Witten/Herdecke. Ein Training an der Uni Witten/Herdecke soll helfen, auf rechte Parolen zu reagieren. Warum der Seminarleiter lieber anonym bleiben möchte.
Lautes Stimmenwirrwarr. Wildes Durcheinander. „Mit den Flüchtlingen ist die Kriminalitätsrate bei uns in Deutschland gestiegen. Ich habe Angst, abends rauszugehen“, speit eine ältere Dame mit pinkrotem Lippenstift und krausem Haar der 22-jährigen Jennifa entgegen. Lässig steht sie da. Eingepackt in eine üppige Lederjacke. Die riesigen Ohrringe ragen aus ihrer Wollmütze heraus. „Das hat doch nichts mit den Flüchtlingen zu tun. Woher hast du diese Information? Was sind deine Quellen?“, hakt sie mit fester Stimme nach.
Jennifa und die ältere Frau sind mitten in einem Rollenspiel. Sie machen mit bei einem Training an der Universität Witten/Herdecke. Das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ will Menschen dafür stark machen, rassistische und andere gruppenfeindliche Parolen im Alltag nicht einfach hinzunehmen. Nicht im Sportverein, nicht in einer Diskussion mit Freunden, nicht am Stammtisch.
Demo in Braunschweig
Das bundesweite Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ hat sich 2016 gegründet.
Ziel ist eine „breite Gegenbewegung gegen die drohende Rechtsentwicklung in der Gesellschaft“.
Aktuell mobilisiert das Bündnis für Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag am 30. November in Braunschweig.
Rassismus wird immer mehr zum Alltag
Insbesondere durch die Politik der AfD und rechte Äußerungen ihrer Mitglieder sind die Themen Rassismus und Faschismus aktueller denn je. „Wir alle kennen das: In der Diskussion mit Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen oder beim Grillen mit dem Sportverein fallen Sprüche, die uns die Sprache verschlagen. Später ärgern wir uns, denken, da hätten wir gerne den Mund aufgemacht, widersprochen“, erläutert Studentin Elena Ball, die das Training an die Uni geholt hat.
Auf roten, grünen und gelben Karten schreiben die 30 Teilnehmer auf, was sie hindert, in solchen Situationen einzugreifen. Sie hängen sie an die Pinnwand: „Argumente“, „Schlagfertigkeit“, „Resignation“ und „Selbstschutz“ sind zu lesen. Ein Begriff wiederholt sich mehrfach: Angst: vor Gewalt, Angst davor, missverstanden zu werden, die Situation nicht kontrollieren zu können.
„Seit wann dürfen Sklaven arbeiten?“
Die zweite Pinnwand daneben ist leer. Noch. Auch hier heften die Teilnehmer bunte Karten an. Auf ihnen stehen Stichworte, mit denen sie beschreiben, wie sie auf haltlose Diskriminierungen reagieren können. Nachfragen zu den Informationsquellen stellen, Zweifel beim Gegenüber säen, ruhig bleiben (Tempo und Lautstärke verringern), eine selbstbewusste Körpersprache, sich Verbündete suchen und Mitgefühl einfordern („Wie würdest du dich fühlen, wenn...“).
„Ich habe oft das Gefühl, wegen meiner Hautfarbe diskriminiert zu werden, ohne dass die Leute es merken“, erzählt Jennifa . „Zum Beispiel wollen sie mit mir über Afrika reden, dabei komme ich aus Deutschland. Das meinen sie nicht böse, trotzdem ist es für mich super unangenehm.“ Opfer von vorsätzlichem Rassismus sei sie noch nie gewesen. „Aber jemand hat mal zu einer Freundin gesagt: ‚Seit wann dürfen Sklaven arbeiten.’ Das ist schon hart.“
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Diskriminierungen sind oft Stereotype
Auch Jordan (20) ist dunkelhäutig. „Du sprichst aber gut Deutsch“ – das höre er oft. Der gebürtige Hamburger verurteilt die Absender nicht, „weil ich über sie genauso wenig weiß“. Stattdessen redet er mit ihnen, wünscht ihnen das Beste: „Das verwirrt die meisten, weil es sie nicht in ihrem Weltbild bestätigt.“
Sandra (27) begegnet im öffentlichen Raum sowie im privaten Umfeld immer wieder fragwürdigen Meinungen und Pauschalisierungen. „Die Schockstarre ist dann so groß, dass ich nichts erwidern kann.“ Sieben Stunden lang sprechen sie und die anderen über ihre Erfahrungen, üben sich in Schlagfertigkeit und analysieren gängige Parolen, die ihnen im Alltag begegnen können.
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Seminarleiter will anonym bleiben
Eckart leitet das Seminar. Ehrenamtlich. Seinen vollständigen Namen will er in der Zeitung nicht lesen. Er befürchtet, dass rechte Populisten weitere private Daten über ihn herausfinden. „Ich glaube nicht, dass jemand zu mir nach Hause kommt, Hassmails aber sind realistisch. Dem möchte ich meine Familie nicht aussetzen.“ Die Morddrohungen gegen die Grünen-Politiker Cem Özdemir und Claudia Roth zeigten, wie „bedrohlich“ die Situation sei. „Ich bin bestimmt kein Mensch, der sich duckt. Ich bin nur vorsichtiger geworden.“
Carla Botzenhardt, Projektleiterin für die Stammtischkämpfer-Seminare, kann ihren Kollegen verstehen: „Jeder, der sich gegen die AfD positioniert und sich gegen Hass und Hetze einsetzt, macht sich angreifbar. Und rechtspopulistische Gruppierungen haben in der Vergangenheit oft gezeigt, dass sie auf Worte Taten folgen lassen.“