Hagen. . Der Reiz des schnellen Ruhms: Das Video-Portal Tik Tok ist bei Jugendlichen angesagt. Polizei und Medienscouts warnen vor den Gefahren.

Der Traum, selbst ein Popstar zu sein: Ein Mädchen hüpft unrhythmisch zu Techno-Beats. In Netzstrumpfhose. Auf einem Bett. Bauchfrei. Ihr T-Shirt ist hochgebunden. Sie schneidet Grimassen. 15 Sekunden dauert die Vorstellung auf der Video-Plattform Tik Tok, der bei Kindern und Jugendlichen zurzeit angesagtesten App. Die Mehrheit der Kommentatoren finden den im Netzwerk geteilten Beitrag peinlich, andere stellen ein sabberndes Smiley dazu. Vor solchen, oft unüberlegten, Selbstinszenierungen, warnen Medienscouts und Polizei. Denn sie werden immer öfter für Mobbing und Cybergrooming missbraucht.

Die Funktion

Mit Lippensynchronisation, Tänzen oder Schauspiel-Einlagen können auf Tik Tok  kurze Musikvideos gedreht und geteilt werden.
Mit Lippensynchronisation, Tänzen oder Schauspiel-Einlagen können auf Tik Tok kurze Musikvideos gedreht und geteilt werden. © Reuters

Tik Tok wird das Instagram für Videos genannt. Wer es nutzt, der wählt aus einer vorgegebenen Liste Hintergrundmusik aus und kann sich über die Kamera-App des Smartphones beim Tanzen aufnehmen. Maximal 15 Sekunden lang. Eine individuelle Bearbeitung des Videos ist durch Filter und Zeitraffer ebenso möglich wie es öffentlich zu stellen. Offiziell ist die App erst für Kinder ab 13 Jahren erlaubt, allerdings kann das Alter selbst angegeben werden.

Der Erfolg

Tik Tok ist die am meisten heruntergeladene App der Welt. Ende 2018 sollen sie weltweit 500 Millionen Menschen jeden Monat genutzt haben. In Deutschland sind es laut Newsportal Digiday 4,1 Millionen Nutzer. Den Reiz, so Medienwissenschaftler, mache die Kombination aus Social-Media-Plattform und Video-App aus.

Das Unternehmen

Das chinesische Unternehmen ­Bytedance mit Sitz in Peking zählt zu den wertvollsten Startups der Welt. 2017 hatte es für eine Milliarde Dollar die Mitsing-App Musical.ly gekauft und daraus Tik Tok erschaffen. Laut Betreiber steht ein intelligenter Algorithmus, der dem Nutzer Inhalte empfiehlt, hinter dem Erfolg des Videoportals. Dadurch habe jeder Clip das Potential, sich schnell im Internet zu verbreiten.

Die Gefahren

Tik Tok steht im Visier von Jugend- und Datenschützern. Sie kritisieren vor allem, dass Kinder auf dem Portal oft zu viel von sich preisgeben. Tatsächlich reihen sich auf den Startseiten unzählige junge Mädchen aneinander. Meistens knapp bekleidet. Das Portal Mobilsicher.de berichtete zuletzt, dass Nutzer solche Aufnahmen von tanzenden Neunjährigen sammelten und zur Verfügung stellten.

Die Medienscouts

Franziska Gehlhaus ist Medienscout am Lennestädter Gymnasium: „Jeder, den ich kenne, ist in sozialen Netzwerken schon einmal Opfer geworden. Auch durch Tik Tok.“ Das Videoportal stehe bei den Workshops der Scouts „ganz oben“, erzählt die 17-Jährige. In Stufe 7 sei es Teil des Medienkompetenz-Unterrichtes.

Philipp Gropper, leitender ­Lehrer des Projekts Medienscouts am Lennestädter Gymnasium: „2018 kam kurz vor Weihnachten eine Mutter in eine unserer Sitzungen. Sie bat um Hilfe, weil ihre Tochter zu oft zu viel auf Tik Tok hochgeladen hatte.“ Seither versuche die Schule, die Eltern zu sensibilisieren.

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Auch Lukas Mertens (18), ­Medienscout am ­Mescheder Gymnasium, warnt: „So mancher Schüler wird sich später einmal fragen: Wie konnte ich diese peinliche Performance nur ins Netz stellen?“ Lehrer Christian Wendt, Koordinator für Medienbildung an Mertens Schule, hofft, dass die Arbeit der Scouts zu mehr Zivilcourage führt: „Mobbing findet auf WhatsApp statt. Meldet sich jemand aus der Gruppe, können wir einschreiten.“

Die Kommissare

Petra Landwehr, leitende Kommissarin für Vorbeugung und Opferschutz im Kreis Unna, informiert seit zwölf Jahren bei Elternabenden an Schulen über die Gefahren im Netz. Tik Tok, sagt sie, sei zur Mobbingfalle Nummer eins für unter 14-Jährige geworden. „Diese App ist auf jedem Elternabend ein Thema.“ Anzügliche Videosequenzen tauchten immer wieder auf.

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Landwehr ist entsetzt, wie naiv sich Väter und Mütter präsentierten. Von bösen Kettenbriefen, die in den sozialen Netzwerk die Runde machten, hätten die wenigsten eine Ahnung. „Eltern sollten wissen, welche Apps ihre Kinder auf den Smartphones haben.“ Es sei ihre Pflicht, „ihnen immer und immer wieder“ die Spielregeln zu erklären.

Dass die Opferzahlen von Cybergrooming auch durch Apps wie Tik Tok konstant hoch bleiben, das bestätigt Stefan Didam vom Kommissariat für Vorbeugung in Meschede. Solche Videoportale, sagt der Schmallenberger, lockten – wie andere ähnliche Apps auch – Pädophile an, die in entsprechenden Nutzerkonten versuchten, mit den Kindern in Kontakt zu treten.

Die Reaktion

Tik Tok hat reagiert: Uploadfilter schränken die Suche nach einigen öffentlichen Schlagworten ein. Damit sollen Nutzer vor Missbrauch besser geschützt werden. Die Zahl der Moderatoren, die weltweit Inhalte gegebenenfalls löschen, sei von 6000 auf 10.000 erhöht worden. Auf seiner Homepage informiert das Startup über sicherheitsrelevante Aspekte der App.