Als Sozialromantiker haben sie Werner Hahn anfangs belächelt. Dabei glaubt der Bühnenkünstler nur fest an die verändernde Kraft des Theaters

Vor wenigen Tagen erst hat Werner Hahn in Hagen im Hospiz gesungen. Soviel Ehrenamt muss sein, auch wenn der Leiter des Jungen Apollo am Siegener Apollo-Theater keine 40-Stunden-Wochen kennt. Als Theaterkünstler, als Sänger und Regisseur ist der Salzburger ein Mutmacher schlechthin, denn er schenkt seinem Publikum schöne und nachdenkliche Erfahrungen. Doch da ist noch mehr. In Hagen hat Werner Hahn die Junge Bühne Lutz gegründet und zu einem weithin beachteten Erfolgsprojekt aufgebaut, bevor er in Siegen das Junge Apollo ins Leben rief. Rund 3000 junge Menschen konnte er seit 20 Jahren motivieren, aus sich herauszutreten und den Schritt auf die Bühne zu wagen. Die geben diese Erfahrung nun ihrerseits weiter. Deshalb darf man Werner Hahn getrost als den Mutmacher der Mutmacher bezeichnen.

Warum geht er in die Drogenkliniken, in die Förderschulen, in die Flüchtlingsheime? Man kann sich das Leben doch einfacher machen? „Darin habe ich mehr Aufgabe gesehen, als zum siebten Mal den Papageno zu singen“, schildert Werner Hahn seine Entscheidung, die Solistenkarriere als Bariton für das Jugendtheater einzutauschen. Anfangs wurde er deswegen als Sozialromantiker belächelt – oder beschimpft, je nachdem. Das hat ihn nicht entmutigt. Kinoerfolge wie „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ oder „Wie im Himmel“ zeigen einem Millionenpublikum, wie die Macht der Musik und des Spiels den Alltag kleiner Leute verändern kann. Werner Hahn verlässt sich nicht auf das Kino. Er macht Wunder lieber selbst vor Ort möglich, denn er hat eine Mission. „Ich versuche, Menschen abzuholen, Menschen mit Behinderung, Flüchtlinge, Menschen in Randsituationen. In Städten wie Hagen und Siegen, wo die Gesellschaft bunter wird, haben wir ein Problem mit der gemeinsamen Mitte. Jeder rennt sich an seinem Rand wund, aber wir haben kein Vertrauen zu einer gemeinsamen Mitte, wo jeder seins mitbringt und etwas Neues entstehen kann“, bilanziert Werner Hahn.

Kultur-Oscar vom Bundespräsidenten

Werner Hahn  als Bär Balu im „Dschungelbuch“, dem diesjährigen Weihnachtsmärchen im Siegener Apollo-Theater.
Werner Hahn als Bär Balu im „Dschungelbuch“, dem diesjährigen Weihnachtsmärchen im Siegener Apollo-Theater. © Apollo Siegen

Die Damen am Nebentisch in dem Café, wo wir unser Interview führen, blicken neugierig herüber. „Sie sind doch Herr Hahn“, fasst sich eine von ihnen dann ein Herz, den Theatermann direkt anzusprechen. „Meine Tochter hat bei Ihnen im Lutz gespielt.“ Werner Hahn ist bekannt wie ein bunter Hund. „Hey Werner“, rufen die türkischen Jugendlichen respektvoll, wenn er durch die Hagener Fußgängerzone geht. „Hey Werner“, jubeln die jungen Rollstuhlfahrer, wenn er die Stiftung Volmarstein besucht. Für seine kulturellen Projekte mit der dortigen Oberlin-Schule hat er von Bundespräsident Joachim Gauck einen Hauptpreis des „Kinder zum Olymp!“- Wettbewerbs erhalten, den Kultur-Oscar unter den deutschen Auszeichnungen. Das hängt Hahn nicht an die große Glocke, ebensowenig wie das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, mit dem er für sein Wirken geehrt wurde.

Die Prozesse der Selbstermächtigung, die Werner Hahn so gerne initiiert, können nur funktionieren, weil er fest an die Magie des Theaters glaubt. „Theater hat mich immer verändert, und ich habe nach Wegen gesucht, diese Veränderungen Menschen zuteil werden zu lassen, die von alleine nicht in eine solche Situation gekommen wären. Ich vertraue auf die Kraft des Theaters.“ Werner Hahn greift mit seinen Projekten meist Themen auf, die nah an den Alltagserfahrungen der Darsteller sind. Mitunter ist es nicht einfach, diese Menschen in das Kraftfeld des Theaters zu locken. Ein Patient einer Drogenklinik weigerte sich einmal strikt, mitzuspielen. „Da habe ich nicht locker gelassen, ich bin spätabends zu ihm hin, auch an Weihnachten, bis ich darauf gekommen bin, wo sein Defizit liegt. Der Mann hat in seinem ganzen Leben nie etwas Gelerntes zu Ende geführt, da hatte er bei dem Theaterstück Angst, zum Beispiel vor dem Textlernen.“

Theater ist mehr als Sozialtherapie

Regisseur Hahn hat es geschafft, diesen Mann auf die Bühne zu bringen. „Und nach der Premiere hat er einen Satz gesagt, der mich sehr beschäftigt: Er hat gesagt: Der Typ ist krank, und jetzt möchte ich gerne seine Krankheit haben. Das hat mir gezeigt, dass man sich mithilfe eines Theaterabends über seine Grenzen hinwegsetzen kann.“

Natürlich ist Theaterspielen mehr als Sozialtherapie. Die Akteure müssen ja zurücktreten hinter das Werk und sich in ihre Rollen versenken. „Das Besondere ist, dass der Prozess ganz öffentlich stattfindet. Dieser Weg muss angeleitet werden. Wenn man es schafft, sich vor Publikum über seine Grenzen hinwegzusetzen, das ist ein Glückserlebnis, das einen nie wieder verlässt.“

Und das weitergegeben wird. Die angehenden Musiklehrer, mit denen er am Apollo Siegen die Operette „Im Weißen Rößl“ einstudierte, werden diese Erfahrung für immer mit in ihre Schulklassen nehmen. Die junge Schülerin, die sich auf der Bühne erstmals traute, den Panzer ihres Anoraks zu verlassen, wird das neue Selbstbewusstsein nie mehr verlieren.

Auch das Publikum erhält eine Rolle

Interaktive Theaterarbeit reizt den 63-Jährigen vor allem, weil dabei sogar das Publikum eine Rolle erhält. Daher hat er das Trainingskonzept „Hey Boss, ich will zu dir“ entwickelt, um junge Leute auf Bewerbungsgespräche vorzubereiten. Diese Produktion ist ein absoluter Dauererfolg, sie wurde mit dem Bundes- und dem Landespreis der Wirtschaftsjunioren geehrt (Buchungen: hahn@apollosiegen.de). Demnächst kommt ein neues Stück in Siegen heraus, eine Fußballrevue in zwei Halbzeiten über die legendäre Frauenabteilung des TSV Siegen (Info: www.apollosiegen.de).

Doch die Magie des Theaters kann ja nicht bei allen Menschen greifen. Was macht man, wenn junge Leute auf die Bühne wollen – und es einfach nicht schaffen. Kein Drama, findet Werner Hahn. „Wenn jemand aufgibt, muss man das auf vernünftiger Basis begleiten. Es kann ja eine kluge Entscheidung sein, zu sagen, dieser Berg ist mir zu hoch, ich nehme einen anderen Berg. Man darf nur nicht aufhören, neugierig auf Berge zu sein.“