Werl. Ein Bankräuber (64) ist nach seiner Entlassung aus der JVA Werl freiwillig zurückgekehrt – für die Gefängnisleitung eine „absolute Ausnahme“.

Es sind vielleicht 20 Quadratmeter, die der 64 Jahre alte Rheinländer seit dem vergangenen Montag bewohnt. Der verurteilte Bankräuber – nach Verbüßung einer neunjährigen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung ein freier Mann – hatte sich mit einem Rollkoffer im Schlepptau an besagtem Montag gegen 11 Uhr an der Pforte der Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl gemeldet und kurz darauf den Sonderraum mit Bett, Tisch, Stuhl, Nasszelle und Küchenzeile bezogen.

„Vorübergehend“, wie es Paragraf 61 Sicherungsverwahrungsvollzugsesetz des Landes Nordrhein-Westfalen besagt. Was den Fall zu einer „absoluten Ausnahme“ macht, wie es der stellvertretende JVA-Leiter Jörg-Uwe Schäfer ausdrückt: Der ehemalige Sicherungsverwahrte tauscht freiwillig ein Leben in Freiheit mit einem Aufenthalt hinter Gefängnismauern.

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Sicherungsverwahrte sind JVA-Insassen, die ihre Haft verbüßt haben, aber von psychiatrischen Sachverständigen noch als gefährlich eingestuft werden. Im letzten Gutachten war dem 64-Jährigen attestiert worden, dass von ihm keine Gefahr mehr für die Gesellschaft ausgeht. Im Frühjahr war der Rheinländer, der wegen zwei bewaffneter Banküberfälle 17 Jahre in Justizvollzugsanstalten verbracht hat, in die Freiheit entlassen worden. Mit einer guten Prognose.

Erster Versuch in der JVA Aachen

Die meiste Zeit war der 64-Jährige in der JVA Aachen untergebracht, machte dort einen Lehrgang zum Computer-Techniker und eine Ausbildung zum Mediengestalter. Die letzten drei Jahre hinter Gittern lebte er in Werl, nachdem alle NRW-Sicherungsverwahrten in die Wallfahrtsstadt verlegt wurden. Anfang Dezember hatte der Mann mit Lebensmittelpunkt Düsseldorf zunächst versucht, ein Zimmer in der JVA Aachen zu bekommen. Er begründete dies Schäfer zufolge mit besagtem Paragrafen 61, der „frühere Untergebrachte“ eine Wiederaufnahme in einer JVA ermögliche, „wenn das Ziel der vorangegangenen Behandlung ansonsten gefährdet ist“. Eine Notsituation also, die einen kriminellen Rückfall begünstigen könnte.

Der Raum für ehemalige Strafgefangene in der JVA Werl verfügt über eine separate Nasszelle.
Der Raum für ehemalige Strafgefangene in der JVA Werl verfügt über eine separate Nasszelle. © JVA Werl

Die Notsituation ist offenbar ein ungeklärtes Mietverhältnis. „Er hat nach der ersten Nacht in Werl bereits um 7 Uhr das JVA-Gelände verlassen“, sagt Schäfer am Dienstag, „er darf ja jederzeit raus.“ Der 64-Jährige wollte einen Rechtsanwalt aufsuchen und sich mit diesem um einen schriftlichen Mietvertrag kümmern. Bislang habe er nur eine mündliche Absprache in Bezug auf einen Wohnraum und damit die Sorge, dort nicht dauerhaft bleiben zu können.

In der Sicherungsverwahrung vorbildlich verhalten

JVA-Vize Jörg-Uwe Schäfer bezeichnet den „sehr freiheitsliebenden“ 64-Jährigen als „psychologisch absolut stabil – es besteht kein Handlungsbedarf für uns“. Während seiner­ Werler JVA-Zeit habe sich der verurteilte Bankräuber vorbildlich verhalten. „Dass er entlassen wurde, war absolut in Ordnung.“ Seit Januar hatte er wiederholt die Abteilung für Sicherungsverwahrte für Langzeitausgänge verlassen dürfen. „Es gab nie Beanstandungen.“

Vor fast vier Jahren war der Rheinländer schon einmal medial in Erscheinung­ getreten, weil er sich gegen seine Entlassung aus der Sicherungsverwahrung­ sträubte. Beschrieben­ wurde seinerzeit, wie er in der JVA Aachen zusammen mit seinen beiden Nymphensittichen „Hanni und Nanni“ in einem 13-Quadratmeter-Raum lebte. Und er wurde mit dem Satz zitiert, dass er nicht bereit sei, nach seiner Entlassung­ den Status eines Hartz-IV-Empfängers einzunehmen. Der Aufenthalt­ in der Sicherungsverwahrung in einem Einzelraum sei für ihn, so der Mann damals, „sehr angenehm“. In Nordrhein-Westfalen kostet ein Platz in einer JVA im Schnitt fast 140 Euro. Ob der 64-Jährige an den Kosten beteiligt wird, ist bislang unklar.

Leben in Freiheit kann mühselig sein

Vom Aachener Rechtsanwalt des 64-Jährigen gab es am Dienstag keine Stellungnahme­ zu dem Fall. Nach Ansicht des stellvertretenden Werler Anstaltsleiters Jörg-Uwe Schäfer darf man als Außenstehender nicht davon ausgehen, dass jeder entlassene­ Strafgefangene bzw. Sicherungsverwahrte nach einer Entlassung aus einer JVA den Übergang in ein Leben in Freiheit problemlos meistert: „Man entschwindet draußen sozusagen in die Bedeutungslosigkeit. Man fängt von vorne an, auch wenn man auf den Tag vorbereitet wurde. Das kann sehr mühselig sein.“

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Im Dezember 2019 ist der Werler JVA-Spitze ein soziales Umfeld des Mannes nicht bekannt. „Einer geregelten Arbeit geht er unseres Wissens nicht nach“, sagt Schäfer. Bei der im Alter von 64 Jahren ohnehin­ schwierigen Arbeitsplatzsuche könnte sich negativ auswirken, dass der ehemalige Sicherungsverwahrte in diesen Tagen wieder eine gewisse Bekanntheit erlangt hat. Der Rheinländer hat sich einem Boulevardmedium anvertraut und steht für die Schlagzeile „Lieber Gefängnis als Hartz IV in Freiheit“.

Dabei könnte sich das Thema schon ganz schnell erledigt haben. „Wenn er mit Hilfe seines Anwalts einen unterschriebenen Mietvertrag und damit seine Wohnverhältnisse geklärt hat“, so Schäfer, „ist er von heute auf morgen wieder raus aus der JVA.“