Werl. Singen ist verboten und Abstand Pflicht: Was noch alles anders war bei der Heiligen Messe zum Start in die Wallfahrtzeit in Werl.

Die Sonne scheint hinter Gerhard Best auf den Vorplatz der Basilika in Werl. Der Pastor wirkt erleichtert. „Das heute war die große Unbekannte“, sagt er und fügt einen Satz hinzu, über den er selbst schmunzeln muss, weil er in normalen Zeiten völlig absurd wäre. Weil Kirchen an Bedeutung verloren haben, weil sie glücklich sind über jeden, der den Weg zu Gott findet. „Ich bin auch froh, dass nicht noch mehr Menschen gekommen sind.“

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Die Heilige Messe zum Start in die Wallfahrt Werl ist seit einer Stunde vorbei. Es war der erste Gottesdienst in Südwestfalen, nachdem diese vor sechs Wochen von der NRW-Landesregierung zum Schutz vor dem Coronavirus ausgesetzt wurden. Seit dem 1. Mai dürfen die Gemeinden nun wieder zusammenkommen. Allerdings unter besonderen Vorkehrungen. Was in den nächsten Tagen und Wochen in allen Orten und Dörfern Realität wird, probiert Werl als erstes aus.

Ausgewiesene Plätze in der Kirche

Der Zugang zum Haupteingang über den Vorplatz ist unmöglich. Ordner weisen den Weg auf die Seite des Gebäudes, das Papst Pius XII. 1953 in den Rang der Basilika erhob. Die „Heilige Pforte“ steht offen. Daneben wacht Hubert Lefarth, Kommunion-Helfer, mit einem kleinen silbernen Ding in der Hand, mit dem er die Besucher zählt. „Die Plätze sind ausgeschildert“, sagt er denen, die kommen. Blaue Gebetszettel liegen an den Plätzen, die besetzt werden dürfen.

400 Menschen passen für gewöhnlich hinein. Heute dürfen es nur etwas mehr als 100 sein. „Paare können sich zusammen an einen Platz setzen“, sagt Lefarth.

Der Auftakt in die Jahrhunderte alte Tradition der Werler Wallfahrt, die jedes Jahr bis Ende August 100.000 Gäste aus der ganzen Region nach Werl zieht, ist normalerweise sehr gut besucht.

9.40 Uhr: Ein grauhaariger Mann kommt. „Voll?“, fragt er von weitem. Kopfschütteln bei den Helfern vor der Tür.

9.45 Uhr: Ein Herr in Lederjacke. „Ist noch Platz?“ Die Helfer nicken. „Wie viele hasse?“, fragt ein anderer Helfer? „Vierzig“, sagt Lefarth.

Maskenpflicht besteht nicht, die Abstände werden ja gewahrt. Viele tragen sie trotzdem.

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Die Reihen füllen sich.

„Wie viele hasse“, fragt wieder jemand. „Neunundsechzig.“

Zwei davon: Renate und Christoph Hurek. „Wir sind Christen mit Leib und Seele“, sagen sie. Die Zeit zuletzt ohne Gottesdienste, ohne Verbindung zur Gemeinde, sei ihnen schwer gefallen. „Wir haben den Tag lang ersehnt.“

Die Plätze werden rar. „Paare müssen sich ab jetzt trennen“, raunt ein Helfer von innen. Die beiden, die zueinander gehören und gerade hinein gehen, tragen es mit einem Lächeln. Rund Hundert sind‘s nun insgesamt. Abgewiesen wird keiner. Türen zu.

Pastor Best, der die feierliche Eröffnung erstmals als Wallfahrtsleiter erlebt, begrüßt die Besucher „zur ersten Heiligen Messe nach der Corona-Pandemie“. Nach? Oder mittendrin? Dass Gottesdienste stattfinden, ist ein weiteres Stück Normalität für die Menschen. Aber sie sind anders. Best saß am Donnerstag gerade über dem Liederzettel, als eine Nachricht vom Erzbistum Paderborn einging: Singen nun doch verboten! Die Viren würden sich dabei zu prächtig in der Luft verteilen.

Erleichterung über Öffnung der Kirche

„Natürlich fehlt einem etwas“, sagen Sylvia und Christoph Mierzwa. Der Gesang gehöre schließlich dazu. Streng katholisch seien sie, „typische Kirchgänger“. Sie haben eine Gebetsgruppe, die sich derzeit ebenfalls nicht treffen kann. Umso erleichterter sind sie, dass es nun wieder Gottesdienste gibt. „Wir sind froh, dass er überhaupt wieder stattgefunden hat“, sagen sie. Egal wie.

Die Predigten und Gebete machen auch das Coronavirus zum Thema. Kraft und Zuversicht möge jenen zuteil werden, die sich gerade für die Gemeinschaft einsetzen, die besonders unter den Einschränkungen leiden, die finanzielle Sorgen haben oder krank sind oder Verlust erfahren haben.

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In die Stille hinein quietscht das Plastik der Handschuhe von Pastor Best. Nur widerwillig lassen sie sich von der einen auf die andere Hand ziehen. Der Gummizug schnackt gegen die Haut. Sterile Hände. Als wäre er ein Chirurg. Einen Mundschutz legt der Pastor ebenfalls an. Sicherheitsmaßnahmen für die Kommunion. Anders als sonst kommen die Kirchgänger nicht nach vorn, um die geheiligten Gaben in Empfang zu nehmen. „Bleiben Sie bitte auf ihren Plätzen“, sagt Pastor Best. Das soll verhindern, dass sich die Menschen zu nah kommen.

Veränderungen schmerzen

„Sie haben das Beste gegeben, aber ich könnte weinen“, sagt Renate Stöwer. Dass nicht gesungen werden darf und dass die Abläufe der Kommunion so verändert wurden, schmerzt sie. Aber sie ist auch erleichtert, dass die Gottesdienste wieder stattfinden. „Ich brauche das“, sagt die 80-Jährige.

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So geht es auch Elisabeth Böggering und ihrem Mann. „Es war eine umwerfende Erfahrung“, sagt sie, als sie die Kirche verlassen. „Ich habe das Gefühl, dass sich die Menschen auf eine neue Weise begegnen, viel intensiver. Das habe ich in öffentlichen Gottesdiensten in den vergangenen Jahren oft vermisst.“ Das Gute im Schlechten – es ist offenbar da, wenn man es sieht.

Die Kirchentore werden hinter Pastor Gerhard Best gerade geschlossen. Es war ein guter Gottesdienst, scheint er mit seinem Blick sagen zu wollen. Niemand sei gefährdet worden, niemand habe an der Tür abgewiesen werden müssen. „Wir machen das Beste daraus. Der liebe Gott wird sich schon etwas dabei gedacht haben.“

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Die Werler Basilika hätte über die 100 Plätze im Innern der Kirche noch einmal etwa ebenso viele Plätze in der Alten Wallfahrtskirche, auf dem Vorplatz und (bei gutem Wetter) auf dem Kreuzwegplatz zur Verfügung gehabt.

Am Sonntag, 10. Mai, wird Erzbischof Hans-Josef Becker die Wallfahrtskerze entzünden.

Die Pilgergruppen für Mai sind wegen des Coronavirus schon alle abgesagt. Das Wallfahrtsteam rechnet damit, dass frühestens im September Gruppen kommen können, bis dahin nur Einzelpilger.