Hagen/Breckerfeld. . Landwirte wie Oliver Berker vermissen nach der Ankündigung von Aldi, Milchpreise zu senken, die 2019 versprochene Solidarität der Verbraucher
Steht den Milchlandwirten durch Aldis Preispolitik ein ruinöser Preiskampf bevor? Oliver Berker, Milchbauer aus Breckerfeld, ist davon überzeugt. Sein Appell an Verbraucher und Politiker: „Lasst uns nicht mit Aldi allein.“ Am Ende drohten regionale Anbieter, vom Markt zu verschwinden. „Mit all den Nachteilen für eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Gesellschaft.“
Die nackten Zahlen sorgen nach Ansicht des 48-Jährigen für Existenzangst. Aufgebracht seien die Landwirte aber vor allem, weil nach den Demonstrationen im Winter 2019 mit Sternfahrten von Traktoren viel Zuspruch kam. „Von Bürgern und von Politikern. Und nun versucht das der Lebensmittelgroßhändler, für eine Gewinnmaximierung zu torpedieren.“ Der Landwirt spricht von geringer Wertschätzung. „Und genau das, das macht uns wütend.“
Berker, der „ausnahmsweise nicht an den Demonstrationen“ am Sonntagabend vor Aldi-Betrieben und -Lagern teilgenommen hat, wirft dem Discounter unfaire Handelspraktiken vor. Spontan und überraschend sei das Vorhaben einer Preissenkung für Milchprodukte vorgetragen worden. Die Verhandlungen über die Milch-Einkaufspreise mit den Molkereien sollen demnach von Anfang Mai auf Mitte März vorgezogen werden. Darüber hinaus sei es üblich, so Berker, Verträge über vier, maximal sechs Monate abzuschließen. „Die niedrigeren Milchpreise sollen aber für ein Jahr gelten.“ Der Discounter missachte durch die verfrühten Preisverhandlungen Wettbewerbsregeln.
Preissenkung um 10 bis 15 Prozent
Um zehn bis fünfzehn Prozent will Aldi laut Oliver Berker die Preise senken. „Und zwar bereits am 16. März.“ Da könne kein Landwirt mehr mit Gewinn rechnen. „Das wäre eine Katastrophe.“
Oliver Berker besitzt 125 Kühe, produziert 1,3 Millionen Liter Milch im Jahr. 37 Cent bekommt er pro Liter Milch von Friesland Campina. „Die Niederländer, die Tuffi in Wuppertal übernommen haben, sind die besten Auszahler in Deutschland.“ Üblich seien 34 Cent, berichtet Berker und fügt hinzu: „Mit 31 bis 32 Cent erhalten die Bauern im Norden Deutschlands am wenigsten.“ Bei Kürzungen um acht Prozent des Auszahlungspreises blieben dem Landwirt aus Breckerfeld nur 30 statt 37 Cent pro Liter Milch. „Und das von einem auf den anderen Moment. Ich würde sofort rote Zahlen schreiben.“ Seinen Gewinn gibt der 48-Jährige mit zwei bis drei Cent pro Liter Milch an.
Trockenheit lässt Futterkosten explodieren
Ein niedriger Milchpreis betreffe wesentlich mehr als nur die Landwirte, erläutert Berker. „Nicht nur Unternehmen die Landwirtschaftsmaschinen bauen.“ Er sagt’s und hofft auf Einsicht. 27.000 Euro, erzählt der Breckerfelder, bekomme er jährlich an Förderungen. Prämien, die er für EU-Auflagen wie den reduzierten Einsatz von Düngemitteln erhalte.
„Würde ich zwei Cent mehr für den Liter Milch bekommen, bräuchte ich keine finanzielle Zuwendung mehr.“ Kämen jetzt Dumpingpreise, würden sie die Milchbauern doppelt hart treffen: „Durch die Trockenheit der letzten Jahre sind die Futterkosten für die Kühe deutliche höher. Vor fünf Jahren kostete ein Rundballen Heu 30 Euro, heute müssen wir 80 Euro dafür zahlen.“
Als Grund für die frühzeitigen Preisverhandlungen gibt der Lebensmittelgroßhändler eine sinkende Nachfrage nach Milch an - deshalb wolle man sowohl bei Aldi Nord als auch bei Aldi Süd die Preise für die Milch senken. Der wegen des Coronavirus eingebrochene Export für den asiatischen Markt spiele wohl eine Rolle, das weiß auch Berker, aber in der EU sei der Absatz stabil geblieben. „Das reicht einfach nicht, um Dumpingpreise zu etablieren.“ Aldi spiele mit der Corona-Hysterie und seiner Marktmacht.
Nichts Gutes für den Verbraucher?
„In Deutschland beherrschen drei bis vier Lebensmittelgroßhändler den Markt“, betont Berker. Und Aldi sei immer einer der ersten, der Verträge mit den Molkereien abschlössen. „Die anderen folgen meist.“ Den Discountern stünden 140 Molkereien in Deutschland gegenüber. Aldi werde damit werben, so Berker, für den Verbraucher Gutes zu tun, wenn sie zukünftig weniger als 60 statt 67 Cent im Durchschnitt für einen Liter fettarme Milch ausgeben müssen. Die Rechnung ginge nicht auf.
„Nicht für die Landwirte.“ Ein vollkostendeckender Milchpreis müsste laut des 48-Jährigen auch die Arbeitskraft des Landwirtes mit berücksichtigen. Die liege bei etwa 25 Euro pro Stunde. Nach seiner Kalkulation seien 36 bis 40 Cent pro Liter Milch fair. Beim Thema Fairness ist er um Gelassenheit bemüht. Kurze Pause. „Was fair ist? Eine schwierige Frage“, so der Breckerfelder. Reine Gewinnmaximierung sei es nicht.
Sichere Lebensmittellieferungen
Oliver Berker ist enttäuscht. Er erinnert an die Sternfahrten mit Traktoren, an Demos der Landwirte im Winter 2019 in ganz Deutschland gegen nach ihrer Ansicht kurzfristig verschärfte Klima- und Umweltschutzanforderungen inklusive Düngeverordnung, „mit denen sich viele solidarisiert haben“. Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner habe viel geredet.
Geschehen sei wenig. Jetzt aber sei der Moment gekommen, auf die heimischen Landwirte einzugehen. In Zeiten des Coronavirus und der unsicheren Lebensmittellieferketten sollten regionale Waren ihr Geld wert sein. Der Kampf gegen die Preispolitik des Discounters sei gerechtfertigt. „Zieht Aldi die Preissenkung durch, drohen weitere Proteste. Mit und ohne Traktoren.“ Und daran würden sich nicht nur die 3400 Milchbauern in Westfalen-Lippe beteiligen.
Aldi Süd hat auf Anfrage dieser Redaktion folgende Stellungnahme veröffentlicht: „Wir befinden uns wie jedes Jahr üblich um diese Zeit in der Ausschreibung für Milchprodukte („weiße Linie“) − die Verhandlungen dazu laufen noch. Ausschlaggebend für unsere Preisfindung sind die weltweiten Rohstoffmärkte und insoweit Angebot und Nachfrage. Darüber hinaus ist Aldi grundsätzlich daran interessiert, eine partnerschaftliche und vernünftige Einigung mit unseren Lieferanten im Sinne aller Beteiligten zu finden.“ Aldi Nord hat sich bisher nicht geäußert.