Brilon/Hagen/Menden. Der Ausnahmezustand wird zur Erinnerung. Die Museen der Region wollen das Gedächtnis an Corona bewahren und sammeln bereits Objekte und Dokumente

Corona ist Geschichte. Wie werden spätere Generationen die Klopapierpanik und den Kontaktstopp beurteilen? Diese Frage stellen die Museen jetzt schon. Denn wer die Vergangenheit thematisiert, muss seiner Zeit voraus sein. In ganz Europa initiieren Archive derzeit Corona-Sammlungsprojekte, auch in unserer Region.

Dr. Ralf Blank kann bereits auf diverse Corona-Exponate blicken. „Wir sammeln Objekte, angefangen von der nun schon symbolhaften Toilettenrolle bis hin zu Fotografien, Plakaten und amtlichen Meldungen“, sagt der Stadthistoriker und Fachdienstleiter Wissenschaft, Museen & Archive der Stadt Hagen.

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„Hier erweist es sich als großer Vorteil, dass in Hagen das Stadtarchiv und das Stadtmuseum in einem Fachdienst vereint sind. So hat das Stadtarchiv gleich zu Beginn der Krise einen eigenen Bestand ,Coronakrise‘ eingerichtet, der Sitzungsprotokolle von Krisenstäben, Artikel, Aufrufe, Schriftverkehr, Fotos und vieles andere mehr verwahrt.“

Das Archivieren nicht vergessen

Von früheren Seuchen sind nicht mehr viele Zeugnisse überliefert. Einige Pestmasken vielleicht oder immateriell ein paar Wallfahrtsgelübde. Es gab ja damals keine Handys mit Foto- und Video-Funktion. Die Corona-Wirklichkeit lässt sich allerdings anhand von Gegenständen und digitalen Dokumenten beschreiben. Nur besteht die Gefahr, dass Museumsmitarbeiter das Archivieren vergessen, weil es sich um die Gegenwart handelt, hat Jutta Törnig-Struck, Museumsleiterin der Stadt Menden, beobachtet.

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Deshalb hat die Historikerin bereits im Lokalteil der Tageszeitung die Bevölkerung aufgerufen, Corona-Objekte zu bewahren, selbstgenähte Masken, Schilder aus Geschäften, Einkaufsgutscheine, die Osterkerze aus der St. Vincenzkirche und natürlich die Packung „Blattgold“ aus jenen Tagen, als nicht an Toilettenpapier zu kommen war. Jutta Törnig-Struck hat bei einer früheren Ausstellung festgestellt, dass man die eigene Lebenswirklichkeit gerne übersieht. „Wenn wir selber beteiligt sind, kommen wir im Kopf nicht darauf, dass das Geschichte wird, und das ist ein Fehler, den wir nicht machen dürfen“, warnt sie.

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„Das Museum Haus Hövener dokumentiert vor allem die regionalen Auswirkungen dieser Pandemie“, beschreibt Carsten Schlömer, Leiter des Briloner Stadtmuseums, seine Aufgabe. „Es ist unser Ziel, Presseberichte und Zeitzeugenaussagen zu sammeln und zu ordnen. Schlussendlich entsteht so ein Porträt einer Kulturlandschaft, die sich durch eine äußere, von oben hereindringende Entwicklung verändert.“

Banale Objekte erzählen Geschichten

Die Klopapierrolle jedenfalls wird definitiv ins Museum einziehen. Es müssen nicht immer Kronen und Schwerter sein. Gerade banale Objekte können spannende, sogar dramatische Geschichten erzählen. Ralf Blank: „In Hagen gab es immer wieder Pandemien, Epidemien und Seuchen. In den vergangenen 400 Jahren sind tausende Hagener an den Folgen von Pest, Cholera, Ruhr, Tuberkulose oder einfach Grippe verstorben.

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Die Coronakrise ist insofern eine andere Erscheinung, weil sie eine moderne Industrie- und Kommunikationsgesellschaft und auch die sogenannte Dritte Welt gleichermaßen trifft. Ob die Coronakrise eine große Zäsur mit zahlreichen Wandlungsprozessen bedeutet oder aber ein temporäres Geschehen sein wird, ist für die museale Bewertung eigentlich zweitrangig. Für historische Museen besitzt die Coronakrise eine Relevanz, auf die reagiert werden muss.“

Das sieht Carsten Schlömer ähnlich: „Museen sind Spiegel der Gesellschaft. Alles, was der Bevölkerung widerfährt, ist erinnerungswürdig. Zukünftige Generationen und auch die Zeitzeugen müssen Gelegenheit bekommen, in Kulturinstanzen diese Monate zu reflektieren und für sich zu werten.“ Und Jutta Törnig-Struck ergänzt: „In 20 Jahren sind wir froh um alles, was wir jetzt gesammelt haben.“