Marsberg/Hagen. Amtsrichter fordert wegen Corona eine Gesetzesänderung. Sie halten es für zu riskant, dass sie Betroffene persönlich in Kliniken besuchen müssen.

Eberhard Fisch kämpft sich durch das Gebüsch. Der 47-Jährige muss zur Rückseite der Klinik, um dort durch den Zaun mit einem Patienten und seinem Arzt zu sprechen. Sicherheitsabstand zwei Meter. Ins Gebäude kann er nicht: Coronavirus! Das Risiko ist zu groß. Fisch ist Leiter des Marsberger Amtsgerichts. Die Pandemie stellt ihn und seine Kollegen im ganzen Land derzeit vor gravierende Probleme.

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Denn bei Einweisungen in geschlossene Psychiatrien und Fixierungen ans Bett muss der Richter den Betroffenen in dessen gewöhnlicher Umgebung zwingend persönlich aufsuchen. Ein solches Vorgehen sei mit den Forderungen zur Eindämmung der Corona-Krise aber nicht in Einklang zu bringen, klagt der Verband der Amtsrichter. Und fordert die Politik zu einer Gesetzesänderung auf.

Jede Woche zahlreiche Anhörungen

„Wir setzen uns selbst und die Menschen, die wir besuchen, einem großen Risiko aus“, sagt Fisch. „Wir wissen ja nicht, ob die Patienten infiziert sind. Vielleicht sind wir ja sogar selbst Virusträger und verbreiten die Krankheit dann in Kliniken, Altenheimen und psychiatrischen Einrichtungen.“ 20 bis 30 persönliche Anhörungen stehen jede Woche im Kalender von Fisch und seinen beiden Kollegen des Marsberger Amtsgerichts.

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Laut Erlass der Landesregierung sind Betreuungsrichter vom Betretungsverbot bei Kliniken und Pflegeheimen ausgenommen. Zudem sind ihnen „ausreichend große Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen“, in denen „die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts hinsichtlich einzuhaltender Abstände eingehalten werden können. Wenn möglich, soll ihnen auch diejenige Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt werden, die angesichts der konkret bestehenden Infektionsrisiken im Einzelfall erforderlich ist.“

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Von Miguel Sanches und Christian Unger

Es sei unmöglich, diese Vorgaben im Arbeitsalltag umzusetzen, kritisiert Jörg Dahlmann, Sprecher des Amtsrichterverbandes. „Wir haben noch nicht einmal Handschuhe. Und es ist nachvollziehbar, dass die Kliniken die Schutzkleidung für das eigene Personal benötigen.“ Man könne fixierte Personen auch nicht einfach in spezielle Räume transportieren. Und gerade in psychiatrischen Einrichtungen würden sich die Patienten nicht um Abstandsregeln kümmern.

Gespräche per Telefon gefordert

Der Amtsrichterverband fordert deshalb, dass die Betreuungsgespräche kurzfristig auch über das Telefon oder per Internetvideo ermöglicht werden. Der jeweilige Richter könne dann im Einzelfall entscheiden, ob zusätzlich ein persönliches Gespräch nötig sei. Die dafür notwendige Gesetzesänderung sei eigentlich nur ein „Federstrich“, sagt Dahlmann.

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So einfach sei das nicht, teilt das NRW-Justizministerium auf Anfrage dieser Zeitung mit. Die persönliche Anhörung durch den Richter sei ein elementarer Bestandteil des Betreuungsverfahrens. Das Gericht dürfe sich nicht auf eine formelle mündliche Befragung (etwa am Telefon) allein stützen. Ohnehin könne nur der Bund das Verfahren ändern. Die zuständige Fachabteilung habe die Thematik „Ersetzung der persönlichen Anhörung durch facetime/skype“ dem Bundesratsreferat zum Zwecke der Abstimmung mit den anderen Ländern gemeldet. Der Bundesrat sei die einzige Möglichkeit, auf Gesetzesänderungen im Bund gestalterisch Einfluss zu nehmen.

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Auch Patrick Sensburg, Rechtsexperte und CDU-Bundestagsabgeordneter aus dem Sauerland, hat sich eingeschaltet. Er will mit den Landesjustizministern der Union über das Thema sprechen. Und vielleicht hat ja auch die Bundesjustizministerin ein offenes Ohr für ihn. Christine Lambrecht ist allerdings Mitglied der SPD.

Das NRW-Gesundheitsministerium räumt ein, dass Betreuungsrichter „oft mehrere Einrichtungen hintereinander besuchen und daher das Risiko einer Infektionsverbreitung nicht unterschätzt werden darf“. Eberhard Fisch drückt es deutlicher aus: „Wir Richter werden sehenden Auges in hochgradig gefährliche Situationen geschickt.“