Hagen. Das Reiseziel Sauerland kann laut Tourismus-Experten gestärkt aus der Krise hervorgehen. Betriebe brauchen aber ein Signal, wann es weitergeht

Die Corona-Krise trifft den Tourismus im Sauerland hart und bringt Betriebe in eine existenzbedrohende Lage. Und doch machen Reise-Experten der Region Hoffnung. „Sie hat das Potenzial“, sagt Jochen Balduf, Berater für Touristikunternehmen aus Lennestadt, „gestärkt aus der Krise herauszukommen.“ Es gebe gute Gründe für Optimismus.

Balduf weiß, dass der Tourismus nach Corona ein anderes Gesicht haben wird: „Ich gehe davon aus, dass in den kommenden zwei Jahren die Reise-Intensität sinkt und dass der Kunde bewusster und nachhaltiger reisen wird.“

Sehnsucht nach Natur und Ruhe

Hier kommt das Sauerland ins Spiel. Die Menschen sehnten sich nach Auszeit und Entspannung. Dies garantiere die „Kombination aus Natur, Kultur und Ruhe in dünner besiedelten Regionen“.

Zügig zu erreichen

Eine Region, die für viele Reisende innerhalb von drei Stunden zu erreichen sei. Balduf: „Insbesondere dieses Jahr, wenn der Haupturlaub ausgesetzt werden musste und weder die Urlaubstage, noch das Reisebudget vorhanden sind, wird der Nachholbedarf sehr ausgeprägt sein.“ Selbstverständlichkeiten wie das Essen und Trinken in einem Restaurant oder in einer Hütte im Sauerland werde man wieder neu zu schätzen wissen.

Ein Ziel auch für kleinere Geldbeutel

Das verfügbare Einkommen wird auch nach Ansicht von Prof. Volker Böttcher, Tourismusforscher an der Hochschule Harz, kurzfristig die Reise-Entscheidung beeinflussen: „Viele Menschen befinden sich in Kurzarbeit, Arbeitsplätze sind nicht mehr überall sicher.“ Er kann sich daher nicht vorstellen, dass die Bundesbürger in diesem Jahr schnell wieder ein „normales“ Urlaubsverhalten an den Tag legen werden.

Schnelle Rückkehr möglich

Das Reiseverhalten werde kurzfristig auch davon beeinflusst werden, „wie (gesundheitlich) sicher sich die Verbraucher in den Ferienregionen fühlen werden“. Hier hätten Tourismusregionen in Deutschland gewisse Vorteile gegenüber Destinationen im Ausland. „Auch deshalb, weil man dort schneller und unkomplizierter wieder nach Hause kommt, wenn das notwendig wird.“

Man fühlt sich in der Nähe sicherer

In die gleiche Kerbe schlägt Prof. Jürgen Schmude, Tourismusforscher an der Universität München. Dass touristische Angebote zunächst im „Nah- und Mittelbereich“ nachgefragt würden, habe damit zu tun, dass man diese besser einschätzen könne, „während mit zunehmender Distanz die Wahrnehmung diffuser wird“.

Die mittel- und langfristige Entwicklung im Reiseverhalten hänge auch von Faktoren wie dem Verlauf der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung oder der Dauer corona-bedingter Einschränkungen ab. „Damit bestehen auch für das Sauerland durchaus Chancen für die Post-Corona-Zeit.“

Attraktiv für Wanderer und Radler

Laut Unternehmensberater Balduf dürfte das Sauerland in Zukunft noch mehr von den Rad- und Wanderreisen profitieren: „Diese werden einen Boom erleben, während es Städtereisen aufgrund der Menschenansammlungen auf engerem Raum zunächst deutlich schwerer haben werden.“

Solche Aussagen sind Balsam auf Thomas Webers Seele. Pausenlos klingelt in diesen Tagen das Telefon des Geschäftsführers des Sauerland-Tourismus. Er bekommt Anruf um Anruf von verzweifelten Mitgliedsbetrieben, die Sorge haben, in die Insolvenz zu schlittern. Die immer gleiche Frage, wann es weitergeht, kann Weber nicht beantworten. Keiner weiß es. Alle warten auf ein Signal für einen Neustart.

Orte zum Herunterkommen

„Es ist demoralisierend“, sagt Weber, verbreitet aber postwendend Optimismus. „Nach viel Gerenne und Gehetze in den letzten Jahren kann es sein, dass der Gesellschaft die erlebte Vollbremsung am Ende gut getan haben wird. Mir kommt es wie ein großes Sich-Besinnen vor – auch auf Werte und Wertvolles um uns herum.“

Eine ehrliche Küche

Das Sauerland habe sich enorm ins Zeug gelegt, „gelungene zeitgemäße Angebote zu schaffen, aber nicht alles mitgemacht, was gesellschaftlich angesagt war“. Weber kann sich vorstellen, „dass geerdete Gasthöfe und Restaurants mit ehrlicher Küche genauso wie schöne Dörfer und Städtchen nach und nach großen Zulauf bekommen und als Schätze und Wert an sich gewinnen.“

Unaufgeregte Gastgeber

Das gelte auch für Ferienwohnungen oder Erholungshotels mit regionalem Charme, „die nicht jeden Schickimicki mitgemacht haben, aber Gästen eine schöne Zeit bereiten“. Dazu gehörten auch der Humor oder das gute Gespräch mit Wirten. „Das anzunehmen kann eine neue Erfahrung sein, denn darauf verstehen sich die Gastgeber meiner unaufgeregten Region.“

Geborgenheit garantiert

Aber auch Weber weiß nicht, wie viele Menschen sich nach der Krise noch Reisen erlauben können. Aber: „Ich glaube, dass die Reiselust zuerst die Naherholungsgebiete, grüne Freizeitregionen, in Schwung bringt, weil diese Sicherheit, Schutz und Geborgenheit vermitteln. Die Rückbesinnung auf die Werte der Landregionen wird uns gut tun.“

Der Sauerland Tourismus arbeitet mit dem Land NRW an der Idee einer „Nah-Erholungs-Kampagne“. „Es ist noch nichts spruchreif“, sagt der oberste Touristiker des Sauerlandes. Finanzielle Mittel für eine Naherholungsstrategie war eine der Forderungen in einem Brandbrief, die der Vorstandsvorsitzende des Sauerland Tourismus, Theo Melcher, kürzlich an die Landesregierung geschickt hat. „Wir haben noch keine Antwort auf das Schreiben erhalten“, bestätigt Thomas Weber.

Wie sieht die Zukunft des Reisens aus?

Der Münchner Tourismusforscher Jürgen Schmude spricht von einer Selbstverständlichkeit, die das Reisen für die Menschen geworden ist. „Entsprechend haben wir über viele Reisen gar nicht mehr nachgedacht, sondern sind einfach gereist.“

Die Corona-Krise lehre uns nun, dass Reisen und Reisefreiheit eben nicht selbstverständlich seien. Das dürfte aus Schmudes Sicht zu einer Bewusstseinsveränderung führen: „Die Menschen werden nicht mehr jede Reise machen und das einzelne Reiseerlebnis mehr schätzen.“ Aber: Diese Phase wird aus seiner Sicht nur eine gewisse Zeit anhalten: „Es steht zu erwarten, dass die Menschen danach zu alten Verhaltensmustern zurückkehren.“

Sein Kollege Volker Böttcher glaubt ebenfalls nicht langfristig an eine „substanzielle Veränderung des Reiseverhaltens. Dazu hat das Reisen einen zu hohen Stellenwert bei den Deutschen erlangt.“ Niemand wisse derzeit, ergänzt Sauerlands Tourismus-Chef Thomas Weber, wie tief die Verunsicherung bei den Menschen nachwirke. „Ich kann mir vorstellen, dass Menschen mehr abwägen, was ihnen wirklich gut tut.“

Unternehmensberater Jochen Balduf spricht von einem „Grundbedürfnis Reisen“, das nach wie vor präsent ist. Aber: „Das Reiseverhalten in der Zukunft hängt ganz elementar mit der Frage zusammen, wann Impfstoffe und Medikamente zur Behandlung von Corona gefunden werden und wie lange Corona uns als ernsthafte Bedrohung begleiten wird.“

Durch Insolvenzen in der Branche werde das Vertrauen vieler Kunden in Tourismus-Unternehmen „leider sinken“, wie Balduf befürchtet. Die fortlaufenden Kosten, die über Kredite geschultert werden müssten, lähmten Betriebe in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung. „Das betrifft nicht nur Konzerne und Großunternehmen. Es sind auch vor allem die kleinen Reisebüros am Eck, auch hier im Sauerland, kleine nachhaltige Veranstalter, Unternehmen mit ein bis fünf Mitarbeitern oder der kleine Einzelkämpfer.“