Winterberg. Zum Deutschen Wandertag in Winterberg und Schmallenberg werden bis zu 30.000 Gäste erwartet. Unterwegs mit Wanderern aus der ganzen Republik.

Schwer zu sagen, ob die beiden den gleichen Weg vor sich haben. Klar ist aber: Auf dem Berg duzt man sich. Die Eva, 81 Jahre alt, im blauen Wollpullover, hat ihre Wanderstöcke dabei und einen Rucksack. Der Sven (46) trägt seine rote Funktionshose mit den vielen Taschen, ein brachiales Klappmesser am Gürtel, ein GPS-Gerät mit Karabinerhaken am Rucksack und einen Hut, der vor der Sonne schützt. Er sieht aus, als könne man ihn bedenkenlos im australischen Dschungel zurücklassen.

Der Deutsche Wandertag in Winterberg und Schmallenberg ist seit Mittwoch offiziell eröffnet. Es ist: ein riesiges Event. 20.000 bis 30.000 Besucher erwarten die Veranstalter bis zum kommenden Montag. Auf einer der ersten Wanderungen sind Eva und Sven dabei. Und 20 andere, die vom Günter, dem Wanderführer, geleitet werden. Zwölf Kilometer in vier Stunden. Das ist der Plan, der auch an Eva scheitern wird. Start in Altastenberg, hinauf zum Kahlen Asten und wieder zurück.

Wer geht da eigentlich so?

Und warum?

Wandern lehrt Demut

„Entbehrungen geben Zusammenhalt“, sagt der Sven. Er ist mit seiner Frau aus Bad Schmiedeberg in Sachsen-Anhalt angereist, wie sie das seit mehreren Jahren immer tun, wenn der Deutsche Wandertag stattfindet. Die beiden laufen Marathon, er ist bei der Bundeswehr, war in Afghanistan, in Jordanien. „Das Wissen, dass das Leben für manche Menschen nur ein Minimum bereit hält, lehrt, unseren Wohlstand wertzuschätzen“, sagt er.

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Beim Wandern holt er sich einen Teil dieses Gefühls manchmal zurück. Mit den beiden Söhnen, die mittlerweile aus dem Haus sind, sind sie immer wandern gegangen. „Runterkommen“, nennt er das. Oftmals kein Fernseher, keine Medien, tagsüber wandern, abends ein Würfelspiel. Am nächsten Morgen greift wieder die Sechs-Sieben-Acht-Regel, wie Sven sagt. Um sechs aufstehen, um sieben frühstücken, um acht losgehen. Manchmal tagelang ohne eine ordentliche Dusche. Das lehrt ihn Demut, wie er sagt.

Hut ab, Winterberg: Günter Hauers zeigt den Gästen die Schönheiten der Natur.
Hut ab, Winterberg: Günter Hauers zeigt den Gästen die Schönheiten der Natur. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Der Rudolf (71) war lange Vorsitzender des Schwarzwaldvereins. 16 Leute sind sie dieses Jahr beim Wandertag. Sie waren mal mehr, aber es hat einige kurzfristige Absagen gegeben. Und Nachwuchs? „Gibt’s nicht“, sagt der Rudolf und versteht kaum, dass es so ist. „Wandern macht mir einfach Spaß“, sagt er. „Aber die jungen Leute verstehen nicht, warum sie von A nach B laufen sollen.“

Der Wandertag ist auch für ihn jedes Jahr Pflicht. Schön war’s mal in Berlin, „da hat’s unnerwegs Kuchen gäbbe“, sagt er in Badener Mundart. Und einmal in Thüringen mussten sie den ganzen Tag drinnen bleiben. „Es hat grägnet und grägnet.“

Altastenberg wie Madeira

Der Günter macht Halt. Er hebt dazu seinen Wanderstock, auf seinem Filzhut sind Wandersticker angebracht – und das Emblem von Borussia Mönchengladbach. „Muss sein“, sagt er und lacht. Es geht ihm jetzt um die Schönheiten der Natur. „Knabenkraut“, sagt er und deutet auf die violett leuchtenden Blumen am Wegesrand. „Sehr selten.“ Die Blüten posieren geduldig für Fotos.

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Es geht über schmale hölzerne Brücken über einen kleinen Bach hinweg, weichen Waldboden hinauf. „Wie auf Madeira“, sagt eine und das klingt nun wirklich wie in Lob. Zwei Rehe hüpfen kurz vorher auf einer nahe gelegenen Wiese vorbei als seien sie frisch einem Werbefilm des Tourismusbüros entsprungen. Ein kleines Raunen bei den Wanderern.

Nächste Pause. Günter packt den Schnaps aus und verteilt kleine Pinnchen. „Steigwasser“, sagt eine Dame. „Chilly Willy“, sagt der Günter. Scharf im Abgang. Hilft aber offenbar beim Aufstieg.

Oben zu sein, das Schönste

Kahler Asten. 841,9 Meter hoch, zweithöchster Berg in NRW. Waltraud (71), die alle nur Traudl rufen, ist begeistert. „Traumhaft, diese Weite. Da geht einem das Herz auf.“ Schöner noch als bei ihr daheim im Schwarzwald, da sei es doch oft so düster. Licht ist ihr lieber. Oben zu sein, das Schönste. „Irgendwann kommen wir sowieso alle in den Himmel. Wir haben dann schon einmal eine Verbindung“, sagt sie. „In der Natur finde ich zu mir, und die Dankbarkeit für dieses Leben wird mir hier besonders bewusst.“

Gut gelaunt sind die Wanderer im Hochsauerland unterwegs.
Gut gelaunt sind die Wanderer im Hochsauerland unterwegs. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Abstieg. Die Quelle der Lenne. Zwischen den Elementen Erde, Wasser, Luft geht es um Elementares. „Freunde“, sagt der Sven, „sind wie Sterne: Man kann sie nicht immer sehen, aber sie sind immer da.“ Das GPS-Gerät hat er mit, um sich im Umgang damit zu üben, wenn er wieder eine größere Tour geht, wo die Wahrscheinlichkeit eines Notfalls größer ist als hier heute. Freunde nennt er die Ines und den Detlef, die aus dem Harz kommen. Kennengelernt haben sie sich beim Wandertag vor fünf Jahren. Seitdem sind sie zusammen unterwegs. Sven notiert jede Route feinsäuberlich in seinem Tourenbuch. Was er nun am Abend hineinschreibt? „Schöne Tour. Alles richtig gemacht“, sagt er.

Wanderer hilft Wanderer

Eva, die 81-Jährige, tut sich schwerer. Die Füße brennen. Sie muss häufiger pausieren. Jemand reicht ihr Magnesium-Pulver. Die Gruppe wartet immer wieder auf sie. „Wanderer“, sagt die Traudl, „kümmern sich doch um die Mitwanderer.“ Nach sechs statt der geplanten vier Stunden sind alle wieder da. Auf dem Berg sind doch alle gleich.