Hagen. Bis zum 26. Dezember öffnen wir jeden Tag die Tür zu einem Weihnachtslied. Es gibt auch etwas zu gewinnen
Alle Akteure im Stall von Bethlehem haben ihre eigenen Lieder: Das Kind in der Krippe, Maria, Josef, die Hirten, die Engel, die drei Weisen, ja sogar die Tiere. Dazu gibt es Weihnachtsboten, die zwar wenige, aber umso wichtigere Gesänge haben, denn sie sind selber Musik: Die Glocken. Wir starten unser traditionelles crossmediales Liederprojekt zur Adventszeit daher mit einer Ehrenrettung für einen unterschätzten Gesang. Süßer die Glocken nie klingen. Singen Sie mit.
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Das Liederprojekt, das unsere Redaktion zusammen mit dem Carus-Verlag seit zehn Jahren anbietet, ist eine niederschwelliges Benefiz-Initiative zur Förderung des Singens in den Familien. Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die belegen, wie wichtig aktives Singen für die körperliche und kognitive Entwicklung von Kindern ist, wie sehr gemeinsames Singen die Familienchemie beflügelt und wie das Singen bei der Aktivierung von Senioren und in der Demenztherapie hilft. Trotzdem fehlt immer mehr Eltern, Erziehern, Lehrern und Pflegekräften die praktische Erfahrung. Sie schämen sich, einen Ton anzustimmen, aus Angst er könnte schräg über die Lippen kommen. Mit dem Liederprojekt machen wir das Singen ganz einfach, indem wir Notenblätter und Audiodateien zur Verfügung stellen und die Kulturgeschichte des jeweiligen Liedes erläutern
Interkulturelle Sehnsucht nach Geborgenheit und Heimat
Weihnachtslieder rühren auch überzeugten Atheisten ans Herz. Denn sie sind häufig uralt und beschreiben eine interkulturelle überzeitliche Sehnsucht: nach Geborgenheit, nach Familie, nach einer Heimat und einem Zuhause - und nach Frieden. Hier kommen nun Glocken und Glöckchen ins Spiel. Denn Weihnachten singt der Himmel selbst vor Freude, und das tut er mithilfe von Glocken. Die hängen hoch oben im Glockenturm, und durch diese Höhe erobern sie Klangräume, die man unten auf der Erde nicht kennt. Dazu kommt die besondere akustische Qualität des Glockenklanges, der sich wegen des ungewöhnlichen Frequenzverhaltens der Idiophone, wie man die Glocken wissenschaftlich nennt, anders anhört als alle anderen Instrumente oder Mittel zur Tonerzeugung.. Glocken sind Himmelsboten, sind klingende Unendlichkeit.
Die ersten Glocken sind ab dem 15. Jahrhundert vor Christus aus China bekannt. Von Anfang an spricht man ihnen magische Qualitäten zu. Sie dienen der Dämonenabwehr und sollen gute Geister herbeirufen. Irische Wandermönche bringen im frühen Mittelalter Handglocken nach Europa; kurz darauf bauen die jungen christlichen Gemeinden Kirchen mit Türmen, deren Glocken weit ins Land rufen: Hier sind wir! Das Wissen um den Glockenguss ist zunächst streng auf die Mönche in den Klöstern beschränkt.
Doch spätestens in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges lernen die Glockenhersteller, dass sich mit dem Guss von Kanonen mehr Geld verdienen lässt. Ab jetzt werden Glocken umgeschmolzen. Adolf Hitler Hitler befiehlt sogar ein „Glockensterben“, um die Welt unterjochen zu können. Allein in Deutschland werden im Zweiten Weltkrieg rund 45.000 Glocken eingeschmolzen sowie weitere 35.000 in den besetzen Gebieten.
Sehnsucht nach lieblicher Harmonie in gewalttätigen Zeiten
Das kann der Pfarrer und Lehrer Friedrich Wilhelm Kritzinger (1816–1890) noch nicht wissen, als er den Text von „Süßer die Glocken nie klingen“ schreibt und ganz pragmatisch einer bereits bekannten Volksmelodie im heilsamen Wiegenliedrhythmus unterlegt. Aber: Auch bei ihm stehen die Weihnachtsglocken als Sinnbild für den heiß ersehnten Friede. Das Adjektiv „süß“, das uns heute so kitschig aufstößt, ist in seiner Zeit ein Begriff für etwas Ersehntes: Es meint weniger eine Geschmacksrichtung, der man leicht überdrüssig wird, sondern steht vielmehr für lieblich im Gegensatz zu rau oder grell. Der Rohheit einer gewalttätigen Zeit will Pastor Kritzinger die Utopie einer Himmelsharmonie entgegensetzen, eingeläutet durch das Weihnachtswunder und seine frohe Botschaft.
Andere Weihnachtslieder arbeiten dagegen mit Lautmalereien und greifen damit volkstümliche Traditionen auf, wonach zum Beispiel das Christkind mit einem zarten Glöckchen herbeigerufen wird - wie es die Schamanen übrigens mit ihren guten Geistern in der Vorzeit bereits praktizierten. Motivtraditionen, die menschheitsgeschichtlich einmal funktioniert haben, tauchen eben oft an unerwarteter Stelle wieder auf.
In „Kling Glöckchen Klingelingeling“ spricht das Christkind sogar als Ich-Erzähler zu den Kindern, denn es friert und begehrt Einlass. Noch heute wird in vielen Familien der Brauch praktiziert, dass von irgendwoher im Haus ein geheimnisvolles Klingeln ertönt, und wenn die Kinder sich dann auf die Suche machen, finden sie ein Mandarinchen auf der Fensterbank oder ein paar Plätzchen als Gruß vom Christkind.
Populäre Lieder aus dem angelsächsischen Sprachraum
Aus dem angelsächsischen Sprachraum sind zwei populäre Glockenlieder auch bei uns bekannt, die das Motiv der Himmelsmusik aufgreifen. „Ding Dong Merrily on High“ (Ding! Dong! Fröhlich in der Höh’) beschreibt mit einer jauchzenden Melodie, wie sich vor lauter Freude die Himmelsglocken regelrecht überschlagen. „Ding dong bells, oh hear the merry merry bells“ ist ein lautmalerisches Spiel mit der Silbe Dingdong, die dem Glockenklang nachempfunden wird.
Glocken sind soziale Wesen. Sie begleiten einen Menschen von der Geburt bis zur Beerdigung. Sie teilen in einer Zeit ohne Uhren den Tag ein, sie rufen die Gemeinde zusammen, zur Ratssitzung, zum Gericht, zum Fest, zum Gebet. Sie warnen vor Krieg, Sturm, Flut und Gefahr. Und sie verkünden den ersehnten Frieden, ohne den alles andere nichts ist. Seit über 70 Jahren haben wir in Europa Frieden. Wenn in unserer Zeit am Heiligen Abend alle Glocken läuten, tönt das gegen den Lärm der Autos und Flugzeuge an. Wir fühlen uns wie aus der Zeit gerückt. Festlich. Geradezu überirdisch. Glocken mit heiligem Klang, klinget die Erde entlang.
Mit einer Preisfrage gewinnen
Für unsere Leser bieten wir auch wieder unser beliebtes adventliches Gewinnspiel mit Preisfrage an. Mit freundlicher Unterstützung des Carus-Verlages verlosen wir drei opulente Bildbände „Die schönsten Lieder“ mit Mitsing-CD. Die Jubiläumsausgabe soll Familien in ihrem Alltag begleiten und unterstützen (Die schönsten Lieder, Carus-Verlag, 246 Seiten, 39,00 Euro).
Wer einen Band gewinnen möchte, muss eine Preisfrage beantworten: Weihnachtslieder rühren an die Herzen der Menschen. Sogar echte Weihnachts-Verächter wischen sich heimlich die Tränen aus den Augen, wenn sie bestimmte Weihnachtslieder hören. Preisfrage: Welches Weihnachtslied rührt Sie zu Tränen (und warum)? Erzählen Sie uns, welche Geschichte mit Ihrem Lieblings-Weihnachtslied verbunden ist.
Die Antworten bitte bis zum 10. Dezember an kultur@westfalenpost.de