Drolshagen. Start für den kleinen Elektro-Bus SAM am Montag: Die Testphase im Alltagsbetrieb ist für die Nutzer kostenlos. Nur zu kalt darf es nicht werden.
Aus Regen wird Schnee. Dicke, nasse Flocken, die niedersinken wie Federn und am Boden sofort zu Wasser werden. Kaum ein Mensch auf der Straße, der Marktplatz leer, der Kirchturm streckt sich in graue Schwaden. Die Stadt Drolshagen im Sauerland wirkt an diesem kalten Morgen zumindest nicht auf den ersten Blick wie der Ort, an dem die Zukunft so sehr zu Hause ist wie sonst nirgendwo in NRW. Sie versteckt sich in einer Garage: SAM, ein kleiner Elektro-Bus, frisch mit Folie beklebt. Der Werbeslogan prangt auf der Seite: „Kein Fahrer. Kein Sprit. Fährt trotzdem“.
Autonomes Fahren auf seinem Weg in die Alltagstauglichkeit: Erstmals in NRW geht ein Bus ohne Fahrer in den alltäglichen Betrieb. Die viermonatige Testphase startet am kommenden Montag. Zu Gast als Beobachter bei einer der letzten Testfahrten, bevor es richtig ernst wird.
Hindernis im Weg: Im Notfall greift ein Mensch ein
„Gut sieht unser Schätzchen jetzt aus“, sagt Alfons Wigger, blaues Hemd, Brille, Rentner, als er den Bus am Morgen erstmals in voller Farbenpracht sieht. Das Gefährt ist ihm offensichtlich ans Herz gewachsen, er weiß viel über seinen neuen Partner. Wigger ist einer von vier Männern, die auf jeder Fahrt an Bord sind – um den Hals eine Art Joystick. Mit dem können sie manuell eingreifen, wenn zum Beispiel ein Hindernis auf der festgelegten Route auftaucht, das umfahren werden muss.
Denn SAM (steht für Südwestfalen Autonom & Mobil) hält sich strikt an seine Vorgaben. Insgesamt acht Sensoren – vier an den Fahrzeugecken, jeweils einer an der Front- und Rückseite sowie zwei auf dem Dach – navigieren den Bus bis auf zwei Zentimeter genau lokalisierbar durch die Straßen Drolshagens. Die künstlichen Augen, sagt Wigger, schauten bis zu 80 Meter voraus, spätestens 1,30 Meter vor dem Hindernis stoppt der Bus automatisch.
Sechs Haltestellen, sechs Sitzplätze, 15 Stundenkilometer
Kurze Pause. Wiggers Handy klingelt mit der Melodie von Bryan Adams‘ „Summer of 69“. Telefonat beendet. „Zukunft wird nicht nur in den Metropolen gemacht“, sagt Wigger, „sondern auch und vor allem auf dem Land.“ Stolz schwingt mit. Was ist schon der Sommer von 1969 gegen den Winter von 2020 in Drolshagen?
Lautlos setzt sich SAM in Bewegung. Vom Dornseifer-Markt geht‘s ab Montag unter der Woche jeden Tag von 8.30 Uhr bis 16.30 Uhr bis zum Stadtbad/Sekundarschule. Sechs Haltestellen, sechs Sitzplätze. Streckenlänge: 1,2 Kilometer. Höchstgeschwindigkeit: 15 Stundenkilometer. Er könnte theoretisch bis zu 50 Sachen fahren, aber dann wäre SAM von der Bezirksregierung Arnsberg nicht für den Straßenverkehr zugelassen worden.
Überhaupt war das alles nicht so leicht, autonomes Fahren spielte bislang in der Gesetzgebung keine Rolle. „Das passiert ja alles zum ersten Mal, es gibt kein Vorbild“, sagt Christian Kniep vom Zweckverband Personennahverkehr Westfalen-Süd (ZWS), der das 300.000 Euro teure Projekt zu mehr als drei Vierteln bezahlt und verantwortet. Den Rest steuern die Industrie und die beteiligten Kommunen bei. Die Kreise Olpe und Siegen-Wittgenstein hatten sich dem Projekt zusammen genähert.
Irgendwann sollen die Busse für Bürger per App bestellbar sein
Ulrich Berghof hat im Moment wenig Zeit, sagt er. Der Tag der feierlichen Präsentation von SAM naht. Berghof ist der Bürgermeister von Drolshagen. Das Stadtgebiet mit 12.000 Einwohnern in 58 Ortschaften sei ländlich geprägt. „Die Menschen genießen einerseits das Leben in kleinen Ortschaften und im Grünen, möchten aber andererseits nicht abgeschnitten sein und abgehängt werden“, sagt er. Fahrerlose Shuttles, per App bestellbar und irgendwann ganz ohne Fahrer könnten die Lösung für die letzte Meile sein. Nach den vier Monaten in Drolshagen zieht das Projekt einige Ortschaften weiter nach Lennestadt. Die Technik soll erprobt, die Akzeptanz der Bürger ermittelt werden. „Wir glauben fest daran, dass in 15, 20 Jahren mehr als nur ein SAM in unserer schönen Stadt unterwegs sein wird“, sagt Berghof.
Das ist das Ziel. Auch an anderen Orten in NRW. Die Stadt Monheim im Kreis Mettmann hat das gleiche in Planung, nur etwas größer. Start: 26. Februar. Insgesamt soll es etwa 20 ähnliche Modellprojekte geben in Deutschland. Düsseldorf, Soest sowie Iserlohn und Menden befassen sich ebenfalls konkret mit dem Thema autonomes Fahren.
Nachricht von SAM
„Miiiiieeeeep“, macht der Bus, wenn er losrollt. Nachricht von SAM: Obacht, bitte. Die Blinker setzt er automatisch. Per Knopfdruck lässt sich die Tür vom Fahrgast öffnen, eine Rampe für Rollstuhlfahrer gibt es auch.
Noch am Mittwoch machte die Batterie Probleme. SAM gab keinen Mucks mehr von sich. Ein Ingenieur der französischen Hersteller-Firma musste kurzfristig nach Südwestfalen eilen, um den Defekt zu beheben. Kleinere Reparaturen können aus der Ferne angeleitet werden. Hat geklappt. „Jetzt spricht er wieder mit uns“, sagt Wigger.
„Achtung! Langsam fahrendes Fahrzeug!“
Auch interessant
„Achtung! Langsam fahrendes Fahrzeug“ steht auf den Schildern am Rand der Route. Dazu ein Bild von SAM als würde nach ihm gefahndet. Die Akzeptanz für den Bus sei groß, sagt der Betreiber ZWS. Wegen SAM musste auf einer Straße die Höchstgeschwindigkeit von 50 auf 30 reduziert werden, mussten großflächig Parkverbote eingerichtet werden. Manche Autofahrer überholen den Bus entnervt, sagt Wigger, wenn sie endlich die Gelegenheit haben. Manche schneiden ihn gar. Dann muss SAM bremsen, wegen der Sensoren.
Montag geht das Abenteuer los. Die Zukunft beginnt in Drolshagen. Zumindest das Wetter sollte aller Wahrscheinlichkeit nach kein Problem darstellen. Denn ist es kälter als minus zwei oder wärmer als 35 Grad, könnte SAM beim Dienst Probleme bekommen.