Bad Berleburg. Sven Janson war wegen seiner Bequemlichkeit kein guter Schüler. Doch er hatte einen Traum: Arzt werden. Diesem Ziel ordnete er alles unter.
Sven Janson erinnert sich daran, wie sein Vater das Gespräch mit einem der Grundschullehrer suchte. Es ging um die anstehende Versetzung auf die weiterführende Schule. „Und? Wie sieht‘s aus mit der Realschule?“, fragte der alte Herr. Antwort: „Seien Sie froh, wenn der Bursche die Hauptschule schafft.“
Mangelhaft und ausreichend waren die Leistungen des kleinen Sven damals mitunter. Signifikant besser wurde es auch danach nicht. „Die schulische Prognose war nicht so überragend“, sagt der erwachsene Herr Janson heute und lächelt. Der 45-Jährige steht in seiner eigenen Praxis in Bad Berleburg. Arzt ist er geworden, Internist. Als ehemaliger Hauptschüler.
Schule gehört nicht zur Interessenslage
Ein Werdegang so selten wie ein Regenbogen, der vor den eigenen Füßen beginnt.
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„Ich fand es schon hart und zwischendurch war ich auch deprimiert“, erinnert sich Janson an die Zeit, in der er nachträglich das Fundament für seinen Beruf legte. Denn Schule war nicht unbedingt das, was seiner Interessenslage damals entsprach. „Die Hausaufgaben konnte ich alle, aber als junger Mensch hat man auch andere Sachen im Kopf“, sagt er.
Der jugendliche Sven war ein bisschen rebellisch und hatte vor allem: wenig Bock. Oberstes Ziel: Minimalen Aufwand betreiben, um durchzukommen. Das gelang. Hauptschulabschluss mit 17. Die mittlere Reife holte er innerhalb eines weiteren Jahres nach.
Und dann?
„Eigentlich wollte ich immer gern Polizist werden“, sagt der Arzt. Seine Mutter riet ihm, seine Interessen etwas breiter aufzustellen, falls das mit der Polizei nichts werden würde.
Mit 15 zum Praktikum als Krankenpfleger
Als 15-Jähriger marschierte er ins Krankenhaus in Bad Berleburg, um für ein Praktikum als Pfleger vorzusprechen. Kann ja so schwer nicht sein, dachte er. Er durfte. Und: Es machte ihm Spaß. Deswegen also: drei Jahre Ausbildung zum Krankenpfleger. Danach arbeitete er vier Jahre in dem Beruf. Er schaute nicht auf die Uhr bei der Arbeit. Das einzige, was ihn störte, war, dass er gern mehr Verantwortung für die Patienten übernommen hätte.
„Es gibt nicht den einen Moment, in dem mir aufgefallen ist, dass ich gern Arzt wäre, sondern das war ein Prozess und hat sich über Jahre entwickelt.“ Doch als er merkte, dass es genau das ist, was er machen wollen würde, war er schon 25. Das, was er vorhatte, das würde weitere Jahre kosten. Viele weitere Jahre. „Ich wusste, worauf ich mich einlasse.“
Eine Stunde Autofahrt zur Abendschule
Abendschule in Niederschelden, einem kleinen Ort im Siegerland. Stunde Fahrt mit dem Auto von Bad Berleburg aus. Und nebenher: arbeiten. Aufstehen um 5 Uhr, gegen 6 zur Arbeit, Feierabend um 14.30 Uhr. Von 17 Uhr bis 22.30 Uhr Schule. Drei Jahre lang. „Nicht selten im Winter, wenn Schnee lag, war ich erst gegen 1 Uhr zu Hause – und musste dann noch lernen. Ich hatte große Wissensdefizite aus der Hauptschule.“ Um für das Abi zu lernen, nahm er seinen Jahresurlaub. 90 Leute, sagt Janson, hätten die Abendschule mit ihm begonnen, sechs hätten Abitur gemacht.
Er gehörte dazu.
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Stolz sei das falsche Wort, sagt er und blinzelt gegen die Sonne, die durchs Fenster ins Sprechzimmer 2 scheint. Er trägt blaue Jeans in seiner Praxis, dazu ein graues T-Shirt. Das strahlende Weiß braucht er für sich nicht, um das zu tun, was er so gern tut: den Menschen zu helfen.
Bewerbung für ein Medizinstudium
Er bewarb sich für ein Medizinstudium. Doch sein Abitur war nicht überragend. Wartesemester. Das Glück half. Per Losverfahren erhielt er 2004 einen Platz in Tübingen. Von dort ging es nach Mainz, Marburg und Gießen. Nebenbei arbeitete er, um das Studium zu finanzieren. Seine Kommilitonen waren bis zu zehn Jahre jünger als er. 2011 schloss Janson das Studium ab. Es folgten fünf Jahre Ausbildung zum internistischen Facharzt in Bad Berleburg. 2016 war es soweit.
Facharzt! Mit 42 Jahren.
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Janson schaut auf die kleine Vitrine, die in der Ecke des Sprechzimmers steht. Lehrbücher lehnen dort in der untersten Reihe aneinander. „Manchmal, wenn die Sprechstunde vorbei ist und mein Blick die Bücher streift, dann denke ich an die Zeit zurück“, sagt er. „In den Urlaub zu fahren oder Freunde zu treffen, war einige Jahre lang einfach nicht möglich“, sagt er. Wenn er nicht für Arbeiten und Klausuren lernte, dann arbeitete er. Die Zukunft, sein Ziel, sein Traumberuf trugen ihn über die schweren Tage. „Ich habe nie etwas vermisst“, sagt er.
Vom Schüler-Praktikanten zum Assistenzarzt
Zwei Jahre lang arbeitete er als Facharzt im Krankenhaus in Bad Berleburg. Dort, wo alles angefangen hatte. Eine kleine Heldenreise: Vom Schüler-Praktikanten zum Assistenzarzt. Und zwar auf die harte Tour. Bis zu 70 Stunden Dienst in der Woche absolvierte er. Und zu Hause die Familie, die beiden Kinder, zwei und fünf Jahre alt mittlerweile.
Auch deshalb machte er sich im Januar 2017 selbständig. Mitten in Bad Berleburg liegt nun seine Praxis. Sein Reich. Gegründet auf Beharrlichkeit und Geduld. „Hier bin ich mein eigener Chef“, sagt er. „Ich habe meinen Traumberuf – und ich bin glücklich hier.“