Freudenberg. Nach der Explosion in Alchen steht die Dorfgemeinschaft unter Schock. Pfarrer Oliver Günther war vor Ort und ist persönlich betroffen.

Oliver Günther ringt mit den Worten. „Der ganze Ort steht unter Schock“, sagt der Dorfpfarrer von Alchen, „die Menschen können nicht fassen, was beim Backesfest passiert ist.“ Der evangelische Pfarrer war auf dem Weg zu dem Dorffest („vorher hatte ich in einer anderen Gemeinde einen Gottesdienst gefeiert“), als er im Radio von der Explosion einer Bratpfanne erfuhr. Eines der sechs schwer verletzten Opfer, eine 67-Jährige Frau, ist in einer Dortmunder Klinik den schweren Verletzungen erlegen. Der Zustand einer anderen Frau ist kritisch, vier weitere Opfer sind wohl außer Lebensgefahr. Insgesamt 14 Menschen waren verletzt worden, sechs davon schwer, als es in der gasbetriebenen, übergroße Bratkartoffel-Pfanne zu einer Verpuffung gekommen war.

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Die Ermittlungen zur Ursache der verheerenden Explosion ergaben, dass die selbst konstruierte Pfanne der Hitze nicht standhielt. Die Pfanne besteht aus zwei Schalen, deren Zwischenraum mit Öl gefüllt war, um die Hitze der Gasflammen zu verteilen. Das Öl habe sich aber ausgedehnt, es entstanden Risse, durch die das Öl zur Flamme tropfen konnte, die Pfanne sei dann „aufgeplatzt wie ein Luftballon“, so Polizeisprecher Michael Zell.

Persönliche Betroffenheit

Die Bilder, die Pfarrer Günther am Sonntag sah, wird er nicht so schnell vergessen. Seine persönliche Betroffenheit ist groß, weil er viele der Menschen, die das Fest unbeschwert feiern wollten, gut kennt. Die Schicksale der Menschen, die das Unglück verletzt überlebt haben, der Angehörigen, die einen geliebten Menschen verloren haben oder der Festbesucher, die das Geschehen aus nächster Nähe mitansehen mussten, würden den Ort noch … Oliver Günthers Stimme stockt. Er sucht nach Worten: „Das wird den Ort noch in nächster Zeit beschäftigen“, sagt er und weiß selbst, dass das untertrieben ist.

Oliver Günther ist den ganzen Sonntag an der Unglücksstelle geblieben und stand den Menschen bei. „Für sie war es wichtig, dass sie die Möglichkeit erhielten, ihre Eindrücke auszusprechen.“

Funktionierende Dorfgemeinschaft

Helfen bei der Verarbeitung der Eindrücke, ist sich der Pfarrer sicher, könne die funktionierende Dorfgemeinschaft mit ihren festen Familienstrukturen. Trotzdem: „Den Schmerz in der Seele und die schrecklichen Bilder bekommen die Menschen nicht ohne Weiteres weg“, sagt er, „aber es gibt professionelle Hilfe, um zu lernen, damit umzugehen.“ Das gelte auch für Rettungskräfte, die in einer „besonderen Weise betroffen waren“. Der Löschzug Alchen mit 24 Männern und Frauen sei als erste Einheit am Ort gewesen, sagt der Freudenberger Einsatzleiter Maik Rother. Zwar sei offenbar keiner von ihnen zum Zeitpunkt der Explosion beim Fest gewesen, aber nach dem Notruf seien sie sehr schnell „in voller Stärke“ einsatzfähig gewesen. „Eine sehr belastende Situation für die Kameraden“, so Rother. „Alchen ist ein kleiner Ort, in dem jeder jeden kennt.“

Auch die Seele braucht Erste Hilfe

Mit sechs Mitarbeitern war das Team der Psychosozialen Unterstützung (PSU) der Feuerwehr Siegen dort, unterstützt wurden sie von zwei Notfallseelsorgern. „Eine Lage in dieser Dramatik hatten wir im Siegerland noch nicht“, sagt Karl-Heinz Richter. Die PSU-Mitarbeiter führten Gespräche mit Einsatzkräften, Opfern, Angehörigen und Augenzeugen. „Die Menschen waren sehr betroffen“, sagt Richter. „Dass so etwas bei einem solchen Fest passiert, ist für die meisten unvorstellbar.“ Solch ein dramatisches Ereignis drohe viele seelisch zu überfordern, so der erfahrene PSU-Experte. „Auch die Seele braucht Erste Hilfe, um ein Trauma zu verhindern.“

Familie- und Freundeskreis

Das PSU-Team erklärte den Betroffenen, was für Symptome in der Folge auftreten können; wiederkehrende Bilder der schrecklichen Ereignisse etwa. „Das sind normale Reaktionen“, erläutert Richter. Es helfe zu verstehen, was Körper und Geist in dieser Situation durchmachten – und dass man sich auch wieder davon erholt. Wichtig sei, mit Menschen zu sprechen, denen man vertraue. „Oft reicht es bereits aus, wenn man im Familien- und Freundeskreis über die Erfahrung spricht.“

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Kann ein Pfarrer nach solchen Notfällen Traumatisierten Trost zusprechen? „In der akuten Situation ist das schwer“, sagt Oliver Günther, „unser Trost besteht dann darin, uns Zeit zu nehmen, Nähe und Anteilnahme zu leben – aber ich kann ihnen keine Antwort geben, warum das Ganze geschehen ist.“