Willingen. Respektvoll miteinander: Die Gemeinde Willingen hat eine Kampagne gegen den Sauftourismus im Sauerland gestartet. Ein Besuch der Partymeile
Es ist 21 Uhr und im Club „Dorf Alm“ in Willingen ist kaum noch Platz auf der Tanzfläche. Die Kellner haben alle Hände voll zu tun: Bier, Wein und Schnaps werden über die Theke gereicht. Der junge Mann im schwarzen T-Shirt hat gerade seine Bestellung aufgegeben. „Willingen? Da kann man gut saufen und Sex haben“, sagt er, „ein Kollege hat mir davon erzählt.“ Grölen auf der Straße, wildpinkeln und Junggesellenabschiede in Verkleidung – das Bild vom Ballermann im Sauerland ist über seine Grenzen hinaus bekannt. Das aber soll sich jetzt ändern. Seit Neuestem gibt es hier Benimmregeln für das Partyvolk.
Willingen ist eine kleine Gemeinde im Kreis Waldeck-Frankenberg mit rund 3000 Einwohnern. Und die sind genervt von den Sauftouristen, die regelmäßig die Stadt heimsuchen. Insgesamt kommen an einem Wochenende bis zu 6000 Touristen. „Wenn man draußen sitzt, muss man sich dumme Sprüche anhören. Es wird Müll auf die Straße geworfen und lautstark gesungen. Manche sind sogar schon über meinen Zaun gesprungen und haben die Wäsche von der Leine gerissen“, sagt Kai Bäringhausen, ein Anwohner mittleren Alters. Sein Grundstück liegt nahe der Talstation der Ettelsberg-Seilbahn.
Tagsüber sei es ruhig. Nachts jedoch bekäme Bäringhausen kaum ein Auge zu. „Es ist ja nicht so, dass alle Feiernden respektlos sind, vielleicht sind wir auch dünnhäutiger geworden. Aber gerade an heißen Tagen würde man nachts gerne das Fenster offen lassen. Aber das ist hier unmöglich.“
Willinger wie Kai Bärighausen haben jetzt also genug vom schlechten Benehmen der Partygäste. „Tatsächlich sprechen wir von knapp fünf Prozent der Feiernden, die hier Probleme machen. Doch in einem kleinen Ort wie Willingen fällt das schnell auf“, erklärt Tourismus-Manager Miro Gronau.
„Respektvoll miteinander“
Unter dem Motto „Respektvoll miteinander“ hat die Gemeinde eine Kampagne ins Leben gerufen. Seit Juni hängen die Plakate mit Benimmregeln überall dort, wo sich die Partygäste tummeln. „Wir möchten nicht das Feiern verbieten. Wir möchten aber, dass das Feiern respektvoll geschieht“, sagt Gronau. Sechs Punkte umfasst der Willinger Party-Knigge (siehe Foto). Regeln, die laut Gronau eigentlich jeder kennen sollte: „Ich glaube auch nicht, dass dies ein Problem von Willingen ist, sondern ein Problem der Gesellschaft. Früher wäre eine solche Kampagne nicht nötig gewesen.“
Damit die Gäste nicht vor Ort von den neuen Regeln überrascht werden, gibt es einen Info-Flyer zur Buchung gleich dazu. „So wissen Junggesellenabschiede vor der Anreise, dass Verkleidungen nicht mehr erwünscht sind.“
Negative Folgen für den Tourismus sieht Gronau nicht. „Ich glaube, dass es weiterhin viele Junggesellenabschiede geben wird – nur nicht verkleidet.“ Außerdem habe der Ort einiges mehr zu bieten. „Wir haben auch viele Wanderer als Gäste.“
Startpunkt: Siggis Hütte
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Junggesellenabschiede gibt es in Willingen das ganze Jahr über. Die meisten beginnen ihre Tour auf dem Ettelsberg bei „Siggis Hütte“. Siegfried von der Heide – von vielen nur Siggi genannt – hat nach eigenen Aussagen kaum Probleme mit dem Partyvolk. „Es kann mal passieren, dass jemand zu tief ins Glas schaut. Ich rede dann mit ihm wie mit einem Zweijährigen – und dann benimmt er sich auch. Das kommt aber selten vor“, sagt der 78-Jährige, während er den Flyer hervorholt. „Und das, was als Regeln in diesem Flyer steht, sollte eigentlich jeder Mensch wissen.“
Zurück in der „Dorf-Alm“, wo man nicht nur trinken, sondern auch essen kann. Draußen an den Tischen ist kaum noch ein Platz frei. „Ich habe jahrelang auf Mallorca gelebt und Partys veranstaltet“, sagt einer der Kellner, „bei unserer Arbeit sind die Partygäste kein Problem. Wohnen möchte ich hier aber nicht.“
Citystreife soll für Ruhe sorgen
Währenddessen stehen an diesem frühen Abend ein paar Häuser weiter bereits schwarz gekleidete Security-Angestellte vor dem Club-Eingang. Über Probleme mit Party-Touristen wollen sie nicht sprechen. „Dürfen wir nicht“, sagt einer. An den Wochenenden bekommen sie Unterstützung von der Citystreife, die vom Ordnungsamt organisiert wird. „Wir können aber nicht das ganze Jahr über vor Ort sein. Dafür fehlen uns die finanziellen Mittel“, sagt Dieter Pollack, Leiter des Ordnungsamtes. In den Sommerferien und in den Wintermonaten sei die Streife nicht unterwegs. Was ist, wenn sich jemand daneben benimmt? „Sollte jemand laut singend durch die Straßen laufen, wird er in der Regel verwarnt. Es ist noch nicht so, dass er direkt zahlen muss“, sagt Gronau. Wildpinkeln hingegen würde mit Geldstrafen geahndet.
Am schlimmsten sei es in Willingen im Juni, wenn die Fußballclubs auf Abschlussfahrt kommen. Doch egal ob Fußballer, Kegelclub oder feiernde Tagestouristen – viele Willinger sind froh, wenn das Wochenende vorbei ist. Willinger wie Kai Bäringhausen, der dann endlich in einen ruhigen Schlaf findet.