
Seit dem 18. Jahrhundert in Breckerfeld
Seine Vorfahren lebten schon in Breckerfeld, das lässt sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Im Flur hängen Bilder: Er mit seinem Vater und seinen Söhnen in den traditionellen blauen Hemden und roten Halstüchern der Bauernschützen. 22 und 24 Jahre sind die Söhne mittlerweile, der eine studiert, der andere macht eine Lehre. Ob sie bleiben oder gehen werden? „Jeder muss sein Leben leben und sein Glück finden. Wenn sie bleiben wollen – sehr schön. Aber alles andere unterstützen wir genauso.“
Wenige Schritte sind es von seiner Haustür bis in den Wald, kaum weiter bis auf eine Lichtung, auf die er vor zwei, drei Jahren eine Bank aus Holzscheiten gestellt hat. Da sitzt er manchmal – und schaut einfach, wie die Schatten der Wolken über die Landschaft ziehen. „Hier in Breckerfeld hat man Luft, hier hat man Platz“, sagt er.
Erinnerung an die Stadtwerdung 1396
Unten in der Stadt steht Ralf Schirp (60) auf der Schwelle des alten „Schuhhaus Löffler“, das leergezogen ist. Arbeit für den Fliesenlegermeister. Er hat die Lesebrille weit auf die hohe Stirn geschoben und begrüßt einen Bekannten mit den Worten: „Da ist ja mein zweitbester Freund.“ Gelächter.
Was es hier so gibt?, fragt er zurück. „Nix, das ist ja das Schöne.“ Er lacht. 1992 ist er aus Hagen hergezogen, weil es in den Neubaugebieten viel Arbeit für ihn gab – und er ist geblieben. 70 Meter hat er bis zum Feld, sagt er. „Das ist hier ein bisschen wie ein gallisches Dorf“, sagt er. „Hier hast du deine Ruhe. Und man sieht immer den Horizont.“
Ein paar Meter weiter stehen ein mittelalterlicher Handelskaufmann, ein Messerschmied und ein Schütze zusammen. Die Bronzefiguren unter den Rotdornbäumen im Stadtzentrum erinnern an die Stadtwerdung im Jahre 1396. Auf einer der Bänke daneben sitzt beharrlich Ulrich Nölling (78), ohne sich viel mehr zu bewegen als die Jungs aus Bronze. Seinen Gehstock hat er an die Bank gelehnt. Dort wohne ich, sagt er, da ist die Apotheke, da der Arzt, da die Fußpflege, da der Frisör. Jedes „da“ versieht er mit einer ausladenden Geste in die richtige Richtung. Soll heißen: Er hat alles, was er braucht. Ein Wirtshaus gäb‘s auch. Aber wenn man mal einen im Schlappen hat, dann gehe man besser nicht die Hauptstraße hoch, sondern durch den Hinterausgang hinaus, immer im Schatten der alten Stadtmauer entlang. „Dann sieht einen keiner.“ Dass jeder jeden kennt kann ja schließlich nicht nur Vorteile haben.
Ennepetalsperre, Glörtalsperre, Hasper Talsperre: alles zu Fuß erreichbar
„Wir haben es nie bereut, zurückgekommen zu sein“, sagt Jana Mücher (37). Sie ist einen Ort weiter in Zurstraße groß geworden. „Das ist für Breckerfelder ja schon Ausland“, sagt sie und lacht. Zusammen mit ihrem Mann, einem gebürtigen Attendorner, zog sie 2009 zurück nach Breckerfeld, auf den Heider Kopf. Vorher wohnten sie zusammen in Meinerzhagen, aber damit seien sie nie richtig warm geworden. „Es war nicht schwer, hier anzukommen“, sagt ihr Mann Mark (39), der Basketball beim TuS spielt, die Jungs – Stian (8), Bjarne (5), Norik (4) - kicken bei Schwarz-Weiß. „Der Freizeitwert ist riesig“, sagt Mark Mücher, die Familie ginge viel wandern, zu Fuß erreichten sie die Ennepetalsperre, die Glörtalsperre, die Hasper Talsperre.
„Man trifft sich hier immer wieder, die Wege zueinander sind kürzer“, sagt sie. „Hier kann man gemeinsam mehr auf die Beine stellen.“ Sie ist Vorsitzende des Vereins „Pferde stärken dich“ und im Stenografenverein. Wie der Bürgermeister auch. „Ich bin froh“, sagt Jana Mücher, „dass ich wieder da bin.“