Hagen. Das Coronavirus führt uns an Grenzen. Aber es gibt im Kleinen viele Helden, die ein Denkmal verdient haben. Über besondere Hilfsbereitschaft.
So ganz weiß Björn Grobe (39) gar nicht, was er sagen soll. Er hatte sich ja vorher keine Gedanken darüber gemacht, ab wann er das alles als Erfolg betrachten möchte. Ein Briefchen hätte ihm vielleicht sogar gereicht. Es sind mehr geworden.
Mehr als 100 Briefe, Blätter, Bilder liegen vor ihm auf einem Tisch, dessen Platte nicht mehr zu sehen ist. „Ich hatte keine Vorstellungen, wie viel es werden würde, aber ich finde megacool, was daraus geworden ist“, sagt der Hagener: „Jeder Brief ist ein Lächeln. Und jedes Lächeln ist wichtig.“
Bunte Botschaften, von Kindern gemalt
Es sind bunte Botschaften, die von Kindern gemalt, gebastelt und formuliert sind. Von Sara, von Emilia, von Marlene, Luis, Ida, Nadja; von Jan, Lieon, Damian und Matea. Von Alessio, Maya, Raul und Domenico. Und von all den anderen, die der Bitte von Björn Grobe und seiner Mitstreiterin Sabrina Rudat (35) gefolgt sind, Oster-Grüße anzufertigen.
Wenige Tage nur ist der Aufruf bei Facebook alt. Die deutlich mehr als 100 Geschenke verteilten die beiden an Karfreitag wie angekündigt in zwei Hagener Seniorenheimen. Dort, wo die Bewohner derzeit sitzen und kaum oder keinen Besuch erhalten dürfen.
Hilfsbereitschaft auf kurzem Wege
So will es der Schutz vor dem Coronavirus, das sich so heimtückisch ausbreitet und den Alltag rund um den Globus zum Erliegen bringt, das Leben und Unternehmen gefährdet und sogar auslöscht. Ja, das tut es und es ist furchtbar. Aber diese nie dagewesene Wucht an erdumspannender Sorge vereint Menschen, die sonst nichts vereint hätte.
Denn es gibt sie, die kleinen Initiativen, die Hilfsbereitschaft auf kurzem Wege, die netten Gesten. Sie gehen von Helden der Achtsamkeit aus, die privat im Kleinen agieren, weil sie wollen, dass es andere weniger schwer haben.
Saxophon-Klänge für die Nachbarschaft
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Menschen wie Björn Grobe und Sabrina Rudat, die exemplarisch für die Tausenden stehen, die sich für andere einsetzen. Wie die Flüchtlingshilfe Sprockhövel, die Mundschutze näht und an Altenheime spendet, wie der Mescheder, der jeden Abend vor die Tür tritt und für die Nachbarschaft auf dem Saxophon spielt, wie der Restaurantbesitzer, der die Kunden der Tafeln in Bad Berleburg und Erndtebrück mit Lebensmitteln versorgt.
Menschen, die ein Denkmal verdient haben. Nicht weil sie allein die Welt retten. Sondern weil sie helfen, diesen gerade aus den Fugen geratenen Planeten zu einem erträglicheren Ort zu machen.
Den Menschen eine Freude machen
Björn Grobe und Sabrina Rudat – ihre Kinder gehen auf dieselbe Schule – hatten unabhängig voneinander den gleichen Fernsehbeitrag gesehen, in dem eine Schulklasse für ein Seniorenheim Briefe schrieb. „Da habe ich gedacht: Es ist so leicht, Menschen eine Freude zu machen“, sagt die 35-Jährige.
Der Hagener Beitrag mag klein wirken, aber das ist er nicht. „Es geht genau um diese kleinen einfachen Dinge, die man seinem Nebenmann oder der Nebenfrau zukommen lässt. Es geht darum, einen Muffin zu backen, eine Blume zu schenken, eine Karte zu schreiben“, sagt Björn Grobe.
Zauberhafte Botschaft: Alles wird gut
Auf diese Weise sind zauberhafte Botschaften entstanden. „Ich hoffe du bist gesund und findest es auch schön, dass ich dir schreibe“, notiert Damian, neun Jahre alt. „Da ich die Natur liebe, habe ich dir ein Frühlingsbild gemalt.“ Ein anderer Brief beginnt mit „Hallo Omas und Opas“ und endet entschlossen mit „Alles wird gut“.
Wird es? Inge Köhler ist sich gerade nicht so sicher. Die 83-Jährige aus Siegen sagt: „In den letzten Wochen bin ich um zehn Jahre gealtert.“ Die Decke fällt ihr auf den Kopf. Morgens geht sie als erstes ins Wohnzimmer und macht den Fernseher an, „damit es nicht so still ist. Ich bin ja ganz allein“.
Ein optimistischer Mensch
Sie will soviel Passivität nicht, sie sei schließlich ein optimistischer Mensch, habe ein frohes Naturell, das habe sie vom Vater. Fritz hieß der. „In meiner Familie hießen alle Fritz“, sagt sie und lacht. „Im Herzen bin ich keine Oma. Ich war immer unterwegs und bin auch gesund. Aber ich will gesund bleiben. Deswegen gehe ich nicht mehr raus.“
Sie nahm das Angebot von SoLiNa (Solidarität und Nachbarschaft) Siegerland an. Mehr als 500 Helfer haben sich gemeldet, um anderen bei Alltäglichem zu helfen. Eine davon: Mara Hermann (26). Sie geht für Inge Köhler einkaufen, zwei, drei Mal die Woche. Anruf genügt. Die Helferin fährt extra noch in einen zweiten Laden, um die Produkte zu bekommen, die Frau Köhler gern hätte. Heute: Eisbergsalat, Fleischwurst – und ausnahmsweise Schnitzel, ist ja Ostern.
Sie wartet auf dem Balkon
Sie müsste gleich kommen. Frau Köhler weiß das und sitzt schon auf dem Balkon, wartet und winkt, als sie sie sieht. „Das ist schon ein liebes Mädchen. Ich bin froh, dass ich sie habe“, sagt sie. Mara Hermann kommt den Treppenflur hinauf, bleibt auf dem Podest stehen und stellt den Korb auf den Boden. Frau Köhler räumt die Lebensmittel in die Küche. Kommt wieder. Erzählt von früher. Von der Familie. Schwelgt in Erinnerungen.
Das Virus führte sie zusammen
„Es ist immer so blöde, dass wir mit Abstand vor der Tür stehen müssen. Ich würde sie so gern mal auf einen Kaffee reinbitten. Aber das werden wir machen, wenn diese Zeit vorbei ist“, sagt Frau Köhler.
Mara Hermann wohnt nicht weit entfernt, aber gekannt haben sich die beiden nicht, nicht einmal vom Sehen. Das Virus führt sie nun zusammen und macht die eine zu einem wichtigen Bezugspunkt für die andere.
Eine schöne Abwechslung
„Ich habe eine Oma, die im selben Alter ist, für die ich ebenfalls einkaufe“, sagt Mara Hermann, die beim Kreis Siegen-Wittgenstein Vollzeit arbeitet, aber gerade auch mehr Zeit hat als sonst. „Für mich ist das auch eine schöne Abwechslung. Wenn Frau Köhler anruft, dann reden wir nicht immer nur über den Einkauf. Und das können wir auch in Zukunft noch machen“, sagt Mara Hermann, eine weitere Privat-Heldin.
Wie jene, die so im Verborgenen arbeiten, dass man nicht einmal genau weiß, wer sie eigentlich sind. Noch immer ist nicht bekannt, wer eigentlich den Gabenzaun in Hagen am Volmeufer ins Leben gerufen hat. Aber was zu tun ist, wissen alle: Lebensmittel in To-Go-Portionen an den Zaun binden, damit jene, die sonst schon wenig haben, in diesen Zeiten etwas zu essen bekommen.
Die Türen der Tafeln sind verschlossen
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Wie Kevin (35). Er hat die Nacht in einem Parkhaus verbracht. Wie schon den gesamten Winter. Er geht betteln für eine Mahlzeit, doch jetzt gerade sei das schwer, sagt der bärtige Mann.
Die Stadt, die Straßen, die Orte, die sonst belebt waren, sind es nicht mehr. Und wer sonst zur Tafel ging, der steht derzeit auch vor verschlossenen Türen. Der Gabenzaun ist für jene, die nicht wissen, wann was die nächste Mahlzeit sein wird.
An den anderen denken
Ein paar Äpfel liegen noch in einem blauen Plastikbeutel. Kevin lässt sie liegen, die Zähne sind nicht gut genug für Äpfel. Der Rest des Zauns ist schon leer. Die Fürsorge der anderen ist für den Moment nicht groß genug gewesen. „Trotzdem ist es eine tolle Idee“, sagt Kevin und lächelt schief, „das ist sehr sozial. Es ist mir vor Corona nicht aufgefallen, dass die Leute so an uns denken.“
Achtsamkeit für die Schwächeren
Was er damit vermutlich auch sagen will: Es ist nicht schlimm, wenn es nach Ostern und nach Corona weitergeht mit der Achtsamkeit für die anderen, für die Schwächeren. Die richtige Zeit für Helden im Kleinen ist – immer.